Leverkusens 2:2 in Leipzig:Zwischen Weltklasse und Wade

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Eine der Szenen des Spiels: Florian Wirtz landet auf dem Unterschenkel von David Raum. Für den Leipziger ein Foul, für den Schiedsrichter nicht. Leverkusen erzielte kurz darauf das 2:0. (Foto: O.Behrendt/Imago/Contrast)

Einerseits zeigt Florian Wirtz gegen Leipzig einmal mehr brillante Aktionen, andererseits wirft ihm David Raum „unsportliches Verhalten“ vor. Am Ende steht ein 2:2, das Torwart Hradecky „ärgerlich und unnötig“ nennt.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Die Stutzen des Leipziger David Raum hingen weit unten, als er am Samstagabend in der Mixed Zone stand. Das bot die Gelegenheit, um einen Zweifel auszuräumen: Die vielen Tattoos, die seine rechte Wade schmücken, waren unbeschadet geblieben. Nach einer Schlüsselszene aus der just beendeten Partie gegen Bayer Leverkusen hatte man diesbezüglich schon zweifeln können, so sehr wie sich Raum vor Schmerz gekrümmt hatte. „Ein paar Abdrücke von Flos Schuh habe ich schon noch“, sagte Raum– und genehmigte sich überdies die Übertreibung, dass er die Szene, in der ihm „Flo“, also Florian Wirtz, „zwei Sekunden auf der Wade stand“, für „spielentscheidend“ hielt.

Die Szene, sie hatte sich unmittelbar vor Leverkusens 2:0-Führung zugetragen, die Leverkusen gegen RB Leipzig dann noch aus der Hand geben sollte. Anders als unter der Woche im Estadio Metropolitano von Atlético Madrid (1:2) gingen den Leverkusenern in Leipzig zwar nicht alle Punkte verloren. Durch das 2:2 wuchs der Abstand des amtierenden deutschen Meisters zum Liga-Spitzenreiter FC Bayern München aber wieder auf sechs Punkte an.

„Das Ergebnis könnte besser sein. Aber am Ende auch schlechter“, sagte Bayer-Trainer Xabi Alonso. Er spielte auf die großen Torgelegenheiten an, die seine Mannschaft insbesondere nach der Pause liegengelassen hatte: „Wir hatten die Chancen, das Spiel zu killen“. Das traf vor allem auf den Argentinier Exequiel Palacios zu, der aufs nahezu leere Tor schoss, dabei den Kopf von Leipzigs Raum traf (47.). Nach 66 Minuten vergab er eine weitere Großchance. Auch auf Florian Wirtz, der das gute Spiel phasenweise um brillante Einlagen bereicherte und zwei Assists lieferte, traf drei Mal den Pfosten.

Es sei „eine Verwunderbarung“, Wirtz bei der Arbeit zuzuschauen, wortschöpfte Leverkusens finnischer Tormann Lukas Hradecky nach der Partie. Er dürfte damit auch einem der zahlreichen Ehrengäste auf der Leipziger Tribüne aus der Seele gesprochen haben: Bundestrainer Julian Nagelsmann, der ob der starken Darbietungen seiner Nationalspieler Wirtz und Raum als weiterer Tagessieger in Leipzig gelten darf, neben dem FC Bayern.

Zum ersten großen Protagonisten der Partie schwang sich Wirtz allein schon durch den Führungstreffer auf, der einer der „vier, fünf Toptoptop-Weltklasseaktionen“ entsprang, wie sein Trainer Alonso später loben sollte. Nicht nur das erfüllte den Basken mit Genugtuung. Der Prolog des Tores gereichte ihm zum Beweis dafür, dass Wirtz auch in den kleinen Dingen an Reife gewinnt.

Unter der Woche hatten die Leipziger getönt, dass sie Leverkusen mit den gleichen Waffen begegnen wollten, die am Dienstag in der Champions League dazu geführt hatten, dass Atlético eine Führung drehte. Wirtz hatte Leipzigs Kapitän Willi Orban an der Außenlinie nun einen kleinen Rempler verpasst; Orban mimte danach den Meister des „anderen Fußballs“, wie Atlético-Legende Luis Aragonés es nannte, wenn man den Gegner mit unlauteren Mitteln aus der Fassung zu bringen versucht.

Wirtz kurvt über den Rasen, als würde er eine Eiskunstlaufkür aufführen

Orban schaute Wirtz also tief in die Augen, sagte ihm ein paar Dinge, die einschüchternd sein sollten, und legte seine Stirn an die Stirn von Wirtz. Doch siehe: Wirtz zeigte sich unbeeindruckt, was Alonso darauf zurückführte, dass die Partie in Madrid „ein guter Unterricht für ihn“ gewesen war. Wirtz kurvte also, als er den Ball bekommen hatte, über den Rasen, als würde er nicht Fußball spielen, sondern bei „Holiday On Ice“ auftreten. Mehr noch: Er schickte ausgerechnet Orban mit einer Körpertäuschung fast auf den Boden, ließ Arthur Vermeeren ins Leere rutschen – und setzte den Ball an den Pfosten. Den Abpraller verwandelte Patrik Schick (18.).

Argumenteaustausch in der Nahdistanz: Willi Orban und Florian Wirtz. (Foto: CSM/Zuma Press Wire/Imago)

Das zweite Leverkusener Tor wiederum führte die beiden Protagonisten der Partie zusammen: Wirtz und Raum. Und auch hier war der Prolog fast wichtiger als der Treffer. Raum grätschte mit einigermaßen gestrecktem Bein in Wirtz hinein, dieser sprang hoch und landete auf der Wade von Raum. Ob Wirtz wirklich derart ausgiebig auf dem Bein von Raum balancieren musste, wie er es tat, war dann die Frage, die viele Betrachter entzweite. „Zweikampf“, sagte Alonso. Der gerade erst von einer Verletzung genesene Raum hingegen sprach von „unsportlichem Verhalten“, ohne weiteren Groll zu hegen.

In jedem Fall ließ der Referee weiterspielen, und nachdem die Leipziger die Kontrolle über den Ball hatten, hielt es Vermeeren für eine gute Idee, ihn Wirtz in die Füße zu spielen. Wirtz bediente den spanischen Mittelfeldspieler Aleix García, der zum 2:0 einschob (36.).

Dann aber schlug Leipzig zurück: durch einen Freistoß, den Raum nahezu direkt verwandelte. Leverkusens Verteidiger Piero Hincapié lenkte den Ball unerreichbar für Hradecky ab. „Ich glaube, mit der Klärungsaktion (gegen Palacios, Anm.) und dem Freistoß habe ich es denen ein wenig zurückgezahlt“, erzählte Raum später beseelt. Er triumphierte auch deshalb, weil sich den Freistoß nicht nehmen ließ, obwohl Xavi Simons und Lois Openda ebenfalls Ansprüche gestellt hatten. Auch beim Ausgleichstreffer war ein Leverkusener entscheidend beteiligt: Verteidiger Edmond Tapsoba lenkte einen Freistoß von Simons ins eigene Tor (85.).

„Ärgerlich und unnötig“, nannte das Leverkusens Torwart Hradecky später, schließlich hatte man den Traum von der Titelverteidigung durch zuletzt acht Siege nacheinander in der Liga wieder genährt. „Hoffentlich können wir weiterhin um das Größte kämpfen“, sagte Hradecky noch. Doch die Bayern sind vorerst enteilt.

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