Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Ein Spiel zum Raunen

Der FC Bayern müht sich beim turbulenten 4:3 gegen Hertha BSC erneut. Robert Lewandowski erzielt alle Münchner Treffer - das Siegtor fällt per Elfmeter in der Nachspielzeit.

Von Christof Kneer

Dodi Lukebakio! Es gibt Namen, die sie nicht so leicht vergessen beim FC Bayern, Dodi Lukebakio gehört dazu. Er dürfte zu den wenigen Menschen gehören, die mal drei Tore gegen Manuel Neuer geschossen haben, nicht verteilt über zehn Jahre oder so, sondern drei Tore in einem Spiel. 3:3 endete dieses Bayern-Spiel damals gegen Fortuna Düsseldorf, Lukebakios früheren Verein, und zumindest vorübergehend ging damals mehr verloren als nur zwei Punkte in der Bundesliga. Auch Manuel Neuers Ruf war im November 2018 dabei, abhanden zu kommen, nach langer Verletzungspause wirkte der Bayern-Torwart ein bisschen wacklig. Inzwischen ist Neuer wieder mindestens so gut wie sein Ruf, das wusste Lukebakio natürlich, als er am Sonntagabend im Trikot seines neuen Vereins Hertha BSC auf Neuer zusteuerte.

Neun Minuten waren gespielt, Lukebakio lief, und wäre das Stadion voll gewesen, dann hätte es womöglich geraunt. Aber Lukebakio ließ dann aus 17 Metern ein eher verschüchtertes Schüsslein los. Hertha BSC führte in München nicht. Was da noch niemand ahnen konnte: Auch dieses lange Zeit nicht sehr turbulente Spiel wäre am Ende fast 3:3 ausgegangen.

Fast. Bis Robert Lewandowski kam. Es war am Ende tatsächlich ein Spiel zum Raunen, das da am Sonntagabend in der Münchner Arena zur Austragung kam. Und das, obwohl das Raun-Potenzial tagsüber ja auch schon ganz gut ausgeschöpft wurde, immer wieder kamen ja Meldungen, welche Spieler die Bayern nun ganz sicher, sehr wahrscheinlich oder vielleicht eher doch nicht verpflichten würden. Trainer Hansi Flick hatte vor dem Spiel jede Aussage zu den Personalien verweigert, er wolle sich "nur aufs Spiel gegen Hertha konzentrieren" - eine Floskel, klar, aber eben auch die Wahrheit. Flick muss ja gerade ein Spiel nach dem nächsten coachen, immer ist irgendwie Supercup, man kann da mit den Prioritäten leicht durcheinanderkommen. Flick aber ist ein bekennender Fan der Bundesliga: Es freut ihn zwar, wenn ihm die Sportbehörden für die ganzen Supercups ein Quadrupel oder Quintupel zuerkennen - aber er findet, dass die Bundesliga das Brot-und-Butter-Geschäft ist, in dem man sich diese Feiertage erst verdient. Okay, Brot-und-Butter-Geschäft sagt Flick eher nicht, das ist die Formulierung von Karl-Heinz Rummenigge.

Eine Art Brot-und-Butter-Spiel

An das Brot-und-Butter-Spiel vom Sonntagabend aber werden sich Bayern wohl noch eine Weile erinnern. Nach eher zähem Beginn und einem zunehmend absurden Spielverlauf stand am Ende nach vier Lewandowski-Treffern ein 4:3-Sieg, der die Bayern nach der Niederlage in Hoffenheim zumindest wieder auf den vierten Tabellenplatz führte. Aber schon wieder drei Gegentore, schon wieder eine Menge Schlampigkeiten in der Defensive: Das dürfte Flick wenig erfreuen. Trösten dürfte ihn immerhin, dass dies das letzte Bayern-Spiel gewesen sein könnte, vor dem er besorgt die Köpfe seiner Lieben zählen muss. Am Montag wird der Klub wohl jene weiteren Transfers verkünden, die schon als gesichert gelten, aber noch nicht offiziell sind. Neben dem Spanier Marc Roca werden auch Angreifer Eric Maxim Choupo-Moting, Rechtsverteidiger Bouna Sarr sowie womöglich Rückkehrer Douglas Costa in München erwartet .

