Leverkusen:Still zurück in die Spitze

13 12 2017 xjhx Fussball 1 Bundesliga Bayer 04 Leverkusen SV Werder Bremen emspor v l Lucas A

Treffen statt beleidigt sein: Lucas Alario, Torschütze beim 1:0 gegen Bremen, war zuletzt oft nur Ersatzspieler.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Dank der Aufbauarbeit von Trainer Heiko Herrlich ist Bayer auf Platz vier geklettert. Gegen Bremen stellt die Mannschaft unter Beweis, wie vielseitig sie spielen kann.

Von Ulrich hartmann, Leverkusen

Wer sehnt sich nach Jamaika, wenn er einen aufregenden Advent im Rheinland verbringen kann? Antwort: Leon Bailey. Leverkusen ist eine graue Arbeiterstadt, nicht zu vergleichen mit Kingston, Jamaika. Der dort geborene Bailey fliegt zu Weihnachten heim in die Karibik, sein Stürmerkollege Lucas Alario feiert bei seinen Lieben in Argentinien. Vermutlich tragen beide dann ihre roten Nikolausmützen mit dem Bayer-Wappen, die sie auch am Mittwochabend nach dem Spiel aufhatten. Bailey per Vorlage und Alario per Tor haben Leverkusen am Mittwoch nach eineinhalbjähriger Abstinenz zurück in die Champions-League-Zone der Bundesliga geschossen. Der 1:0-Sieg gegen Bremen war Bayers elftes Spiel in Serie ohne Niederlage. "So macht's Spaß", sagte Bailey. "Ich bin glücklich", sagte Alario. Beide grinsten.

Weihnachten in Leverkusen ist für die Publikumslieblinge trotzdem undenkbar, aber das muss ja auch nicht sein. Leverkusen ist Pendlerort für Tausende Bayer-Arbeiter und auch für Fußballer - bloß ohne Stechuhr. Als der Trainer Heiko Herrlich im vergangenen Juli aus Regensburg kam, um die brüchige Mannschaftsstruktur zu kitten und den abgestürzten Verein wieder ins obere Tabellendrittel zu führen, witterten Skeptiker anfangs nach nur vier Punkten aus fünf Spielen die nächste Bauchlandung eines Trainers in Leverkusen. Rudi Völler hingegen nicht - sagt er heute.

Sportdirektor Völler fand schon den Saisonstart "richtig gut" - nur die Punkte fehlten

Der Sportdirektor fand die Arbeit von Trainer und Mannschaft schon zu Saisonbeginn "richtig gut, auch wenn wir da noch nicht so viele Punkte geholt haben". Fünftletzter waren die Leverkusener am 20. September. Seither haben sechs Siege und fünf Remis 23 Punkte erbracht - und eine Kletterpartie auf den vierten Platz. Auch im Pokal ist gegen Union Berlin ein deutlicher Sieg geglückt, darum reist Bayer nächsten Mittwoch zum Achtelfinale nach Mönchengladbach. Drei Tage zuvor beschließt man in Hannover die Liga-Hinrunde. Spannende Aussichten bis zum Fest.

"Nachdem wir zu Saisonbeginn viel haben liegen lassen, ist jetzt der Hunger da - und ich hoffe, er bleibt noch ein bisschen", sagt Herrlich wie ein Meeresbiologe, der Seehunde aufgepäppelt hat. Er arbeitet tatsächlich mit vergleichbarer Hingabe. Herrlich, der gern seine Bibelfestigkeit beteuert, hat die aus vielen jungen Spielern bestehende Mannschaft zum Glauben erzogen - zum Glauben an sich selbst.

Bailey kann das bestätigen. Jedes Mal, wenn er nach einem Spiel Auskunft gibt, singt er ein Loblied auf den Teamgeist: "Wir sind sehr konzentriert und diszipliniert - von hinten bis vorne." Das traf auf die Partie gegen Bremen mit einer kleinen Ausnahme zu, nämlich jener, dass die Leverkusener beim Torabschluss gar nicht konzentriert waren, sonst hätten sie höher gewonnen. Hinten standen Jonathan Tah, Sven Bender und Panagiotis Retsos auch deshalb sehr sicher, weil Dominik Kohr und Julian Baumgartlinger vor ihnen schon fast alles abräumten.

Kein Reservist ist eingeschnappt, auch Siegtorschütze Alario hatte zuvor zweimal ausgesetzt

Normalerweise spielen dort Charles Aranguiz und Lars Bender, aber normalerweise spielen vorne auch Julian Brandt, Admir Mehmedi oder Kai Havertz. Diesmal machten Alario und Karim Bellarabi ihre Sache gut, und Herrlich hat mal wieder gesehen, dass er so ziemlich jeden bringen kann, weil offenbar keiner eingeschnappt ist, wenn er mal nicht spielt. Auch Alario hatte zuvor tapfer zweimal ausgesetzt.

So hat sich Leverkusen still und heimlich in die Spitzengruppe der Bundesliga zurückgeschlichen, weil die Branche damit beschäftigt war, die Krise in Dortmund zu beklagen und das Comeback von Schalke zu bejubeln. Jetzt spielen die selbsterklärten Werkskicker unter der Leitung ihres unprätentiösen Trainers plötzlich wieder mit im Konzert der Großen. Vom erfahrenen Völler bekommen sie den eindringlichen Rat, deswegen nicht durchzudrehen: "Wir gehen mit dieser Situation ganz vernünftig um", sagt Völler sehr freundlich. Aber jeder weiß auch, wie Völler klingt, wenn er es nicht mehr freundlich meint. Das wollen sich die Spieler sicher ersparen.

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