Bayer Leverkusen„Wir haben die Klasse, alles zu gewinnen“

Lesezeit: 3 Min.

Piero Hincapié (Bildmitte) konnte nach dem 3:1 gegen Bochum grinsen – dabei hatte er eine strapaziöse Länderspielreise in den Knochen.
Piero Hincapié (Bildmitte) konnte nach dem 3:1 gegen Bochum grinsen – dabei hatte er eine strapaziöse Länderspielreise in den Knochen. (Foto: Anke Waelischmiller/Anke Waelischmiller/dpa)

Bayer 04 verfolgt den Tabellenführer FC Bayern mit Hartnäckigkeit. Beim 3:1 gegen Bochum überzeugen insbesondere zwei Südamerikaner – Trainer Xabi Alonso hebt ihre besonderen Fähigkeiten hervor.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Nachdem Amine Adli in der 87. Minute das mutmaßlich endgültige 3:1 für Bayer 04 Leverkusen geschossen hatte, erschien Piero Hincapié nicht mit den anderen Spielern zur gemeinsamen Jubel-Zeremonie. Stattdessen legte er sich längs auf den Rasen, als machte er es sich in seinem Bett bequem. Hincapié streckte die Beine aus und hob sie in die Luft, um den Krampf zu vertreiben, der ihn in den vergangenen Minuten gequält hatte. So nutzte er sehr effizient die Pause bis zum Wiederanpfiff, um auch die letzten Minuten der Partie durchzustehen.

Beim 3:1-Erfolg des deutschen Meisters gegen den weit mehr als bloß aufrecht bemühten Tabellensechzehnten VfL Bochum wurden zwar keine Lektionen in fußballerischer Hochkultur vorgeführt, die 30 210 Zuschauer in der Bayarena sahen aber ein jederzeit unterhaltsames Bundesligaspiel, das bis zum Treffer des eingewechselten Adli immer spannend blieb. Und ein bisschen Heldengeschichte wurde zumindest aus Sicht des einheimischen Publikums auch geschrieben – der ecuadorianische Verteidiger Hincapié und der argentinische Mittelfeldspieler Exequiel Palacios erhielten dafür jeweils imaginäre Tapferkeitsmedaillen in Gold. „Sie heulen nicht rum“, hob Sportchef Simon Rolfes unter anderem in seiner Laudatio hervor. Dabei ging es aber weniger um harte Männlichkeit als um ständige Dienst- und Einsatzbereitschaft. „Vorbilder“ seien die zwei, sagte Rolfes.

Verletzung von Alphonso Davies
:Bayern ist sauer auf Kanada

Der Zorn der Münchner auf Trainer und Mediziner der kanadischen Nationalmannschaft ist nach dem Kreuzbandriss von Alphonso Davies weiter akut – der Klub fordert „lückenlose“ Aufklärung.

SZ PlusVon Philipp Schneider

Hincapié hatte um ein Uhr in der Nacht zu Mittwoch (deutscher Zeit) mit Ecuadors Nationalelf in Santiago de Chile ein Spiel in der südamerikanischen WM-Qualifikation bestritten, während Palacios zur gleichen Stunde in Buenos Aires seinen Beitrag zum 4:1-Triumph Argentiniens gegen Brasilien leistete. Irgendwann am Donnerstag hiesiger Zeitrechnung waren die beiden nach ihren Weltreisen zurück im Rheinland und tauchten mehr oder weniger schemenhaft am Klubgelände auf. Am Abschlusstraining haben sie nicht teilgenommen, wie Kapitän Lukas Hradecky beeindruckt berichtete: „Aber sie sind so professionell, das ist gar kein Problem.“

