Lionel MessiDas Spiel und die Angst vor dem Ende

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Kickt und wirbt für Chips: Messi ist in Amerika inzwischen fast so berühmt wie der Footballer Patrick Mahomes.
Kickt und wirbt für Chips: Messi ist in Amerika inzwischen fast so berühmt wie der Footballer Patrick Mahomes. (Foto: Mike Stewart/AP)

Langsam geht diese Jahrhundertkarriere zur Neige. Aber vorher wollen Tausende noch die Fußballkunst des Argentiniers Lionel Messi erleben. Bei der Copa América ab Donnerstag ist vielleicht die letzte Gelegenheit dafür.

Von Peter Burghardt, Washington

Ehe Argentinien am Donnerstag gegen Kanada in den USA die Copa América eröffnet, hat das argentinische Außenministerium ein paar Ratschläge zusammengestellt. Der Verhaltenskodex ist 28 Seiten lang. So weisen die Diplomaten Landsleute unter anderem darauf hin, dass im Bundesstaat Georgia zwar Waffen herumgetragen werden dürfen, aber Alkohol in der Öffentlichkeit genauso streng verboten ist wie Fackeln, Rauchbomben und Pyrotechnik.

Könnte ja sein, dass der eine oder andere das nicht weiß und dann versehentlich im Gefängnis landet statt im Mercedes Benz Stadium von Atlanta. Dort geht das Turnier los, vermutlich hat die Olympiastadt von 1996 noch nie so viele ernsthafte Fußballfreunde erlebt wie jetzt. Die meisten tragen himmelblau-weiße Trikots, unter den voraussichtlich 71.000 Zuschauern in der Arena vermutet die Zeitung La Nación aus Buenos Aires ungefähr 40.000 Argentinier.

Das pinkfarbene Dress mit seinem Namen und der Nummer 10 verkauft sich millionenfach

Man kennt diese Invasionen unter anderem aus Brasilien 2014, einige Besucher reisen diesmal offenbar in einer Karawane von hunderten Wohnmobilen aus Florida an. Da unten leben zehntausende Auswanderer aus dem Land des Weltmeisters, wie ja seit einem Jahr auch ihr oberster Wanderarbeiter. Im Sommer 2023 zog Lionel Messi aus Paris in den Sunshine State, für sein Spätwerk erschien ihm das Projekt Inter Miami von David Beckham und dessen Verbündeten am Strand geeigneter zu sein als Saudi-Arabien.

Seither ist Messi in Amerika fast so berühmt wie der Footballer Patrick Mahomes. Messi macht Werbung für Chips, auf Spanisch, und mit Will Smith, darin sogar ausnahmsweise mit ein paar Brocken Englisch, das er sonst eher meidet. Das pinkfarbene Dress seines Klubs mit seinem Namen und der Nummer 10 hat sich millionenfach verkauft, und die Stadien füllen sich vor allem wegen ihm.

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Manchmal blättern Interessenten für Tickets zwar eine Menge Geld hin, um dann zu erfahren, dass Messi verletzt ist, dann sitzen da lauter frustrierte Zehner auf der Tribüne. Aber in den vergangenen Wochen war die echte Zehn nach längerer Pause wieder recht zuverlässig am Ball und schoss seine Tore, zuletzt auch in den Farben der Albiceleste.

Beim letzten Testspiel am vergangenen Freitag am Rande von Washington traf Argentiniens Kapitän zum 4:1-Sieg gegen Guatemala zweimal, einmal ins leere Tor, die anderen beiden Treffer besorgte Lautaro Martínez. Das Publikum war begeistert, auch deshalb, weil jeder weiß, dass sich da eine Jahrhundertkarriere langsam aber sicher dem Ende entgegen neigt.

