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Lewandowski beim FC Bayern:Gerd Müllers legitimer Erbe

Robert Lewandowski baut seine weltweit bestaunte Trefferserie immer weiter aus. Sein Wert für die Bayern ist unermesslich.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Zum Mythos des FC Bayern zählt jede Geschichte zu den vielen Toren von Gerd Müller. Zum Beispiel die, in der es darum ging, Müller in den Verein zurückzuholen, den er 1979 im Zorn in Richtung Florida verlassen hatte.

Es war irgendwann Anfang der Neunzigerjahre - nicht jeder Fakt, jedes Wort ist präzise gesichert -, und es soll sich ungefähr wie folgt zugetragen haben: Franz Beckenbauer, damals Vizepräsident, und Uli Hoeneß, damals Manager, forcierten die Idee, ihren Freund als Stürmer- und Torwarttrainer in den Stab der zweiten Münchner Mannschaft einzubauen. Natürlich ging es auch ums Geld. Als die knausernden Klubgremien sich anschickten, sich an der Besoldungstabelle für Beamte in Bund und Ländern zu orientieren, wurde es Beckenbauer der Legende nach zu bunt. "Was glaubts Ihr, warum Ihr alle hier sitzt?", soll der Bayernkaiser getobt haben, so sehr, dass seine berühmte Halsschlagzornesader anschwoll: "Wegem Gerd! Nur wegem Gerd! Und wegen seiner Tore!" Dann soll er verfügt haben: "A Million kriegt der! A Million!"

Was letztendlich auf Müllers Gehaltszettel stand, blieb ein Geheimnis, aber sicher war der Gerd danach der höchstalimentierte Assistent im ganzen Land. Damals wurde, was selten geworden ist in der Arbeitswelt, weniger die akute Leistung als die Lebensleistung honoriert.

Folgend dem Motto einer 1969 von ihm selbst eingesprochenen Schallplatte ("Dann macht es bumm, ja und dann kracht's ..."), hatte Müllers Gerd ja auch so einiges zusammen gebummkracht. Nur diese eine Zahl: 365 Bundesliga-Tore wurden es. Da muss Robert Lewandowski (215) noch gewaltig zulegen, auch wenn er hinter Klaus Fischer (268) und Jupp Heynckes (220) schon auf Rang vier in der ewigen Torjägerliste angekommen ist. Und auch wenn Müllers legitimer Erbe beim FC Bayern jetzt sogar die kleinen Rekorde der Liga bricht. Lewandowski hat nun als Einziger an jedem Spieltag der ersten neun Bundesliga-Runden ins Netz getroffen - insgesamt traf er 13 Mal, nur elf Tore überließ er dem Rest der Belegschaft.

Dortmund fehlte es an Phantasie, den Saisonverlauf zu antizipieren

Ein wenig neidisch werden Schalker und Dortmunder deshalb gen Süden schauen nach ihrer Nullnummer im Derby. Die Schalker, weil im Transfersommer das Geld fehlte, obwohl ihnen schon ein Zehntel vom Lewandowski hätte weiterhelfen können. Die Spielanlage ist unter dem neuen Trainer Wagner zwar entschlossener geworden, trotzdem fehlt etwas, da die Spitze stumpf bleibt. Es muss ja nicht gleich wieder so ein Fallrückzieher-Experte sein, wie es dort einst Klaus Fischer war, denn spektakuläre Stürmer sind rar und teuer. Die Dortmunder hingegen hätten im Sommer das Geld zwar gehabt, aber es fehlte an Fantasie, den Saisonverlauf zu antizipieren: dass im Strafraum kein Stellvertreter lauert, sobald Paco Alcácer - wie geschehen - den Krankenschein einreicht. Und dass Trainer Favre derzeit lieber den Rückwärts- als den Vorwärtsgang einlegen lässt.

Derweil stecken die Bayern in einer unangenehm-angenehmen Zwitterrolle. Einerseits nimmt das Krisengeheul um Trainer, Team und Taktik kein Ende. Andererseits ist da dieser 31 Jahre alte Lewandowski, der sich nie verletzt und dessen weltweit bestaunte Trefferserie zu einer oberen Tabellenposition und damit Trost und Ablenkung verhilft. Ein gut aufgelegter Torjäger vertreibt nicht alle Sorgen, doch sein Wert ist unermesslich. Denn wenn es regelmäßig bummt und kracht, lässt sich alles leichter ertragen.

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SZ vom 28.10.2019/vit
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