Leverkusen:Fast verschluckt

Bayer 04 Leverkusen Hannover 96 20 10 2018 Wendell LEV verschießt Elfmeter DFL REGULATIONS PR

Wer hat Angst vor dem (fast) leeren Tor? Leverkusen Wendell verschießt gegen Hannover einen Elfmeter.

(Foto: imago/Horstmüller)

Nach dem enttäuschenden 2:2 gegen Hannover wachsen die Zweifel an Bayers Trainer Heiko Herrlich. Der Werksklub versucht ihn zu stärken - doch manche Vokabeln klingen verräterisch.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Gegen verlorene Spiele hat der Fußballmanager Rudi Völler derzeit keine rechte Handhabe, aber er ist sich relativ sicher, dass man jetzt nicht auch noch die Nerven verliert. Normalerweise geht im Fußball beides miteinander einher: Erst werden Spiele verloren, dann die Nerven, und am Ende muss der Trainer gehen. Doch Bayer Leverkusens Heiko Herrlich darf wohl ziemlich sicher am kommenden Donnerstag mit seiner Mannschaft im Zürcher Letzigrund-Stadion antreten, am Sonntag darauf im Bremer Weserstadion und übernächsten Mittwoch im Mönchengladbacher Borussia Park - und wer weiß, vielleicht kehrt er nach dieser Kontinentalreise durch die drei Wettbewerbe Europa League, Bundesliga und DFB-Pokal am übernächsten Samstag gegen die TSG Hoffenheim sogar wieder mit zurück in jene heimische BayArena, in der ein paar Fans "Herrlich raus" gebrüllt haben nach dem jüngsten 2:2 gegen Hannover 96.

Dass in diesem Spiel gegen seit genau einem Jahr auswärts sieglose Hannoveraner der Leverkusener Karim Bellarabi erst in der vierten Minute der Nachspielzeit und Sekunden vor dem Ende das 2:2 erzielte, dieses späte Glück hat an dem miesen Gefühl, das die Leverkusener nach zwei Siegen, zwei Unentschieden und vier Niederlagen aus den ersten acht Spielen plagt, nichts mehr beschönigen können. Manager Völler sagte hinterher: "Noch hat Heiko Herrlich unser Vertrauen." Das "noch" hat er ganz schnell gesprochen, fast verschluckt, damit der Satz nicht nach Ultimatum klingt, aber niedergeschrieben verdeutlicht dieser Satz letztlich eben doch, was jetzt Sache ist in Leverkusen: Die Geduld der Bosse ist endlich.

Die talentierten Offensivspieler unterbieten sich derzeit vor dem gegnerischen Tor

Leverkusen verfügt in Kevin Volland, Leon Bailey, Karim Bellarabi, Julian Brandt und Lucas Alario über offensive Fachkräfte, die sich beim Toreschießen normalerweise gegenseitig übertrumpfen. Doch zurzeit unterbieten sie sich nur. Volland hat in dieser Bundesliga-Saison bislang zwei Mal getroffen, Bailey und Bellarabi ein Mal, Brandt und Alario gar nicht. Schriftsteller kennen so eine Leere als Schreibblockade, Künstler als Schaffenskrise. In ihren Werkräumen sitzen aber nie Zuschauer, die sie dafür auch noch auspfeifen.

In Leverkusen ist das zurzeit so. Der einst für Offensivspektakel bekannte Klub steht mit seinen neun Treffern im unteren Tabellendrittel. Das Publikum verliert die Geduld, und auch mannschaftsintern wird zunehmend Klartext gesprochen. Der Kapitän Lars Bender setzte am Samstag eine Debatte fort, die schon am zweiten Spieltag (nach dem 1:3 gegen Wolfsburg) eröffnet wurde: die Mentalitätsfrage. "Das spielerische Moment fehlt auch, aber es geht jetzt vor allem darum, in Pässe, in Dribblings oder in Kopfbälle mit hundertprozentiger Überzeugung reinzugehen - wir haben unglaubliche Qualität, aber dazu fehlt uns im Moment etwas, daran müssen wir arbeiten", sagte Bender in strengem Ton und machte den Fans keine allzu großen Hoffungen auf baldige Besserung. "Das wird ein total schwieriges Jahr, darauf müssen wir uns einstellen", prophezeit Bender düster. "Champions-League-Ambitionen brauchen wir keine zu haben, solange wir uns so schwer tun, Spiele zu gewinnen."

Es ist derzeit auffällig, dass die Spieler deutlichere Worte für die Misere finden als der Trainer. "Eigentlich haben wir Hannover ganz gut verteidigt", sagte Herrlich nach einem Spiel, in dem wieder einmal Leverkusens Offensivspiel als massive Schwäche enttarnt worden war. Erst mit den Worten seines Kapitäns Bender aus dem Kabinentrakt konfrontiert, räumte auch Herrlich ein, "dass der eine oder andere Spieler von uns Luft nach oben hat". Die jüngsten Leistungen seiner Angreifer stilisierte der Trainer allerdings zum fußballgenetischen Defizit: "Es gibt Spieler bei uns, die haben sicherlich ein Phlegma, das sieht dann manchmal so aus, als seien sie nicht bei einhundert Prozent, aber das ist auch ein Stückweit ihre Stärke, denn sie leben von ihrer Leichtigkeit und werden nie mit Schaum vor dem Mund auf dem Platz stehen", erklärte Herrlich und fügte hinzu: "Wenn unsere Ergebnisse positiv sind, dann ist das offenbar auch für alle okay."

Auch für die ersten "Herrlich raus"-Rufe hat der Trainer Verständnis

Für die ersten "Herrlich raus"-Rufe aus einer Ecke des breiten Fanblocks hatte der Trainer dann sogar Verständnis, weil er sie erst einmal nur als Ausdruck der Unzufriedenheit interpretiert. "Alle sind enttäuscht, wir auch", sagte Herrlich und beklagte in diesen Wochen einen Mangel an "Leichtigkeit, Selbstvertrauen und Spielglück". Wendell hatte früh einen Elfmeter verschossen (7. Minute), Brandt fehlten bei mehrere Chancen nur ein paar Zentimeter. "Das sind Kleinigkeiten, die müssen wir uns wieder erarbeiten", sagte Bender. In der Europa League haben die Leverkusener bisher beide Spiele gewonnen und sich Selbstvertrauen geholt. Auf beides hoffen sie wieder beim Spiel in Zürich.

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