Lewis Hamilton in Silverstone:Geschüttelt von heftigen Turbulenzen

British Grand Prix 2015

Jubel über seinen dritten Heimsieg: Lewis Hamilton (vorne).

(Foto: REUTERS)
  • Hamilton vor Rosberg und Vettel: Was gewöhnlich klingt, kommt beim Formel-1-Rennen in Silverstone auf spektakuläre Art zustande.
  • Dabei unterläuft dem Sieger im Regen ein Malheur.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen aus Silverstone.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Das beste Mittel gegen die Krise in der Formel 1 ist es immer noch, die Rennen dorthin zu bringen, wo sie hingehören. Silverstone, Home of Motorsport steht am Eingang zu der Strecke, auf der die Formel 1 vor 65 Jahren erfunden wurde. Die meisten Zuschauer (140 000), eine der anspruchsvollsten Pisten, unbeständiges Wetter, klassisches Racing. Kritisch sind nur die Verkehrssituation, und das, was dort so als Sommer durchgeht.

Die Renn-Patrioten kommen nach den vielleicht unterhaltsamsten 94 Rennminuten des Jahres voll auf ihre Kosten: Lewis Hamilton sichert sich seinen fünften Sieg im neunten WM-Lauf, fast zwölf Sekunden vor dem Mercedes-Kollegen Nico Rosberg. Der Rosberg-Trend ist damit vorerst gestoppt, Hamilton baut seine WM-Führung wieder auf 17 Punkte aus. Dritter wird nach etlichen Kapriolen Sebastian Vettel, der in der regnerischen Schlussphase mit seinem alles andere als optimalen Ferrari die Chance nutzt, als es auf die richtige Strategie ankommt. So gibt es am Ende einen britisch-italienischen Chorus über Boxenfunk. Hamilton bescheinigt seiner Crew "einen großartigen Job", und Vettel jubiliert radebrechend "Grazie" und "Grande". Er ist mit 135 Punkten WM-Dritter hinter Hamilton (194) und Rosberg (177).

Klingt gewöhnlich, kam aber außergewöhnlich zustande. Denn zu Beginn kommen die wie üblich ganz vorne parkenden Silberpfeile von Hamilton und Rosberg nicht gleich in die Gänge. Schwupps, sind Felipe Massa und Valtteri Bottas mit den beiden Williams in der Mitte durch. Mit Leasingmotoren am Werksteam vorbei, das ist gotteslästerlich. Aber von Mercedes kommt per Twitter ein Kompliment: "So war das aber nicht gedacht. Hut ab vor Euren Jungs, das war vielleicht eine Attacke!"

Als sich Hamilton zumindest eine Position zurückerkämpft hat, rückt das Safety Car an, beide Lotus und McLaren sind vom Weg abgekommen. Beim Re-Start will Hamilton sofort alles klar machen, doch dabei riskiert er fast zu viel. Die Intensität der Zweikämpfe ist so hoch wie beim Eishockey. Richtig davon kommen Massa und Bottas nicht, der finnische Verfolger wähnt sich deutlich schneller, und trotz Überholverbot durch das Team greift der Finne an: "Ich bin schneller!" Doch der Brasilianer blockt immer wieder geschickt. Der Egoismus des 34-Jährigen ist verständlich: Massa gewann sein letztes Rennen 2008, als er obendrein in der letzten Kurve den Weltmeistertitel an Hamilton verlor.

Das Glücksgefühl Massas hält nur bis zum ersten Boxenstopp. Hamilton eröffnet den Reigen, die Mercedes-Crew legt nach 19 Runden blitzartige 2,4 Sekunden für den Reifenwechsel vor. Einen Umlauf später folgen Rosberg und Massa. Williams braucht für den Service vergleichsweise unendliche 3,8 Sekunden, fast wäre Rosberg noch in der Boxengasse vorbei gegangen. Als beide auf die Piste zurückkommen, ist Hamilton durch. Und bricht mit seiner ersten Führungsrunde kurz darauf einen 45 Jahre alten Rekord von Jackie Stewart: 18 Rennen in Serie mindestens einmal Spitzenreiter gewesen zu sein.

Regenschauer bringen neue Aufregung

Mit Tradition haben sie es in Mittelengland: Kaum ist die Rennmitte erreicht, warnen die Strategen vor aufziehenden Regenschauern - "die könnten heftig werden". Genau die richtige Aufregung, nachdem sich das Geschehen auf der Strecke beruhigt hat, Hamilton schon über fünf Sekunden vor Massa davongezogen ist und Rosberg sich auf Rang vier eingependelt hat. "Gib alles! Gib alles!", fordern die Mercedes-Strategen vom Deutschen. Mit Ende der 36. Runde wird aus dem Himmelsgrau tatsächlich der angedrohte Regen. Wer zum richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Reifen wechselt, hat die beste Siegchance.

Hamilton jubiliert über "meine erste richtige Entscheidung bei einem Reifenwechsel"

Die Williams-Ingenieure halten die Hand am Kommandostand heraus: Nur Tropfen, also weiter mit Trockenpneus. Aber die Piste schlängelt sich durch die Landschaft, es regnet nur in manchen Kurven. Man sieht einen schlitternden Ferrari von Sebastian Vettel auf Platz sechs, zwei mal rutscht auch Rosberg heraus, der dem Funkspruch ("Es hat aufgehört") geglaubt hat. Ein Glücksspiel.

Alles kommt durcheinander, weil auf der zwischendurch nassen Strecke die Allwetterreifen bis zu sieben Sekunden schneller sind. Sogar Hamilton treibt es von der Piste, Rosberg nutzt hingegen die Chance, sich den unsicheren Bottas zu schnappen und dann auch Massa. Er holt rasant auf Hamilton auf. Bei diesen Verhältnissen entscheidet eine Mischung aus Mut, Talent und Glück.

Zehn Runden noch, in denen alles anders werden kann. Rosberg zeigt sich im Rückspiegel von Hamilton, der im letzten Moment in die Box abbiegt, um auf Intermediates zu wechseln und später jubiliert: "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich die richtige Entscheidung bei einem Reifenwechsel getroffen." Er hat die Masse der Regenschirme gesehen, die sich auf den Tribünen plötzlich öffnen.

Der deutsche Widersacher folgt eine Runde später - nach einem mäßigen Stopp ist klar, dass Hamiltons Intuition goldrichtig war. Neun Sekunden Vorsprung hat er auf Rosberg, als sich das Feld sortiert hat - und Vettel plötzlich als Dritter aus der Gischt auftaucht, nachdem er zwischenzeitlich nur Neunter war. Hamiltons letzte Strategie des Tages ist die denkbar einfachste: "Party jetzt!"

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