Unglücklicher FC Bayern, hier Arjen Robben (links) und Jérôme Boateng gegen Leverkusens André Schürrle.
(Foto: dapd)Die Flanke kam schön in dieser 87. Minute, doch Leverkusens Sidney Sam köpfelte nicht wirklich gut. Er köpfelte viel zu weit nach rechts, irgendwohin Richtung Tor-Aus, doch passenderweise gerade so weit, dass der Ball dem Münchner Abwehrspieler Jérôme Boateng mitten ins Gesicht sprang - und von dort unhaltbar an Manuel Neuer vorbei ins Netz.
Anschließend konnten die Bayern die Schlussphase noch so offensiv bestreiten, samt eines Vorstoßes von Torwart Manuel Neuer sowie eines Latten-Kopfballs von Claudio Pizarro: Es blieb bei diesem 2:1 (1:0) für Leverkusen. Nach acht Siegen haben die Münchner erstmals in dieser Saison ein Duell in der Bundesliga verloren. "Wir kriegen ein saublödes 1:0, dann erarbeiten wir uns dieses 1:1, und dann kriegen wir ein genauso blödes 2:1", sagte Kapitän Philipp Lahm, der an dem saublöden 0:1 allerdings prägend beteiligt war.
"Die Liga wird sich freuen", meinte nach Abpfiff Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef der Bayern: "Jetzt müssen wir zeigen, dass wir mit dem Druck besser umgehen als im letzten Jahr." Ja, die Erinnerungen an die vergangene Saison, die stellen sich zwangsläufig ein. Acht Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund hatten die Münchner im Herbst 2011 - wenige Monate später hatten sie alles verspielt.
Jetzt sind es aktuell zwar neun Zähler auf den BVB, aber lediglich vier auf den schärfsten Verfolger, auf Schalke 04. Das schätzt Bayern-Trainer Jupp Heynckes zwar immer noch als "komfortablen Vorsprung" ein, aber schon am Samstag muss seine Mannschaft zum erstarkten Hamburger SV.
Als sich die Akteure am Sonntag formierten, waren zwei Dinge auffällig. Erstens: Die linke Offensivseite der Münchner besetzte anstelle des verletzten Franck Ribéry nicht Xherdan Shaqiri, sondern David Alaba. Zweitens: Schiedsrichter Florian Meyer brachte wegen ein paar Schneeflocken nicht den weißen Ball mit aufs Spielfeld, sondern jenes für den Winter angefertigte rosa Modell. Die Bayern störte das zunächst nicht. Sie waren die bessere Elf, sowohl mit dem nur kurz benutzten rosafarbenen als auch mit dem eingewechselten weißen Spielgerät, Mario Mandzukic und Alaba kamen zu Kopfball-Chancen. Die Statistik nach 25 Minuten: sechs zu null Torschüsse für die Bayern, 65 zu 35 Prozent Ballbesitz. Doch die Statistik als solche genießt bei den Bayern kein hohes Ansehen.
Nachdem die Münchner jüngst ihren Bundesliga-Startrekord hingelegt hatten, befand Präsident Uli Hoeneß: "Ihr schaut doch alle nur in eure Computer rein, und dann stellt ihr wieder fest, welche Statistik gerade besonders wichtig ist." Und als Heynckes vor dem Spiel einen Kommentar dazu abgeben sollte, dass Leverkusen seit 23 Jahren in München nicht mehr gewonnen habe, meinte er, sein Verein täte gut daran, diese Statistik "nicht zur Hand zu nehmen".
"Es war mein erster Ballkontakt"
In der Tat verschoben sich nach einer halben Stunde die Spielanteile. Die Münchner besaßen durch Kroos und Schweinsteiger zwar weiterhin Chancen, aber es gab erste Aufregung im Münchner Strafraum: Kießlings Schuss flog ins Tor, aber Schiedsrichter Meyer entschied, dass Teamkollege Wollscheid zu rabiat gegen Dante vorgegangen war (28.). Also: kein Tor.
Kurz vor der Halbzeit kam es dann zur ersten Bayer-Aktion, welche die Statistik als Torschuss notierte. Gonzalo Castro spielte steil auf Simon Rolfes, der leitete zu André Schürrle weiter. Dessen scharfe Hereingabe irritierte Lahm, der mit einer merkwürdig zurückhaltenden Bewegung den Ball wegspitzeln wollte, auf diese Weise aber dem neben ihm lauernden Kießling den Torschuss ermöglichte - 0:1 (42.).
Nach der Pause kam Shaqiri für Holger Badstuber (Verdacht auf Muskelfaserriss), Alaba übernahm dessen Part links hinten. Wieder eröffneten die Bayern druckvoll: Schuss von Kroos, gute Kombination von Alaba und Shaqiri, Schuss von Boateng. Auf der anderen Seite verpasste Kießling nur knapp das 2:0, als er bei einem Kopfball nicht genügend Druck hinter den Ball bekam (60.). Heynckes brachte Arjen Robben für Luiz Gustavo, den Sechser, der wie Badstuber an muskulären Problemen litt. Die Bayern waren jetzt offen, doch Leverkusen gelang es nicht, die Konter präzise zu Ende zu spielen. Shaqiri wollte bei einem Angriff einen Elfmeter schinden und sah dafür Gelb.
Heynckes sah, dass er etwas tun musste, doch er reagierte in der 74. Minute, wie es nicht zu erwarten war: Herein kam Claudio Pizarro, ein Stürmer, raus ging Bastian Schweinsteiger, ein Mittelfeldspieler. Letzterer war derart irritiert, dass er die obligaten Wechselgeste verweigerte und an Heynckes' ausgestreckter Hand vorbeischrammte. Eine Situation, die in den nächsten Tagen bis zum Pokalspiel an diesem Mittwoch gegen Zweitligist Kaiserslautern für Gesprächsstoff sorgen wird.
Nun gab es kaum noch eine geschulte Absicherung im Mittelfeld der Bayern, doch das Risiko, das Heynckes wählte, zahlte sich zunächst aus: Drei Minuten nach dem Wechsel stand es 1:1, Pizarro hatte zielsicher auf den Kopf von Mandzukic geflankt. Nun wollten es die Münchner nicht beim Remis belassen, sie drängten weiter, ein Schuss von Pizarro flog über Mandzukics Schienbein, landete aber nur am Außenpfosten.
Doch dann kam Leverkusen, köpfelte Sidney Sam ins Gesicht von Jérôme Boateng. "Nee, nicht richtig" habe er den Ball getroffen, räumte der kurz zuvor eingewechselte Offensivspieler ein, "es war mein erster Ballkontakt." Ein Kontakt, der gleich zwei Serien beendete.