Süddeutsche Zeitung

Bayer 04 in der Bundesliga:Das Leverkusener Innenleben hat sich verändert

Bayer Leverkusen ist derzeit eine Baustelle: Nach den Weggängen von Havertz und Volland braucht es Verstärkung. Rudi Völler reagiert auf seine Weise.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

In der ewigen Stadt schrieb man das Jahr 1991 nach Christi Geburt, als hier ein weiteres Mal Geschichte geschrieben wurde: Rudi Völler übernahm das Amt des Kapitäns der AS Roma. Im Prinzip war das für Völler nicht die große Sache, die daraus gemacht wurde, er weiß glaubhaft zu versichern, dass er nie eine Kapitänsschleife brauchte, um offensiv seine Meinung zu vertreten, "ob vor dem Trainer, dem Vorstand oder dem Schiedsrichter". Und auch heute empfiehlt Völler, 60, man möge die Bedeutung dieses Amtes bitte nicht überschätzen. Aber damals, das gibt er zu, empfand er die Ernennung "als Auszeichnung - das war schon etwas Besonderes für mich, als Ausländer Kapitän zu sein". Völler war neben Thomas Häßler und dem Brasilianer Aldair damals der einzige Importstar der Roma.

Mit diesem Ausflug in die Historie verabreicht Völler eine doppelte Dosis Beruhigungsmittel an all jene, die sich neuerdings Sorgen um Bayer Leverkusen machen. Erstens lässt er wissen, dass es, anders als überall dargestellt, mitnichten ein Hammer gewesen sei, dass Lars Bender nach fünf Jahren Dienst sein Amt als Kapitän zur Verfügung stellte. Überrascht seien darüber nur die Außenstehenden gewesen, kontert Völler, und komisch sei diese persönliche Entscheidung auch nicht, "sondern typisch Lars Bender", der genau erkannt habe, dass er sich nach vielen Verletzungspausen auf seine Leistung konzentrieren müsse, statt aufs Ehrenamt.

Die zweite Botschaft der Entspannung teilt Völler mit, indem er die Entscheidung des Trainers Peter Bosz für Benders Nachfolger Charles Arranguiz in ein Licht rückt, das weitaus günstiger auf Bayer 04 fällt, als die skeptischen Kommentare der Sportpresse nahelegten. Der Chilene Arranguiz, 31, hat zwar einen unbestrittenen Ruf als Mittelfeldstratege, gilt jedoch nicht als extrovertierte Persönlichkeit und schon gar nicht als prädestinierte Besetzung für die Spielführerrolle.

Ja, räumt der Sportchef Völler ein, "Charles ist ein etwas leiserer Zeitgenosse, aber er ist schon durch die Art, wie er spielt, ein Anführer." Und außerdem, siehe oben, werde es Arranguiz' Ambitionen bestimmt "ein bisschen kitzeln", weil er nun als Ausländer einem deutschen Team vorsteht. Wobei die ohnehin starke Fraktion der Lateinamerikaner mit der am Donnerstag erfolgten Verpflichtung des kolumbianischen Rechtsverteidigers Santiago Arias, 28, Zuwachs erhalten hat. Neben Arranguiz gehören ihr die Argentinier Lucas Alario und Ezequiel Palacios sowie die Brasilianer Wendell und Paulinho an.

Abgesehen davon, dass der Begriff Ausländer nicht wertend verstanden werden darf, ist die Nationalitätenfrage durchaus ein Thema. Das Innenleben der Leverkusener Mannschaft hat sich in diesem Sommer verändert. In Kai Havertz und Kevin Volland haben zwei einflussreiche Spieler den Klub verlassen. Der eine war eine prägende Figur auf dem Spielfeld, der andere hatte eine wichtige Stimme in der Kabine. Benders Rücktritt dürfte auch nicht ohne atmosphärische Wirkung bleiben, selbst wenn die Kapitänsbinde ja gar nicht so wichtig ist. Was das bedeutet? Vielleicht nicht viel, vielleicht eine Menge. Wohin die innerbetriebliche Entwicklung führt, das ist, wie so einiges derzeit, kaum abzusehen, zumal da das Kommen und Gehen wahrscheinlich noch nicht vorbei ist.

Auch Nationalspieler Jonathan Tah scheint nicht abgeneigt zu sein, seiner Reservistenrolle durch einen Vereinswechsel abhelfen zu wollen. Völler sagt dazu, es stehe eine Saison bevor, in der sicherlich viel rotiert werde, er sagt aber auch, "dass es ja immer ein paar unzufriedene Spieler gibt", und dass bis zum Transferschluss am 5. Oktober "noch etwas passieren" könne.

Auch Mittelstürmer Alario ist nach dem Kauf des Mittelstürmers Patrik Schick offen für Veränderung, gleiches wird dem langjährigen Linksverteidiger Wendell nachgesagt, und bei einem Interessenten für Mitchell Weiser wäre der Klub wohl jederzeit gesprächsbereit. Trainer Bosz wiederum wünscht, dass zumindest noch ein paar der vorerst 80 Havertz-Millionen aus Chelsea in sein Team gesteckt werden.

Rudi Völler gibt sich bei all diesen Dingen wie immer gelassen. Das Einkaufsbudget sei wegen einiger vorab getätigter Transfers viel geringer, als alle dächten, sagt er, "jeder Klub meint jetzt: Da kommen die Leverkusener, die werden jeden Preis bezahlen." Aber das sieht die Geschäftsführung anders: "In schwierigen Zeiten werden keine Verrücktheiten gemacht." Statt auf neue Leute setzt der Verein auf diejenigen, die in der vorigen Saison noch Raum für Notizen gelassen haben, namentlich Kerem Demirbay und Nadiem Amiri.

Und auf den 17-jährigen Florian Wirtz, von dem Völler auch schon sehr ergiebig schwärmt: "Er wird noch viele wunderbare Spiele für Bayer machen." Vielleicht schon am Samstag beim Treffen mit RB Leipzig, das Völler als Schicksalsgenossen ansieht. Auch die Leipziger hätten ja Verluste erlitten: "Sie sind immer noch top, aber Timo Werner ist Timo Werner. Trotzdem geht's bei Leipzig weiter - und bei uns auch."

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SZ vom 26.09.2020/jbe
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