Leverkusen:Hilflos in der Achterbahn

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Unglückssonntag eines Torhüters: der Leverkusener Lukas Hradecky nach dem 1:0 für Leipzig.

(Foto: Sven Sonntag/imago/Picture Point LE)

Kritik von Stürmer Volland am Team, Kritik von Sportchef Völler an Volland - und der Trainer unter Druck: Bayer 04 rätselt über das 0:3 in Leipzig.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Die Partie war lange vorüber und die ersten Leverkusener Profis - der Kroate Jedvaj und die Österreicher Baumgartlinger und Dragovic - bereits zu ihren Nationalteams unterwegs, als die Verantwortlichen von Bayer 04 noch immer beieinander standen im Halbdunkel des Tunnels, der unter der Leipziger Arena hindurchführt, vor dem Zugang zur Kabine. 0:3 (0:1) hatte ihre Mannschaft bei RB Leipzig verloren, und das in einer Weise, die nicht nur wegen der deutlichen Tordifferenz ernüchternd war, sondern auch wegen der dürftigen spielerischen Vorstellung.

Rudi Völler, der Geschäftsführer Sport, und Manager Jonas Boldt schauten auf ihre Handys, beratschlagten, gingen auseinander, kamen wieder zusammen und schienen sich keinen Reim auf eine Elf machen zu können, die sich so unberechenbar gebärdet wie ein nicht zugerittenes Pferd.

Einerseits ist Leverkusen vorzeitig für die K.o.-Phase der Europa League und nach einem furiosen 5:0 in Mönchengladbach für das Achtelfinale des DFB-Pokals qualifiziert. Zwischendrin wurde auch noch Bremen auswärts 6:2 besiegt (und in die Krise geschickt). Nun aber gab es in Leipzig ein 0:3, das auf ein 1:4 gegen Hoffenheim folgte. "Diese Achterbahnfahrt haben wir die ganze Zeit. Bisher haben wir die Kurve immer zur rechten Zeit bekommen", hofft Bayer-Coach Heiko Herrlich.

Nur: In der Tabelle nimmt das alles immer bedrohlichere Züge an. Mit nur elf Punkten aus elf Spielen und schon 24 Gegentoren hinkt Leverkusen den eigenen Zielen "meilenweit" hinterher, wie Stürmer Kevin Volland einräumte. Allmählich muss sich Bayer darum kümmern, ein Punktepolster anzuhäufen, um nicht in den Abstiegskampf zu galoppieren. Der Relegationsplatz ist nur zwei Zähler entfernt. "Jetzt kommen Spiele, in denen wir definitiv unter Zugzwang sind", sagte Herrlich mit Blick auf die Partien gegen die Kellerkinder Stuttgart, Nürnberg und Augsburg. Dabei hatten seine Chefs im Sommer öffentlich von einer Qualifikation für die nächste Champions League geträumt.

Im Lichte des Auftritts in Leipzig wirkt das wie ein Schimäre. Alle Leipziger Treffer - durch Yussuf Poulsen (27./85.) und Lukas Klostermann (68.) - entstanden nach Einwürfen. Besonders ärgerte Herrlich, dass eine Szene haargenau einer Einwurfvariante entsprach, die Bayer selbst einstudiert. "Die Niederlage ist absolut verdient. Wir haben keine Struktur in unser Spiel bekommen und hatten einen schlechten Spielaufbau", gestand der Coach ein.

Am schlimmsten wirkte das alles nach der Halbzeitpause, als die Leipziger das perfide Mittel des Ballverzichts nachgerade aufreizend zur Anwendung brachten und den Leverkusenern schlicht nichts einfiel, was sie mit dem Ball hätten anfangen können. Angreifer Volland, der sich als einer der wenigen Profis den Medien stellte, ging mit seinem eigenen Team in einer derart offenen Weise ins Gericht, dass man kaum glauben wollte, man höre einem aktiven Fußballprofi zu: "Unter dem Strich stand gar nichts", sagte Volland und meinte damit nicht bloß Punkte- und Torausbeute, sondern ebenfalls die fehlende Struktur: "Es war kein Spieler von uns auf dem Platz, der das Gefühl hatte, dass er vom Nebenmann Hilfe bekommt."

Nachdem er zunächst auf Tauchstation gegangen war, meldete sich Rudi Völler am Montag beim Sender Sky zu Wort - und wies Volland zurecht: "Es gilt für alle: weniger reden, mehr auf dem Platz zeigen! Wir können es definitiv besser, das haben wir schon mehrfach bewiesen", erklärte Völler. Trainer Herrlich wiederum versicherte, sich weiterhin für den richtigen Mann am richtigen Ort zu halten: "Ich fühle mich mutig und habe genug Kraft, um der Mannschaft vorzuleben, wie man die richtige Mentalität findet", sagte der Coach am Montag nach dem Training.

Ein eher dürrer Trost konnte ihm sein, dass seine Leverkusener bei einer der stärksten Bundesliga-Mannschaften des Augenblicks antreten mussten. Leipzig entwickelt sich gerade zum Paradebeispiel jener Mannschaften, die den ultradefensiven Charakter ihres Spiels dahinter kaschieren, dass sie, wie man neudeutsch sagt, "nach vorne verteidigen". Am Sonntag etwa begnügten sie sich mit nur 43 Prozent Ballbesitz; gleichwohl konnte sich RB-Trainer Ralf Rangnick nach der Partie an keine nennenswerte Chance der Gäste erinnern - mit Ausnahme eines von Torwart Peter Gulacsi famos abgewehrten Freistoßes von Leon Bailey.

Rangnick erkannte im Vergleich zu den vergangenen Wochen eine neuerliche Steigerung: "Wir haben noch mal 20 Prozent oben drauf gesetzt", freute sich der Leipziger Coach, dessen Team das einzige der Liga ist, das bisher weniger als zehn Gegentore hinnehmen musste. Besonders lobte er seine Außenverteidiger Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg, auch und weil diese trotz augenscheinlichen Bedarfs beim DFB keine Nominierung für die Nationalmannschaft erhalten haben: "Wenn man die beiden Jungs gesehen hat, kann man schon darüber nachdenken, ob man sie mal einlädt", zürnte Rangnick in Richtung Bundestrainer Joachim Löw. Doch wer weiß, vielleicht ist der Tag, an dem das geschieht, nicht mehr allzu fern.

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