Leverkusen in der Champions League:Bayer will sich mit Glamour schmücken

Bayer 04 Leverkusen - SC Freiburg

"Es fehlt mal ein Kracher, den man uns nicht zutraut": Leverkusen will mal wieder auffallen.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)
  • In Madrid hat Leverkusen gute Chancen, das Viertelfinale der Champions League zu erreichen.
  • Die Verantwortlichen wünschen sich endlich mal wieder einen "Kracher"-Auftritt in Europa.

Von Philipp Selldorf

Vor knapp drei Wochen wurde Rudi Völler nachgesagt, er habe bei Bayer Leverkusen einen zweiten Job angenommen. Außer als Sportdirektor fungiere er neuerdings als persönliche Leibgarde für Roger Schmidt, indem er dem Trainer durch unentwegte Fürsprache zur Seite stehe. Schmidt schien einen Beschützer damals nötig zu haben, nachdem sich Bayer in den fünf Bundesligaspielen nach der Winterpause mit fünf Punkten hatte bescheiden müssen.

Schon war vom typischen Leverkusener Frühjahrssyndrom zu hören, aber inzwischen haben selbst die durch jahrelange Enttäuschungen versierten Skeptiker im Freundeskreis des Klubs das Meckern eingestellt. Stattdessen ist es jetzt so, dass Roger Schmidt ziemlich allein dasteht, wenn er meint, dass sein Team beim Wiedersehen mit Atlético Madrid am Dienstag als Außenseiter ins Stadion Vicente Calderon einziehen werde.

Außenseiter? Eine Elf, die zuletzt fünfmal hintereinander gewonnen, elf Tore geschossen und keins kassiert hat? Schmidt, der bislang eher im Verdacht stand, ein Aufschneider zu sein, scheint auf einmal durch Understatement auffallen zu wollen.

Lang genug träumt Bayer 04 davon, nicht nur durch die schlaue Personalpolitik und stabile sportliche Bilanzen Anerkennung im Expertenstand zu erhalten. Man möchte sich endlich wieder mit ein wenig Glamour schmücken und beim gemeinen Fußballvolk für Aufsehen sorgen, die Rolle des stillen Spitzenklubs im Schatten der Prominenten aus München, Dortmund und Schalke genügt den Rheinländern nicht mehr.

"Es fehlt mal ein Kracher, den man uns nicht zutraut", hat am Wochenende Michael Schade gesagt, der im Verein ebenfalls in einer Doppelfunktion beschäftigt ist: Als Geschäftsführer und als hauptamtlicher Bayer-Fan. Vor 13 Jahren stand der Klub zum letzten Mal im Viertelfinale der Champions League, seitdem war spätestens im Achtelfinale Schluss. Diesmal ist Bayer, mit dem 1:0-Hinspielsieg im Rücken, die Kraft zum Coup zuzutrauen.

Zumal da der amtierende spanische Meister und Vorjahresfinalist Atletico zurzeit etwas ermattet wirkt und am Dienstagabend zwei zentrale Stützen der Deckung ersetzen muss, Godin und Tiago sind gesperrt. "Das 1:0 ist ein Vorteil für uns", sagt Angreifer Josip Drmic, "wenn wir in Madrid noch ein Tor schießen, dann viel Spaß Madrid."

Zum neuen Erscheinungsbild der Elf hat Drmic einiges beigetragen. Auch beim 4:0 gegen den VfB Stuttgart am Freitag machte er sich durch Tore verdient, doch seine regelmäßigen Treffer sind nicht der entscheidende Grund, warum er neuerdings den Vorzug vor dem Lokalmatadoren Stefan Kießling erhält. Der 22-jährige Drmic passt durch sein Tempo, seine gehobene Technik und seine gekonnten Positionswechsel besser zum flinken Spiel der Leverkusener als der 31-jährige Kießling, der seine Herkunft als Strafraumstürmer nicht verleugnen kann.

Drmic zum Glück gezwungen

Dabei hatte der Schweizer Nationalspieler, im Sommer für knapp sieben Millionen Euro aus Nürnberg gekommen, bis zur Winterpause ein Nebendarsteller-Dasein im Kader geführt, am oft glücklosen, aber immer vorbildlich schuftenden Kießling kam er nicht vorbei. Drmic war unglücklich und sah sich versucht, den Verein nach einem vermeintlich vergeudeten halben Jahr zu verlassen, er war sogar zum Wechsel nach Hamburg bereit.

Doch während der HSV energisch um den Transfer kämpfte, waren die Verantwortlichen bei Bayer so schlau, Drmic seinen Wunsch auszureden. Im Trainingslager in Florida habe er nahezu täglich auf Drmic eingewirkt, hat Manager Jonas Boldt erzählt: "Manchmal muss man einen Spieler zu seinem Glück zwingen."

Schon in Paderborn und Salzburg, wo er in früheren Tagen lehrte, galt Schmidt als Trainer, der Spieler auf freundschaftliche Art zu besonderen Leistungen führen kann. Gegenwärtig könnte man den Eindruck haben, dass er dieses Talent in Leverkusen auf europareifes Niveau führt. Zeugen gibt es einige: außer dem Spätzünder Drmic zum Beispiel der zuverlässig besser werdende brasilianische Linksverteidiger Wendell oder der Flügelstürmer Karim Bellarabi, der in seinem dauerhaften Form-Hoch ebenso unentbehrlich ist wie der Spielmacher Hakan Calhanoglu.

Dem (sehr) ehemaligen Nationalspieler Roberto Hilbert, 30, hat Schmidt als Rechtsverteidiger zu einer Geltung verholfen, die dieser vermutlich selbst nicht für möglich gehalten hätte. Mehr als ein Jahr lang war Hilbert bei Bayer ein Ergänzungsspieler, der vor allem durch die seltsame Neigung auffiel, der Gegenseite durch irrationale Hand- und Foulspiele zu Elfmetern zu verhelfen.

Jetzt hat Schmidt feststellen dürfen, er wisse gar nicht, "ob es im Moment einen besseren deutschen Außenverteidiger gibt" - und das ist möglicherweise nicht mal Angeberei. Hilbert beweise, dass sich auch Profis in fortgeschrittenem Alter weiterentwickeln könnten, findet der Trainer. Prompt hat der Klub die Vertragsverlängerung signalisiert.

"Wir wissen, dass wir Großes leisten können", hat Simon Rolfes auf dem Weg nach Madrid verkündet. So viel zur aktuellen Stimmung. Noch allerdings warten die alten Skeptiker in Leverkusen lieber darauf, was er auf der Rückreise zu sagen hat.

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