Lindsey Vonn:Küsse für die Kugeln

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"Ich habe viel mehr erreicht, als ich gedacht hätte": Lindsey Vonn präsentiert die Kristallkugel für ihren Sieg in der Super-G-Wertung. (Foto: Getty Images)

Es ist der Höhepunkt einer Rückkehr, die ihr nicht viele zugetraut hatten: Mit dem Gewinn ihrer 19. Kristallkugel beim Ski-Weltcup in Méribel erreicht Lindsey Vonn eine historische Bestmarke - und sie hat noch immer nicht genug.

Von Johannes Knuth, Méribel/München

Es gibt einige Geschichten über die Jugend der Skirennfahrerin Lindsey Vonn. Die hieß damals noch Lindsey Kildow, der amerikanische Journalist Nathaniel Vinton hat diese Phase vor kurzem noch einmal ausgeleuchtet. Im Herbst 1996 verlegte die Familie Kildow ihren Familiensitz von Minneapolis nach Vail/Colorado.

Lindsey, zwölf Jahre alt, hatte die Aufmerksamkeit der Trainer im renommierten Skiklub am Ort erregt, sie gewann regionale Rennen gegen Mädchen, die drei Jahre älter waren als sie. Vater Alan und Mutter Linda hatten ein kleines Apartment am Fuße des Skigebiets bezogen. Dort wohnten sie mit Lindsey und deren vier Geschwistern, zunächst einmal für ein paar Wochen. Dachte Lindsey zumindest.

Nach einigen Monaten gestanden ihre Eltern, dass sie ihr Haus in Minnesota verkauft hatten. Mutter Linda hatte ihre Karriere aufgegeben, hatte Lindseys vier Geschwister aus ihrem sozialen Umfeld entwurzelt. Vater Alan pendelte zwischen seiner Arbeit in Minnesota und Vail, jede Woche, 16 Stunden mit dem Auto. Kurz darauf traten in der Ehe der Eltern erste Spannungen auf, die die Familie später für eine Weile auseinanderrissen.

Vonn hat jetzt insgesamt 19 Kristallpokale gewonnen

"Lindsey war früh davon überzeugt, dass sie in der Schuld ihrer Familie stand", schreibt Vinton in seinem Buch The Fall Line, "eine Schuld , die sie in Gold zurückzahlen wollte." Die Sportlerin selbst hat vor ein paar Jahren ein ähnliches Glaubensbekenntnis abgelegt, sie sagte damals: "Rekorde sind der Grund, warum ich Ski fahre."

Lindsey Vonn hat am Donnerstag in Méribel ihr vorletztes Rennen des Winters bestritten, und bereits jetzt, vor dem Riesenslalom am Sonntag, lässt sich festhalten: das Saisonfinale in Frankreich hat sich für die 30-Jährige durchaus gelohnt. Am Donnerstag gewann Vonn den Super-G vor der Österreicherin Anna Fenninger (0,49 Sekunden zurück) und der Slowenin Tina Maze (0,80); Vonn sicherte sich damit zum fünften Mal die Weltcupwertung in dieser Disziplin - das ist Rekord, fünf Mal hat ansonsten nur Katja Seizinger diese Wertung für sich entschieden.

Weltcupfinale in Méribel
:Jansrud und Vonn sind die besten Abfahrer der Saison

Während Kjetil Jansrud in Méribel seine erste Kristallkugel als bester Abfahrer gewinnt, sichert sich Lindsey Vonn bereits zum siebten Mal diese Trophäe. Doch anders als der Norweger kann sie den Gesamtweltcup nicht mehr holen.