Gegen die Berliner sah sich Flick indessen noch mal gezwungen, kreativ zu werden. So schickte er Chris Richards auf die rechte Abwehrseite, einen 20-jährigen US-Amerikaner, der in Bayerns zweiter Mannschaft Innenverteidiger spielt. Der etatmäßige Rechtsverteidiger Benjamin Pavard ist nach seiner Verletzungspause noch deutlich von der gewohnten Form und Fitness entfernt, und weil Joshua Kimmich nicht mehr hinten aushelfen soll, blieb nur die Lösung mit Richards - und Flick nahm mit Zufriedenheit zur Kenntnis, dass der junge Mann nicht nur in der 36. Minute per Flanke ein Abseitstor von Thomas Müller einleitete.

Auch am Führungstreffer vier Minuten später war Richards beteiligt: Nach seiner Flanke kam Lewandowski zum Kopfball, Hertha-Keeper Alexander Schwolow konnte noch abwehren, aber dann zeigte Serge Gnabry, dass er auch in einem Brot-und-Butter-Spiel gedanklich auf Supercup-Niveau spielt. Er schaltete schneller als die Hauptstadt, flankte erneut, diesmal traf Lewandowski (40.). Auch Lewandowskis 2:0 (51.), einen knackigen Drehschuss aus 16 Metern, bereitete Richards mit einem Pass von außen vor.

Das ist ja Flicks Plan für jene Übergangstage, in denen seine Elf noch die mentale Champions-League-Sieger-Müdigkeit mit sich herumschleppt: Er vertraut den Qualitäten und der Seriosität seiner Führungsspieler. An den Rändern kann er immer mal rotieren, er kann auch mal ein, zwei Stammspieler draußen lassen, aber er achtet immer darauf, dass die Grundversorgung an Ernsthaftigkeit und Mentalität gewährleistet ist.

Mal kommt dann Kimmich und rettet das Spiel, mal kommt Lewandowski, oft ist Müller beteiligt, oft Gnabry. Das schien auch gegen eine Hertha zu reichen, die sich phasenweise gut verkaufte und auch ein frühes Abseitstor durch Cordoba verzeichnete (15.). Die Wucht des Mittelstürmers Jhon Cordoba stürzte die Abwehr des Champions-League-Siegers dann aber zunehmend in diverse Verlegenheiten, und es war auch Cordoba, der das Spiel mit dem Anschlusstor (Kopfball nach Freistoß, 59.) wieder spannend machte.

Umgehend zeigte sich, wie sehr Flicks Plan mit dem aktuellen Personal auf Kante genäht ist. Die Unkonzentriertheiten häuften sich mit jeder Minute, es wirkte, als schleppe die Elf immer noch die 120 Minuten vom Supercup-Spiel gegen Sevilla mit sich herum. Dem Herthaner Cunha reichte beim Ausgleich zum 2:2 (71.) ein hübscher Doppelpass mit Piatek, um sich lässig durch die bayerische Abwehr zu kombinieren. Aber wie gesagt, Flicks Plan: Irgendeiner der Großen hilft immer, diesmal war es Lewandowski, der nach Alabas Freistoß und Müller Ablage das 3:2 schaffte (85.). Der Siegtreffer also? Nein, noch nicht, Herthas Joker Ngankam schaffte per Kopf umgehend das 3:3, aber am Ende kam doch noch mal Robert Lewandowski ums Eck gebogen. In der Nachspielzeit gelang ihm per Elfmeter das 4:3. Puh. Geschafft.

Aber jetzt endlich ab in die Ferien, oder? Die Wahrheit ist: Es kommen jetzt erst mal drei Länderspiele.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2020
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