Leverkusen:Kellerkinder nun erwachsen

Borussia Mönchengladbach - Bayer Leverkusen

Karim Bellarabi (rechts) umkurvt Gladbachs Torwart Yann Sommer und sorgt für Leverkusens nächsten Kantersieg.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Angeführt vom Serien-Torschützen Karim Bellarabi zeigen Leverkusens Talente nach dem 6:2 in Bremen auch beim 5:0 im DFB-Pokal in Mönchengladbach, was für ein Offensivspektakel sie zünden können.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Zu vier Spielen Quarantäne war Karim Bellarabi vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) verdonnert worden. Der FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß hatte ihm bekanntlich die Diagnose "geisteskrank" ausgestellt, weil Bellarabi dem Münchner Abwehrspieler Rafinha mit einem rüden Tritt das Sprunggelenk beschädigte. Seine Sperre nutzte der Flügelstürmer von Bayer Leverkusen offenbar zur Reflexion. Geläutert und voller Tatendrang steuerte er anschließend zum 2:2 gegen Hannover den späten Ausgleich bei, zur 2:3-Niederlage in der Europa League beim FC Zürich beide Treffer und zum 6:2-Sieg in Bremen ein Tor und zwei Vorlagen. Beim 5:0-Sieg im Pokalspiel bei Borussia Mönchengladbach gelangen dem 28-Jährigen nun zwei weitere Tore, womit seine Bilanz lautet: vier Spiele, sechs Treffer, zwei Torvorlagen. Geisteskrank oder vielleicht doch genial? Bellarabi jedenfalls ist das Gesicht des Leverkusener Comebacks.

Bayers Fußballer wirkten angesichts ihres plötzlichen Erfolgs und der beiden Kantersiege verwirrt. "Bloß fünf Tore, nicht noch mal sechs - da bin ich aber enttäuscht", witzelte am Mittwochabend Torwart Lukas Hradecky. "Totaler Wahnsinn", sagte Julian Brandt. Weil aus den glückstrunkenen Spielern zunächst kein vernünftiges Wort herauszubringen war, erhoffte man sich eine seriöse Analyse vom Manager Rudi Völler. Er rang nach Worten, dann sagte er: "Tja, was soll man da sagen?"

Themenwechsel im Bayer-Werk: Endlich wird die Trainerfrage nicht mehr gestellt

Bis vor einer Woche war Leverkusen ein tristes Kellerkind mit einem gefährdeten Trainer Heiko Herrlich und Borussia Mönchengladbach ein stolzer Champions-League-Kandidat mit einem Übungsleiter Dieter Hecking, dessen Vertragsverlängerung nur noch eine Formalie zu sein schien. Dann verlor Gladbach 1:3 in Freiburg und Leverkusen gewann 6:2 in Bremen. Momentaufnahmen? Vor dem Pokalspiel wurde jedenfalls anlässlich des zehnjährigen Dienstjubiläums von Gladbachs Sportdirektor Max Eberl daran erinnert, dass dieser doch endlich mal einen Pokal in die Höhe stemmen wolle. Der nächste Schritt zu diesem Ziel schien gangbar zu sein, Gladbach hatte alle vier Bundesliga-Heimspiele zuvor gewonnen. Aber nach fünf Minuten führte Leverkusen 1:0 durch Brandt. Gladbach rannte an, doch Tin Jedvaj erhöhte auf 2:0 (45.). Gladbach rannte noch wütender an, doch Bellarabi erhöhte auf 3:0 (67.) und 4:0 (74.). Schließlich war Gladbach entnervt, und Kevin Volland erhöhte auf 5:0 (80.).

Vor drei Jahren war Gladbach im Achtelfinale daheim an Werder Bremen gescheitert, vor zwei Jahren im Halbfinale daheim an Eintracht Frankfurt und vor einem Jahr im Achtelfinale daheim auch schon an Leverkusen. Seit Eberl bei der Borussia die sportlichen Geschicke lenkt, ist der Klub sechsmal vor eigenem Publikum aus dem Pokal geflogen - 2012 gegen Bayern München und 2017 gegen Frankfurt sogar erst im Halbfinale im Elfmeterschießen. Es ist zum Heulen für die Borussen. Nun aber stehen sie unter einem Ergebnisschock: "Das ist eine herbe Niederlage, aber wir dürfen das jetzt nicht zu hoch hängen", sagte Kapitän Lars Stindl.

Im Gegenschnitt fahndeten die Leverkusener nach den Gründen für ihre blitzartige Wende. Hatten sie doch ihre ersten drei Ligaspiele verloren, und als sie sich nach Siegen gegen Mainz und Düsseldorf wieder gefangen zu haben schienen, ging die Talfahrt mit einer Niederlage (Dortmund) und zwei Unentschieden (Freiburg, Hannover) weiter. "Uns fehlen Selbstvertrauen und Leichtigkeit", wiederholte Trainer Herrlich tagelang, weshalb es nur logisch war, dass er nach dem Sieg in Gladbach beschied: "Ich habe immer gesagt, dass man sich Selbstvertrauen und Leichtigkeit nur durch gute Ergebnisse holen kann."

Hilfestellung erhielten sie dabei von Bremern und Gladbachern, die ihnen naiv und mit Fehlpässen in die Falle gingen. Bayers Offensivkraft Brandt fragt sich jetzt, ob das System jetzt gegen Hoffenheim und dann gegen Leipzig auch noch funktionieren kann, "denn unsere Spiele waren ja im Fernsehen zu sehen". Noch trauen die Leverkusener ihrer eigenen Formkurve nicht so recht. "Wie Kinder", sagt Brandt, habe man zuvor häufig gespielt, "jetzt spielen wir erwachsener."

Doch diese Elf dürfte von Launen geprägt bleiben. Der letztjährige Senkrechtstarter Leon Bailey kommt momentan kaum zum Einsatz und denkt offenbar an Abschied. Herrlich hat also noch manches Problem zu lösen. "Den neuen Schwung wollen wir jetzt aber auf jeden Fall erst mal mit ins Spiel gegen Hoffenheim nehmen", sagt der Trainer über ein Spiel, das eine Attraktion zu werden verspricht: In den bisher 21 Duellen fielen 68 Tore - diese Quote könnte sich noch mal erhöhen.

Am Ende, beim Auszug der Gladiatoren, hatte sogar Rudi Völler zurück zu bekannter Wortgewalt gefunden: "Elf Tore in drei Tagen - wir haben eine tolle Truppe und große Moral." Erleichterung war auch deshalb herauszuhören, weil Völler an diesem Abend endlich einmal niemand eine scharfe Frage nach der Zukunft vor Trainer Heiko Herrlich stellte.

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