2. Liga: 1860 München:Stimmung des Trübsals und Klagens

Trotz des Sieges in Unterzahl gegen St. Pauli mag beim Zweitligisten TSV 1860 München keine rechte Freude aufkommen.

Gerald Kleffmann

Da standen sie, jubelten, rissen die Hände hoch und ließen sich feiern. Fast hätte man glauben können, der TSV 1860 München habe sich wieder als Aufstiegskandidat ins Spiel gebracht - so sehr freuten sich die Löwen über das 2:1 (1:0) am Sonntag. Dass der Gegner der FC St. Pauli war - bis vor drei Wochen steil auf Kurs Richtung erste Liga -, verstärkte den Endorphinrausch der Münchner. In der nüchternen Analyse betrachtet, bestätigten beide Mannschaften jedoch nur ihre aktuelle Verfassung.

Die Löwen bleiben das Rätsel der Liga, in sieben Spielen hintereinander haben sie nun stets abwechselnd gewonnen und verloren. St. Pauli wiederum durchlebt ein Tief, wie es eben passieren kann. Die dritte Niederlage in Serie besiegelte der beste Sechziger, Stefan Aigner, mit zwei Toren. Bemerkenswert war, dass die Münchner ab der achten Minute zu zehnt spielten und dennoch in vielen Phasen dominierten; Charilaos Pappas hatte nach einem Foul die rote Karte erhalten.

Der zehnte Saisonsieg wird die allgemeine Stimmungslage bei den Münchnern allerdings nicht nachhaltig aufbessern, zuletzt offenbarte sich tief sitzender Frust. 1860-Trainer Ewald Lienen hatte seine Mannschaft beim Training mit Schweigen abgestraft, die schlechte Leistung beim 1:3 in Paderborn war der Auslöser gewesen, als die Sechziger zum wiederholten Male wie eine träge Kuhherde agiert hatten.

Sportchef Miroslav Stevic sprach gar von einem "Spielerproblem"; er vertritt die Ansicht, dass das Team, das er gebaut hat, besser sei, als es der neunte Platz wiedergibt. Dass die Löwen Druck benötigen, demonstrierten sie gegen St. Pauli - der Sieg war eindeutig einer, der mit Willen erzielt wurde.

Neue Mischung, alte Mängel

Selbst der Ausgleich zu Beginn der zweiten Halbzeit durch Marius Ebbers schockte die Sechziger nicht, deren Kapitän Benjamin Lauth verletzt fehlte. Nach seinem Kopfball zum 1:0 in der 22. Minute schob Aigner aus wenigen Metern auch zum 2:1 ein (57.). Danach hatte St.Pauli noch einen Pfostenschuss, das war's, "uns fehlt vorne die Qualität", resümierte Trainer Holger Stanislawski trocken. Bei den Münchnern sieht es zumindest so aus, als könnten sie die Saison nach vielen verkorksten Partien anständig zu Ende bringen.

Zufrieden ist damit natürlich trotzdem keiner. Die Münchner erleben im Sommer ihr 150. Vereinsjubiläum, überzeugt wurde daher der Aufstieg als Muss-Ziel ausgerufen. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt der Saison steht fest, dass selbst im sechsten Jahr nach dem Scheitern des großherrischen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser die Münchner immer noch im Selbstfindungsprozess stecken. Dabei wurde in dieser Spielzeit vieles neu angepackt.

Die einst zerstrittenen Fangruppen vertragen sich, die Machtkämpfe der Funktionäre wurden beigelegt, eine interne Stadionkommission bemüht sich gerade, eine Rückkehr ins alte Stadion an der Grünwalder Straße zu ermöglichen. All das vereint. Anders als in St. Pauli ist die Stimmung bei den Anhängern jedoch nicht losgelöst vom sportlichen Erfolg. Der FC könnte Bezirksliga spielen und würde weiterhin seine Séparées genannten Logen ab 45.000 Euro an den Kiez-Geschäftsmann bringen. Kult ist eben Kult, und 1860 ist 1860.

Zur Orientierung: Während bei St. Pauli das Merchandisinggeschäft mit Umsätzen von sechs, sieben Millionen Euro floriert, lümmeln im Sechziger-Fanshop Gartenzwerge für 39,90 Euro herum. Dass der Klub gegen St. Pauli mit einem Jubiläums-Wendetrikot antrat, das innen mit Bildern früherer Profis beflockt ist, wird im Verein bereits als Marketing-Coup bewertet.

Die radikale Abkehr vom Kurs des früheren Managers Stefan Reuter hat sich rückblickend allerdings nicht ausgezahlt. Statt - wie der Vorgänger - auf den eigenen Nachwuchs und bayerische Lieblinge zu setzen, die man nach München zurückholt (Bierofka, Lauth etc.), schickte der neue Manager Miroslav Stevic etwa die grandiosen Bender-Zwillinge weg und baute ein Team, das vor allem aus unbekannten Spielern aus Ägypten, Griechenland, Serbien oder den USA bestückt wurde. Offiziell heißt es, es sei kein Geld da. In der Summe passt die neue Mischung der Spieler nicht, sie sind nicht bissig genug - und ihre unsteten Leistungen haben Auswirkungen.

Die Zuschauerzahlen in der Arena sinken, selbst gegen die Freibeutertruppe des FC St. Pauli, die jeder bekennende Fußballliebhaber sehen will, kamen nur 27.700 Besucher - und nicht mal jene 32.000, die der DFB nach Randalen von 1860-Fans kürzlich als oberste Zuschauergrenze für dieses Spiel auferlegt hatte. In Internetforen wird die Mannschaft zunehmend beschimpft, und obwohl die Elf in der Tabelle nicht wirklich schlimm dasteht, herrscht eine Stimmung des Trübsals und Klagens.

Dazu passt, dass selbst die Gründung einer Tochterfirma, in die fremdes Darlehensgeld fließen und über die Spielertransfers abgewickelt werden sollen, eher nebulös als transparent und seriös wirkt - und es passt auch, dass 1860 als Mieter in zwei Fällen mit dem Arena-Besitzer FC Bayern vor Gericht streitet und offenbar seinen kostenfreien Rauswurf aus der Arena provozieren will. Der Zinnober, den dieser Verein bisher veranstaltet hat, ist riesig - unterm Strich hat es kaum etwas gebracht.

Als wäre die Entwicklung nicht unerfreulich genug, erteilte 1860 ausgerechnet ein Roter, einer vom FCB, jetzt einen Rat: "Es müsste jemand den Mut haben, zu investieren und den Klub zu übernehmen", äußerte sich Franz Beckenbauer: "Die Löwen warten ja immer auf einen Investor, der Geld gibt und dann möglichst wieder in der Karibik verschwindet." Sein Fazit: "So geht's natürlich nicht." Die Löwen-Seele, sie muss wieder einiges ertragen.

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