Leverkusen in der Champions League:Befreit vom zentnerschweren Druck

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Gefeiert bei der Auswechslung: Stefan Kießling

(Foto: AFP)

Es dürfte Stefan Kießling einige Überwindung gekostet haben, nach seinem Phantomtor auf den Fußballplatz zurückzukehren. Doch Leverkusens Stürmer zeigt sich in der Champions-League-Partie gegen Donezk unbeeindruckt - und plötzlich ist das Achtelfinale wieder ganz nah.

Von Lisa Sonnabend

In der 76. Minute hatte Stefan Kießling genug getan. Er schritt zur Bank, den Zeigefinger nach oben gestreckt. Die 25.000 Zuschauer in der Leverkusener Arena klatschten, sie erhoben sich. 4:0 stand es in der Champions-League-Partie zwischen Leverkusen und Schlachtjor Donezk - an allen Treffern war Kießling beteiligt gewesen. Der 29-Jährige grinste, er war zufrieden.

Stefan Kießling hat am Mittwochabend die beste Antwort gegeben, die ein Spieler in einer misslichen Lage wie seiner geben kann. Erst fünf Tage war es her, dass der Stürmer sich wegen seines Phantomtors einen Platz in den Fußball-Annalen gesichert hatte. In der Bundesligapartie gegen Hoffenheim köpfelte der Stürmer den Ball am Tor vorbei, doch durch ein Loch im Außennetz fand dieser doch noch einen Weg in den Kasten.

Seitdem musste sich der 29-Jährige viel Kritik anhören: Viele Fußballfans und ein paar Fachleute monierten, Kießling hätte merken und zugeben müssen, den Treffer nicht korrekt erzielt zu haben. Mehrmals sah Kießling sich gezwungen, Stellung zu nehmen. Zuletzt verteidigte er sich im vereinseigenen TV-Sender: "Ich habe den Einschlag nicht gesehen. Als ich mich gedreht habe, war der Ball im Tor. Das war für mich genauso überraschend wie für alle anderen auch."

Es dürfte Stefan Kießling also einige Überwindung gekostet haben, am Mittwoch erneut einen Fußballplatz zu betreten. Viele Kameras waren auf ihn gerichtet, Kießling blickte unsicher, verloren in den Leverkusener Industriehimmel. Doch die Zuschauer klatschten aufmunternd, sie skandierten seinen Namen. In der Fankurve hing ein Transparent, auf dem stand: "Stefan Kießling - Kämpfer, Identifikationsfigur und Persönlichkeit". Es war ein schwerer Auftritt für Kießling, doch seine Anhänger machten es ihm zumindest ein bisschen leichter.

Die ersten Minuten der Partie wirkte Kießling bedächtig, wie seine Teamkollegen. In der 22. Minute segelte eine Flanke von Giulio Donati in den Strafraum. Kießling überlegte nicht lange. Diesmal bugsierte er den Ball nicht ans Außennetz, sondern direkt ins Tor. Ein einwandfreier Treffer, auch wenn Donezk-Torwart Andriy Pyatov arg behäbig aussah. Kießling rutschte auf den Knien über den Rasen, der Mund war weit aufgerissen, die Hände waren zu Fäusten geballt. So sieht jemand aus, von dem gerade zentnerschwerer Druck abfällt.

Ein harter Typ

In der 50. Minute stieß Kießling dann im Strafraum mit einem Gegenspieler zusammen, der Schiedsrichter entschied: Elfmeter. Der war zwar nicht unbedingt berechtigt, doch Simon Rolfes sorgte damit für die Vorentscheidung. In der 57. Minute eroberte Kießling schließlich im Mittelfeld den Ball, der über Son Heung-Min und Sidney Sam im Tor landete. Das 4:0 in der 72. Minute erzielte Kießling dann wieder selbst: Der Donezk-Torwart ließ den Ball abprallen, Kießling war zu Stelle und spitzelte ins Netz. Das Stadion jubelte, Kießling hatte Leverkusen zurück ins Champions-League-Geschäft geschossen. Mit sechs Punkten liegt die Werkself in Gruppe A nun auf Platz zwei, nur einen Punkt hinter Manchester United.

Während der FC Bayern München nach dem Schlusspfiff erneut über den schmollenden Arjen Robben im Elfmeter-Theater diskutierte, war es Kießling eindrucksvoll gelungen, seinen Klotz bereits nach einem Spiel wieder aus der Welt zu schaffen. Am Morgen danach schrieb er auf seiner Facebook-Seite: "Mir fehlen etwas die Worte. Ich kann mich nur bei euch bedanken. Das tat so gut, was ihr für mich gemacht und getan habt." Er hat sicherlich gut geschlafen in dieser Nacht.

Die einzige negative Nachricht: Kießling musste am Donnerstag eine Trainingspause einlegen, eine alte Wunde am Fuß war wieder aufgebrochen und musste geklebt werden. Ob er am Samstag gegen den FC Augsburg spielen kann, ist unklar.

Kapitän Simon Rolfes lobte seinen Kollegen nach der Partie: "Nach den ganzen Diskussionen hat Stefan eine Topleistung abgeliefert, das ist bemerkenswert." Torwart Bernd Leno befand: "Es zeichnet ihn aus, dass er sich in so einer schweren Situation durchsetzen kann." Und Sportchef Rudi Völler wirkte erleichtert, als habe er tagelang mit Kießlings Hand gehalten: "Ich habe mich unwahrscheinlich für Stefan Kießling gefreut. Was auf ihn in den letzten Tagen eingeprasselt hat, war schon sehr heftig. Da muss man schon hart sein, um das wegzustecken."

Kießling - ein harter Kerl? Bislang galt der 29-Jährige als ruhiger, nachdenklicher Typ, der immer ausgerechnet dann eine etwas unglückliche Leistung abliefert, wenn Bundestrainer Joachim Löw im Stadion sitzt. Doch Dinge können sich manchmal eben schnell ändern, das hat Kießling an diesem Mittwochabend beweisen. Vielleicht hat Löw wenigstens per Fernseher zugesehen.

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