Süddeutsche Zeitung

Lewis Holtby:Die Stunde des Jägers

  • Gegen den SC Freiburg erzielt Lewis Holtby sein drittes Tor unter dem neuen Trainer Christian Titz.
  • Unter Titz' Vorgängern Gisdol und Hollerbach wurde der Mittelfeldspieler noch auf die Tribüne verbannt.
  • Der HSV kann mit einem Sieg gegen den VfL Wolfsburg am kommenden Wochenende bis auf zwei Punkte an den Relegationsplatz heranrücken.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Lewis Holtby, 27, hat in seiner Fußballkarriere Vieles erlebt. Er war Bestandteil der damals gefeierten "Mainzer Boygroup" mit André Schürrle und Adam Szalay. Er wurde unter dem Trainer Felix Magath bei Schalke 04 zum Nationalspieler und erfüllte sich dann den Traum eines Halbbriten (Vater ist Engländer), in der Premier League für Tottenham zu spielen. Dann erfuhr seine Laufbahn einen Knick: erst wurde er an den Absteiger FC Fulham ausgeliehen, ehe ihn 2014 der HSV verpflichtete. Das war finanziell nicht übel, mit 3,5 Millionen Euro Jahresgehalt wurde er zum HSV-Spitzenverdiener. Aber er unterzeichnete damit auch einen Vertrag, der ihn zum jahrelangen Abstiegskampf verdammte. Und schließlich wurde er von den Trainern Markus Gisdol und Bernd Hollerbach zeitweise auf die Tribüne verbannt.

Doch die Holtby-Geschichte beim HSV ist noch nicht fertig. Und es ist unklar, ob sie nicht doch noch mit einem Happy End abschließt. Nach dem 1:0-Sieg gegen den SC Freiburg, mit dem der Tabellenvorletzte HSV noch einmal auf fünf Punkte an den Relegationsplatz herangekommen ist, sagte Holtby vor dem nun anstehenden Nordderby beim fünf Zähler vor den Hamburgern liegenden VfL Wolfsburg: "Psychologisch gesehen wäre ich jetzt lieber nicht der Gejagte, sondern der Jäger."

Holtby liebt die Geschichte des Jägers, er ist womöglich selber einer. Gegen Freiburg hat er sein drittes Tor nach seinem Comeback vor fünf Wochen erzielt. Er hat in der 54. Minute die Freiburger Lukas Kübler und Manuel Gulde umkurvt und den Ball ins Netz gestoßen. Das gibt den Hamburgern noch einmal Hoffnung.

Dass er die Jäger-Rolle ausfüllen kann, hat wiederum mit dem neuen Trainer Christian Titz zu tun. Der war mal sein Privat-Coach und beorderte Holtby wieder auf den Bundesliga-Rasen. Natürlich hat der lange Zeit Ausgemusterte am Samstag ein paar Worte darüber verloren: "Wenn mir Vertrauen gegeben wird, zahle ich es mit Vertrauen zurück", sagte er. Es freue ihn, dass wieder "ehrlich" mit ihm umgegangen werde, dass "harte Arbeit wieder belohnt wird". Auch gegen Freiburg war Holtby mit 12,68 Kilometern der Spitzenläufer im Team. Und er hat, wie in den Abstiegskämpfen zuvor, das Publikum erfolgreich mit großen Gesten zu noch massiverer Unterstützung aufgefordert.

Auch eine andere Entscheidung des neuen Trainers scheint sich auszuzahlen: Titz beorderte den U21-Nationalkeeper Julian Pollersbeck anstelle des zuweilen fehlerhaften Christian Mathenia ins Tor. Und als der HSV in der ersten Halbzeit selbst von den nun fünfmal besiegten Freiburgern mehrmals in die Bredouille gebracht wurde, verhinderte Pollersbeck mit guten Reaktionen das 0:1: in der 35. Minute gegen Lucas Höler und nach bösem Stellungsfehler von Jung gegen Nils Petersen (42.).

Das waren wohl die entscheidenden Situationen in einem schwachen Abstiegsduell - und weniger die 71. Minute, die hernach von den Freiburgern in den Vordergrund gestellt wurden. Da hatte Referee Benjamin Cortus dem SC-Verteidiger Caglar Söyüncü die gelb-rote Karte gezeigt, weil er Filip Kostic im Mittelfeld zu Fall gebracht hatte. Die Hamburger, die von Titz in der Pause aufgefordert wurden, mutiger zu spielen, hatten längst vor Söyünclüs Platzverweis das Heft in die Hand genommen, während die Breisgauer keine einzige Torchance mehr erspielten.

Und doch fühlten sich die Gäste erneut stark benachteiligt. Während der aufgewühlte Petersen sich den Abstieg der Hamburger wünschte, giftete Trainer Christian Streich gegenüber dem DFB-Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich, mit dem SC könne man es ja machen. Die abgekühlte Version seiner Wut ließ er in der Pressekonferenz heraus. Man erlebe es Woche für Woche, dass Situationen gegen den SC Freiburg ausgelegt würden, grantelte er.

Man müsse das "hinnehmen" und versuchen, daran "als Persönlichkeit zu wachsen". Tatsächlich hatte Kostic in der Feldverweis-Szene zunächst den ihn verfolgenden Söyüncü mit der Hand im Gesicht getroffen, während kurz zuvor HSV-Akteur Matti Steinmann für ein Foul an Mike Frantz nicht mit gelb-rot bestraft wurde.

Das Glück ist also zurück beim HSV. Die Stimmung um den Verein habe sich "total gedreht" wegen des offensiveren Spielstils und der stark verjüngten Mannschaft, mutmaßte der kommissarische HSV-Boss Wettstein. Wenn im Mai noch kein neuer Sportchef da sei, werde er als Vorstand und nicht Aufsichtsratsboss Bernd Hoffmann entscheiden, ob Titz weitermachen dürfe. Kapitän Gotoku Sakai glaubt noch an das Wunder: "Die Tür ist für uns offen", sagte er und sprach den Kollegen alle Attribute für einen starken Abstiegskampf zu: "Körpersprache, Aggressivität, Einstellung."

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SZ vom 23.04.2018
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