Ein Problem waren die beiden allenfalls für den VfL, die Bayer-Latinos trugen Wesentliches dazu bei, Xabi Alonsos Kampfansage an den FC Bayern zu realisieren. Hincapié, 23, lieferte eine gewohnt kämpferische und gewohnt erstklassige Vorstellung ab, inklusive des Zuspiels auf Victor Boniface vor dessen Knie-Treffer zum 2:1 (60. Minute). Die langen Strecken bis zur Grundlinie – auch an diesem Abend keine Mühe, die Hincapié mied. Palacios, 26, machte sich sogar mit zwei Torvorlagen verdient: Vor dem 1:0 durch Aleix Garcia (20.) brauchte er den Ball bloß quer zu spielen, aber bei Adlis Laufweg zum 3:1 (87.) waren Spielwitz und ein wacher Geist gefragt. Der Pass kam punktgenau – keine Selbstverständlichkeit am Ende eines anstrengenden Spiels, in dem der Abstiegskandidat VfL den Favoriten ernsthaft herausgefordert hatte.

Palacios und Hincapié haben offenbar die Gabe, auch auf Reisen zu regenerieren

Da nun immerzu (und mit Recht) von der Überbelastung der Profis die Rede ist, sind Spieler wie Palacios und Hincapié für einen international engagierten Klub wie Bayer 04 umso wertvoller und wichtiger. Zwei Profis, die offenbar die Gabe haben, auf der Reise durch die Zeitzonen ausreichend zu regenerieren, und an ihrer Hingabe keine Zweifel lassen. Frage an Xabi Alonso am Freitagabend: Warum konnten die beiden nach den Strapazen ihrer Südamerikatournee gleich wieder ein Top-Spiel hinlegen? „Weil sie Top-Spieler sind“, erwiderte der Trainer und freute sich an seiner eigenen Schlagfertigkeit, bevor er die Würdigung vertiefte: „Sie haben dieses Herz und diesen Willen. Sie lieben es, für ihre Nationalmannschaften zu spielen, aber sie sind auch stolz, für Bayer zu spielen.“

In Leverkusen sind sie längst heimisch geworden, Palacios gehört seit fünfeinhalb Jahren dem Verein an, Hincapié seit dreieinhalb Jahren. Um den immer noch recht jungen und entwicklungsfähigen Ecuadorianer hatten zuletzt die halbe Premier League und die besseren Adressen der Primera División geworben – den Zuschlag für die Vertragsverlängerung bis 2029 bekam kurz vor Weihnachten Bayer 04. Im Bemühen, den gleichfalls gefragten Trainer für mindestens ein weiteres Jahr in Leverkusen zu gewinnen, ist die Garantie für die weitere Zusammenarbeit mit Spitzenprofis wie Hincapié und Palacios kein zu unterschätzendes Argument. Neuigkeiten in der Trainerfrage gebe es nicht zu vermelden, sagte Rolfes und erläuterte unter Verweis auf den bis 2026 gültigen Vertrag, dass es dazu ja auch keinen Anlass gebe: „Wir machen gemeinsam die Planungen für die nächste Saison, daran hat sich nichts geändert.“ Sollte jedoch Carlo Ancelotti Real Madrid Adios, Arrivederci oder vielleicht auch Adieu sagen, dann sieht die Lage womöglich anders aus, das weiß Rolfes selbstverständlich.

Bevor der Tag kommt, an dem Xabi Alonso mit Bayer verbindlich über sein Engagement in der nächsten Saison redet, möchte sich der Coach auf die laufende Spielzeit und die kleine Chance zur Titelverteidigung konzentrieren. Maximaler Druck auf die führenden Bayern ist das Ziel. „Wir haben die Klasse, alles zu gewinnen“, sagte Alonso zum Sieben-Spiele-Restprogramm. Dass er dabei auch an die Freitagabendhelden Hincapié und Palacios dachte, steht außer Zweifel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Interview mit Dieter Hecking
:„Wenn ich auf die Soester Kirmes fahre, dann sage ich auch, dass ich auf die Soester Kirmes fahre“

Als Trainer Dieter Hecking, 60, den VfL Bochum übernahm, war der Verein abgeschlagen wie nie zuvor ein Bundesligist. Im Interview erklärt er, wie er das Team aus der Lethargie befreite – und warum er mittlerweile so viel Privates erzählt.

SZ PlusInterview von Ulrich Hartmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: