Süddeutsche Zeitung

Leverkusen gewinnt ohne Ballack beim VfB:Capitano staunt von draußen

Nur noch Ersatz: Beim 1:0-Sieg von Bayer Leverkusen in Stuttgart sitzt Michael Ballack 90 Minuten auf der Bank. Die Protagonisten sind andere - zum Beispiel Stefan Kießling oder Ballacks Mittelfeld-Konkurrent Simon Rolfes. Ist für den früheren DFB-Kapitän überhaupt noch Platz in Robin Dutts Team?

Jonas Beckenkamp

Warum hat eigentlich niemand Michael Ballack gefragt, als es vergangene Woche wieder einmal um das bundesdeutsche Faible für sogenannte "Führungsspieler" ging? Er, der ehemalige Capitano, einer der letzten todesmutigen Tugendbolde - ja, er hätte doch sicher aus Erfahrung sprechen und etwas sagen können wie: Aber sicher braucht jedes Team einen ordentlichen Leitwolf! Am besten einen wie mich - oder Torsten Frings! Dass Ballack in der von Oliver Kahn angestoßenen Debatte nicht zu Wort kam, mag daran liegen, dass der Leverkusener derzeit einfach keine besonderen Führungsansprüche stellen kann.

Bei Bayers neuem Trainer Robin Dutt genießt der 34-Jährige nämlich nicht die Art von Vertrauen, die er über weite Strecken seiner Karriere als anerkanntes Alphatier zugesprochen bekam - nein, mitunter reicht es im edel besetzten Mittelfeld des Werksklubs noch nicht einmal für einen Platz in der ersten Elf. Und von der Bank aus lässt es sich nun mal schwer cheffeln. Unlängst hatte Dutt verkündet, er könne sich ohnehin nur entweder Ballack oder Simon Rolfes auf der Sechserposition vorstellen.

Beim 1:0 gegen den VfB Stuttgart fiel diese Entweder-oder-Taktik zu Ungunsten von Ballack aus. Ihm blieb nur die 90-Minuten-Rolle als Ersatz-Leitwolf, während sein Kollege Stefan Kießling (28. Minute) mit einem Abstaubertor die Begegnung entschied und Bayer so zum zweiten Saisonsieg schoss.

Nach seinem starken Auftritt als Einwechselspieler beim Sieg gegen Bremen, hieß gegen den VfB der zentrale Leverkusener Lenker also Rolfes - ebenso wie sein Nebenmann Lars Bender ein ruhigerer Vertreter in Sachen Vorkämpfertum, wenn auch kein weniger ambitionierter. Stuttgarts Trainer Bruno Labbadia würde sich wohl nur allzu gerne mit derartigen Bequemlichkeitsfragen beschäftigen und stellte deshalb vor der Begegnung beinahe neidisch fest: "Rolfes und Ballack sind zwei überragende Spieler, da kann man als Trainer doch froh sein, beide zu haben."

Beim VfB könnten sie nach dem Weggang von Christian Träsch nach Wolfsburg tatsächlich jemanden mit Taktgeberqualitäten gebrauchen, das zeigte die Startphase des Spiels. Das Mittelfeld schien zunächst Leverkusener Hoheitsgebiet - auch weil die Schwaben in ihren Aktionen etwas hektisch wirkten. Nach zehn Minuten spiegelte sich deren Unterlegenheit auch in Zahlen wider: Während Stuttgart das Spielgerät oft auf spendable Weise hergab, glänzte Bayer mit barcelonesken 65% Ballbesitz.

Grund zur Freude gab es aus Sicht der Heimmannschaft dennoch: Die Sonne schien, was die 60.000 Fans in der neuen Stuttgarter Arena zu stimmungsvollem Gegsang animierte. Für solche Nebenbeobachtungen war Zeit, denn auf dem Spielfeld passierte: wenig. Vielleicht störte die fußballerische Fadheit auch Andre Schürrle.

Der Leverkusener Nationalspieler wurstelte sich in der 28. Minute auf der rechten Seite zunächst in ein Dickicht aus VfB-Abwehrbeinen, spielte dann aber zu Rolfes. Dessen Querpass nahm Michal Kadlec auf, legte sich den Ball auf links und zog aus 20 Metern ab. Weil VfB-Keeper Sven Ulreich Kadlecs Geschoss nur abprallen ließ, konnte Stefan Kießling per Abstauber zum 0:1 einschießen.

Die Führung für die Gäste war vor allem deshalb verdient, weil Robin Dutts Team im Gegensatz zum Gegner über ein gelungenes Spielkonzept im Mittelfeld verfügte - umsichtig dirigiert von: Kapitän Simon Rolfes. Und Führungsspieler Ballack? Den vermisste in einer funktionierenden Bayer-Elf niemand, außer vielleicht Ballack selbst.

Daran änderte sich auch in der zweiten Halbzeit nichts, obwohl die Stuttgarter zunächst etwas energischer auftraten. Die Versuche der Schwaben blieben dennoch zumeist eher Resultate Leverkusener Nachlässigkeiten. Wo bei Bayer vor allem Rolfes und sein wendiger Kollege Renato Augusto die Fäden zogen, klaffte beim VfB ein Loch, das Regisseur Tamas Hajnal nicht füllen konnte - der Ungar wurde folgerichtig in der 60. Minute ausgewechselt, nachdem einige Momente zuvor Sidney Sam bei einem Konter das 2:0 für Bayer vergeben hatte.

Dass dem VfB so wenig nach vorne gelang, machte fast vergessen, dass im Leverkusener Tor doch eigentlich ein Stuttgarter stand: Bernd Leno, den Bayer als Ersatz für den verletzten Rene Adler bis Jahresende aus dem Ländle ausgeliehen hatte. Eingreifen musste der 19-Jährige jedoch auch dann nicht, als zwischen der 66. und 70. Minute zweimal Stuttgarts Stürmer Martin Harnik das Bayer-Tor knapp verfehlte. Immerhin schienen die Schwaben diesen herrlichen Sommertag jetzt auch halbwegs als Arbeitstag zu begreifen und bissen sich zusehends in das Geschehen hinein - jedoch ohne allzu hohen Unterhaltungswert.

Zehn Minuten vor dem Ende trug sich dann Ungewohntes für Michael Ballack zu. Zwar hatte sich der ehemalige Nationalspieler lange Zeit aufgewärmt, doch nach Hanno Balitsch und Eren Derdiyok brachte Robin Dutt als dritten Einwechselspieler schließlich Daniel Schwaab. Die Partie würde ohne Ballack zu Ende gehen, soviel stand fest. Der Ignorierte nahm es schwitzend und staunend zur Kenntnis.

Und der VfB Stuttgart? Von ihm kam, wie über weite Teile der Partie, nichts Erwähneswertes mehr, was ein wenig überraschte, denn ein Aufbäumen hätte sich gegen nachlassende Leverkusener womöglich durchaus gelohnt. Immerhin setzte Khalid Bouhlarouz noch ein Zeichen - leider war es ein negatives: Der Holländer flog in der 90. Minute nach einer unflätigen Geste mit Gelb-Rot vom Platz. Aber ein vorbildlicher Führungsspieler war der als Rauhbein bekannte Abwehrmann ohnehin nie.

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