Am Mittwoch hatte Vonn bereits zum siebten Mal im Abfahrtsweltcup triumphiert, sie egalisierte damit die sieben Abfahrtstitel der Österreicherin Annemarie Moser-Pröll, auch das war ein Rekord. Insgesamt hat Vonn jetzt 19 Kristallkugeln gesammelt, mit der die Skirennfahrer ihre besten Fahrer des Weltcups entlohnen, vier große für den Sieg im Gesamtweltcup, 15 kleine Erfolge in den einzelnen Disziplinen. 19 Kugeln, klar, auch das ist eine historische Marke, Vonn liegt jetzt gleichauf mit Ingemar Stenmark, dem großen Skirennfahrer aus Schweden.

Am Donnerstag trug sie ihre Super-G-Kugel im Arm wie ein Baby, küsste sie, herzte sie. "Die beiden Kugeln hier sind wohl die speziellsten von allen", sagte Vonn später, sie fügte an: "Es gab viele Menschen, die damit nicht unbedingt gerechnet hatten ."

"Speed Machine" nennen die Amerikaner Vonn, vor ihrer langen Verletzungspause hatte sie jahrelang in der Abfahrt und im Super-G dominiert, den schnellen Disziplinen. Bei den Speed-Rennen bewegen sich die Fahrerinnen ständig am Limit, wie ein Auto, das minutenlang im roten Drehzahlbereich operiert. Das erfordert große Risikobereitschaft. Vonn hatte sich vor rund eineinhalb Jahren zwei Mal schwer am Knie verletzt, die Olympischen Spiele in Sotschi verpasst, viele Beobachter im Skizirkus zweifelten, ob sie ihre Lust am Risiko noch einmal würde entfachen können.

Die 30-Jährige benötigte dann zwei Rennen, um sich bei ihrer Rückkehr im vergangenen Dezember wieder in die Siegerliste einzutragen, in Lake Louise gewann sie die Abfahrt. "Entweder ich gewinne oder ich stürze", sagte Vonn dann im Januar, nachdem sie in Cortina d'Ampezzo die Abfahrt gewonnen und Annemarie Moser-Prölls 62 Weltcupsiege egalisiert hatte.

"Es wird eine große Kämpf", sagt Vonn vor dem Super-G

In Vail, bei den Weltmeisterschaften im eigenen Land, bewegte sie ihren Körper schon wieder derart am Limit, dass ihr Knie schmerzte, dass sie irgendwann verkrampfte, Bronze im Super-G gewann, nur Bronze, nach ihren eigenen Maßstäben. Vonn ist nicht mehr derart verbissen wie noch vor einigen Jahren, als jede Fahrerin, auch eine Teamkollegin, eine Konkurrentin war, die es mit allen zulässigen Mitteln zu bekämpfen galt.

Sie trainiert häufiger mit dem Team, ist entspannter, sagen Mannschaftskollegen. Nach ihrem geschichtsträchtigen Sieg im Januar in Cortina verzögerte sich die obligatorische Pressekonferenz, Vonn saß neben der Bühne und wollte erst einmal im Fernsehen begutachten, wie ihr Teamkollege Travis Ganong sich in Wengen die Lauberhornabfahrt hinunterschlängelte.

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Vonn hat Erfolge und Rekorde ein wenig aus ihrem Lebensmittelpunkt gezerrt, auch wenn ihr Ehrgeiz kurz vor den Rennen noch immer groß ist. "Es wird eine große Kämpf", hatte sie vor dem Super-G am Donnerstag verkündet, Vonn spricht Österreichisch mit amerikanischem Akzent, der Einfluss ihrer Trainer aus Österreich ist bis heute groß. Sie fuhr dann gewohnt kämpferisch ihrem 67. Weltcupsieg entgegen.

Lindsey Vonn hat in Méribel noch erzählt, dass sie sich in ihrem Haus in Vail einen Trophäenschrank hat bauen lassen für ihre Weltcup-Kugeln. Sie weiß auch schon, welche Kugel sie am liebsten darin verstauen würde. "Nächstes Jahr will ich um den Gesamtweltcup kämpfen", sagte sie am Donnerstag. 23 Kugeln haben im neuen Schrank Platz, das wäre, klar: Rekord.

© SZ vom 20.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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