Leverkusen:Leidfigur

6 Februar 2016 Leverkusen Bay Arena Fussball 1 Bundesliga Bayer 04 Leverkusen FC Bayern Muen; Kießling

Am Boden: Stefan Kießling kann nicht gut sitzen, optimal laufen auch nicht. Bayer unterstützt ihn aber vorbildlich.

(Foto: imago/photoarena/Eisenhuth)

Stürmer Stefan Kießling plagen seit einem Zweikampf schlimme Hüft- und Rückenprobleme - ein Karriere-Ende schließt er nicht mehr aus.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Der Mittelstürmer Stefan Kießling ist diesen Sommer noch mal kurz ins nationale Fußball-Bewusstsein gerückt. Das lag daran, dass sich die deutsche Mannschaft bei der Europameisterschaft in Frankreich mit dem Toreschießen schwer getan hat. Nach dem Halbfinal-Aus war die Frage aufgekommen, wo es jetzt überhaupt noch gute Vollstrecker gebe, und da ist der Name Kießling in der großen Debatte auch noch einmal kurz gefallen. Der gebürtige Franke von Bayer Leverkusen ist 32 Jahre alt, sein fortgeschrittenes Alter war bekannt, aber niemand wusste, dass Kießling seit einiger Zeit nicht mal mehr fünf Minuten auf einem gemütlichen Sofa sitzen kann, ohne seine Sitzposition ändern zu müssen.

Kießling hat Schmerzen in der Hüfte und im Rücken, er kann nicht gut sitzen, er kann nicht optimal laufen, richtig trainieren kann er schon gar nicht. Im Trainingslager im österreichischen Zell am See konnte er nicht ein einziges Mal mit der Mannschaft üben, er wird auch nicht mitspielen, wenn die Leverkusener am 21. August zum Pokalspiel beim Fünftligisten in Hauenstein gastieren sowie zum Bundesliga-Auftakt am 27. August in Mönchengladbach. Der Rheinischen Post hat er ein bemerkenswertes Interview gegeben, das zwar kämpferisch klingt, aber auch schon ein bisschen wehmütig. "Ich gebe alles dafür, dass meine Karriere kein blödes Ende nimmt", das war der zentrale Satz. Stefan Kießling kämpft gegen ein vorzeitiges Karriere-Ende. Er kann und will es jetzt nicht mehr ausschließen.

Am 25. Februar um 20.16 Uhr war Kießling in der Leverkusener BayArena nach einem eher harmlos anzuschauenden Zweikampf auf den Rasen gekracht. In der 63. Minute musste er ausgewechselt werden, immerhin hat seine Mannschaft das Rückspiel im Sechzehntelfinale der Europa League gegen Sporting Lissabon trotzdem mit 3:1 gewonnen. Für Kießling aber ist seit jenem Sturz auf die Hüfte nichts mehr so wie zuvor, er nennt diesen Sturz heute "den Knackpunkt". Seither schmerzen Hüfte und Rücken, Ende der vergangenen Saison hat Kießling nur noch zwei Pflichtspiele über die volle Länge machen können; zwar hatte er die Hoffnung, dass sich die Probleme im Urlaub verflüchtigen, doch der Wiedereinstieg ins Training brachte die schmerzliche Erkenntnis, dass es nicht besser geworden ist. Nun arbeitet er daran, wieder voll belastbar und schmerzfrei zu werden. Wie lange das dauert? Ob es überhaupt gelingt? Alles offen.

"Vorher", sagt Völler, "soll er ein paar Törchen für uns schießen."

Rudi Völler spendet ihm dabei Trost und Zuversicht. "Mental geht es dem Stefan jetzt schon wieder besser", sagt Leverkusens Sportdirektor, das habe nach der von Schmerzen begleiteten Rückkehr aus dem Urlaub noch anders ausgesehen. Dass Kießling Fahrrad fahren und leichtes Lauftraining absolvieren kann, ermöglichte ihm eine Spritzenkur. "Wir geben ihm alle Zeit, die er braucht", sagt Völler, "wir machen ihm keinen Druck, denn man darf nicht zu früh wieder einsteigen."

Kießlings Zeit in Leverkusen wäre in der vergangenen Winterpause beinahe schon zu Ende gegangen. Er stand vor einem Wechsel zu Hannover 96. Er war kaum noch zum Einsatz gekommen, weil Trainer Roger Schmidt mit nur einer Spitze spielen ließ und dabei auf den Mexikaner Javier "Chicharito" Hernandez setzte. Für Kießling war kaum mehr Platz. Doch dann änderte Schmidt seine Strategie, brachte Kießling und Chicharito als Doppelspitze und trug damit dazu bei, dass Kießling seinen Vertrag sogar verlängerte. Der Spieler und der Klub sind nun bis 2018 miteinander verabredet, und es soll bloß keiner glauben, der Manager Völler ärgere sich über diese Vertragsverlängerung, jetzt, da Kießlings Karriere ins Wanken gerät.

"Schon bei der Vertragsverlängerung war ein Thema, dass Stefan im Anschluss eine Funktion im Verein bekommen soll", sagt Völler. Kießling spielt seit zehn Jahren in Leverkusen, er ist für Fans und Spieler Identifikations- und Leitfigur, wenn auch momentan eher eine Leidfigur. "Wir brauchen ihn noch, auch sportlich", sagt Völler, "wir werden viele englische Wochen haben, da wird Stefan mit seiner Erfahrung, seiner Kampfkraft und seiner Kopfballstärke benötigt."

Kießling ist mit 32 Jahren, 375 Bundesliga- und sechs Länderspielen aber nur noch Ergänzungskraft. Der für 20 Millionen Euro aus Hoffenheim geholte Kevin Volland reklamiert für sich den Startplatz neben Chicharito, der offenbar nun doch in Leverkusen zu verbleiben gedenkt, obwohl er immer wieder mit angeblichen Angeboten namhafter Klubs kokettiert. Schon schieben Bayers Verantwortliche den 21-jährigen Finnen Joel Pohjanpalo ins Rampenlicht. Er war bislang an den VfR Aalen und Fortuna Düsseldorf ausgeliehen, gilt laut Geschäftsführer Jonas Boldt nun aber als Sturmalternative, "solange Stefan nicht fit ist und keiner weiß, in welche Richtung es mit ihm geht".

Kießling versucht derweil, seinen Frieden mit einem möglichen Karriereende zu machen. "Wenn die Schmerzen zu groß sind und ich merke, dass ich zu häufig aussetzen muss, dann muss ich wohl so ehrlich zu mir selbst sein zu sagen: Es hat keinen Sinn mehr." Ausgerechnet vor einer Saison, die in Leverkusen als verheißungsvollste der jüngeren Zeit gilt, plagen Bayers Leitfigur solche Sorgen. Völler tröstet Kießling mit der Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung, aber vorher, sagt Völler, "soll er noch ein paar Törchen für uns schießen".

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