Leverkusen vor dem Spiel in Barcelona:"Wer weiß, wenn wir früh in Führung gehen..."

Bayer Leverkusen hofft beim Achtelfinal-Rückspiel der Champions League in Barcelona eigentlich nicht auf ein Wunder - oder vielleicht doch? Wichtiger als die Partie im Camp Nou scheint für die Vereinsoffiziellen die Gelegenheit, sich in der Bundesliga erneut für die Königsklasse qualifizieren zu können.

Philipp Selldorf , Leverkusen

Lars Bender sagt, dass es kein Wunder geben wird, weil es kein Wunder geben kann. Aber natürlich hofft er darauf, dass dieses Wunder trotzdem eintritt: "Wer weiß", sagt der Nationalspieler von Bayer Leverkusen, "wenn wir früh in Führung gehen. . ."

Für die großen Europapokal-Wunder war in Deutschland bisher Werder Bremen zuständig. Sie gingen als "Wunder von der Weser" in Serie und wurden zu einem beliebten Markenartikel. Nun bietet sich Bayer 04 Leverkusen beim Wiedersehen mit dem FC Barcelona die Gelegenheit, Unsterblichkeit zu erlangen, sie bräuchten lediglich das 1:3 aus dem Hinspiel umzubiegen.

Im Olymp der Wundertätigen dürften sie dann sogar herabschauen auf ihre ehemaligen Werkselfkollegen von Bayer Uerdingen, die vor 26 Jahren sechs Tore binnen einer Halbzeit schossen und sich mit einem 7:3 gegen Dynamo Dresden verewigten. Doch bis es so weit ist, begnügt sich Bayer damit, etwas kleinere Ambitionen zu formulieren. "Wir versuchen, ein würdiger Gegner zu sein", erklärte Sportdirektor Rudi Völler, während der Klubchef Wolfgang Holzhäuser entspannt bekanntgab, dieses sei ja nun die letzte Europacuptour im laufenden Betriebsjahr.

Man weiß nicht, wovon die Spieler träumen, wenn sie in Barcelona im schicken Hotel Juan Carlos V in ihren Betten liegen. Die Vereinsoffiziellen jedenfalls richten ihre Sehnsüchte weniger auf die Partie im Nou Camp als aufs nächste Punktspiel. Das eignet sich eher dazu, etwas Erstaunliches ins Werk zu setzen.

Bis zum Sieg gegen Bayern hätte ja niemand in Leverkusen geglaubt, dass Bayer 04 noch die Chance haben könnte, die Saison auf einem Champions-League-Platz zu beenden. Und so ist Barcelona, formell der Höhepunkt des Jahres, aus Sicht der Bayer-Realisten nicht mehr als ein festliches Trainingsspiel für die Begegnung mit Felix Magath und dem von ihm erschaffenen VfL Wolfsburg.

Einzig Gonzalo Castro hat seine ganz eigene Sicht auf den Abend. Für den 24-Jährigen ist der Ausflug nach Barcelona einerseits die Chance, dem vor dem Fernseher sitzenden Bundestrainer zu imponieren - und andererseits ein teures Unterfangen. Er hat mehr als 40 Tickets für die Partie gekauft, um im Nou Camp ein großes Familientreffen zu inszenieren.

Seine Mutter stammt aus dem katalanischen Gerona, weite Teile der Verwandtschaft sind dort zu Hause und reisen am Mittwoch an. Castro ist in Wuppertal geboren. Nachdem er in Jugendtagen ein paarmal zu Lehrgängen des spanischen Verbandes eingeladen wurde, hatte er sich den deutschen Juniorenteams angeschlossen, 2007 bestritt er fünf A-Länderspiele, seitdem keines mehr.

Castro will zur EM

Kenner, nicht nur in Leverkusen, halten das für einen Skandal, wofür sie aber nicht den Bundestrainer verantwortlich machen, sondern einzig Castro und seine unsteten Leistungen. Eine lokale Legende besagt, dass bisher nur dann eine Vorhersage über seinen Auftritt möglich war, wenn sich Joachim Löw zum Besuch ankündigte - dann spielte er verlässlich schlecht.

Nach jedem Länderspiel weist Rudi Völler aufs Neue darauf hin, dass Castro vor Wut ins Sofakissen beißen müsste, weil er wieder nicht mitgespielt habe. Tatsächlich verfügt er über technisches Geschick auf spanischem Niveau und außerdem über die Gabe, auf fast jeder Position einsetzbar zu sein.

Sein Naturell macht ihn zum Mittelfeldspieler, "Gonzalo muss kreuz und quer laufen und sich austoben können wie ein Fohlen", sagt Sportmanager Michael Reschke. Er kann sich auch als Rechtsverteidiger einordnen, auf dieser Position herrscht Notstand im Nationalteam.

In Leverkusen gibt es einige Spieler, die sich um den Aufschwung der vergangenen Wochen verdient gemacht haben. Der Rückkehrer Renato Augusto und der in England geliehene Kroate Corluca haben der Elf mehr Kreativität und Stabilität gegeben, aber die Besserung hat viel mit Gonzalo Castro zu tun, der allmählich zu einer Bedeutung gelangt, die seinen Fähigkeiten entspricht.

Neuerdings ist er sogar Kapitän. Castro hebt zwar hervor, er sei nur der Stellvertreter für Simon Rolfes, in Wahrheit ist der Amtswechsel das Zeichen für einen Wandel bei Bayer, der den alten Vorarbeiter in den Hintergrund gedrängt hat. Das neue, schnellere Bayer-Spiel hat Rolfes einen Stammplatz auf der Ersatzbank verschafft, am Ende könnte es ihn die Aufnahme in den EM-Kader kosten.

Für Castro ist die Reise zur EM "immer noch ein Traum", wie Reschke weiß. Dass dieser Traum eher in Erfüllung geht als der Traum von einem 3:0 im Nou Camp, darf als sicher gelten. Es sei denn, Bayer geht früh in Führung.

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