Seine Mission: Soccer auch in den USA wirklich populär zu machen

Vielleicht ist dies sein letzter großer internationaler Wettbewerb, das Wunderkind von einst wird kommende Woche 37. Vielleicht wird es auch die WM 2026 in den USA und Mexiko. Beweisen muss er nichts mehr, seit er nach all den anderen Trophäen auch 2021 mit Argentinien die Copa América erobert hat und 2022 endlich den Pokal mit der Weltkugel, den ihm Diego Maradona immer voraus hatte. Inzwischen ist da geradezu ein Hauch von existenzialistischer Altersweisheit.

Es sei, „als hätte sich alles verändert, aber gleichzeitig hat sich nichts verändert“, berichtete Messi in der vergangenen Woche dem Portal Infobae. „Ich fühle mich erfüllt“, er habe alles erreicht, seine Ziele und seine Träume. Was das für seine nähere Zukunft heißt, wer weiß. Inter Miami werde sein letzter Verein sein, gab er vor Kurzem bekannt. Aber dem Sender ESPN berichtete er, dass er nicht dazu bereit sei, mit dem Fußball aufzuhören. „Ich habe das mein ganzes Leben lang gemacht, ich genieße das Training, die Spiele. Die Angst, dass alles vorbei sein könnte, ist immer da.“

Womöglich besteht seine finale Mission vor allem darin, soccer in den USA endlich wirklich populär zu machen, was dem König Pelé und dem Kaiser Franz Beckenbauer nie gelang. Sein Freund und Sturmpartner Ángel di María will sich nach der Copa América verabschieden, er ist 36, wie Luis Suárez aus Uruguay, Messis Freund und Sturmpartner bei Inter Miami. Uruguay tritt mit seinem argentinischen Trainerexzentriker Marcelo Bielsa in Gruppe C gegen Bolivien, Panamá und Gastgeber USA an. Doch vermutlich schauen die meisten Amerikaner auf ihn, Andrés Lionel Messi, darunter gut 60 Millionen amerikanische Latinos.

Da sind auch die Brasilianer Rodrygo und Vinicius Jr. von Real Madrid, Gruppe D, sowie weitere Attraktionen. Wer sich noch mehr für die Europameisterschaft in Germany interessiert, der hat hier außerdem den Vorteil, dass die EM-Spiele dank der Zeitverschiebung spätestens am frühen Nachmittag laufen und die der Copa América danach. Trotzdem kommt kaum jemand an Argentinien und Messi vorbei. Trainer Lionel Scaloni bringt nahezu die gesamten Sieger von Katar mit, in der Vorrunde treffen sie außer auf die Kanadier auf Chile und Peru.

Bald ist der Fußballer Messi nicht mehr da, sagen alle – aber stimmt das auch?

Daheim waren viele Argentinier mal der Ansicht, ihr Genius gebe anders als einst Maradona nicht den letzten Tropfen Schweiß für die Nation und verschwende sein Talent beim FC Barcelona. Jetzt wächst die Sorge, dass in absehbarer Zeit tatsächlich sein Abschied bevorstehen könnte. Schon darf man fragen, wer nach Maradona und Messi eigentlich noch die argentinische Nummer 10 tragen will, dann eine Zentnerlast.

Oder nicht? „Wir Argentinier sind zu melancholisch und denken schon an den Tag, an dem er nicht mehr da ist, während er noch spielt“, sprach Scaloni kürzlich im Kanal Telemundo Sports. „Genießen wir es also und sehen wir, was morgen passiert. Ich denke, die Gegenwart ist so wichtig für die ganze Welt, nicht nur für Argentinien, denn am Ende spielt Leo für alle, die Fußball mögen.“

Schafft es Argentinien mit ihm ins Endspiel, dann muss Inter in der Major League Soccer mindestens fünfmal auf ihn verzichten, die Liga geht ja einfach weiter. Das Finale ist dann am 7. Juli immerhin in Miami. Wenn Argentinier auf ihrer US-Tournee dorthin zurückfahren, auch das ein Tipp vom Konsulat: Hände bei Polizeikontrollen unbedingt am Steuer lassen!

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