Nachruf auf Leonel Sanchez:Der Tänzer mit der Boxerfaust

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Leonel Sánchez spielte von 1955 bis 1968 insgesamt 85-mal (24 Tore) für Chile. Auch bei den Weltmeisterschaften 1962 und 1966 kam er zum Einsatz. (Foto: Aton Chile/Imago)

Leonel Sánchez war Held der "Schlacht von Santiago", dem beispiellos harten WM-Spiel zwischen Chile und Italien von 1962 und Legende von Universidad de Chile, dem Blauen Ballett.

Von Javier Cáceres, Berlin

Vor ein paar Jahren stellte Leonel Sánchez im Munich, einer billigen Sandwich-Bar in Nähe des Nationalstadions von Santiago, eine der Szenen nach, die ihn unsterblich machten. Am Tisch saß auch Chiles größter Fußballhistoriker, den sie alle nur Chomsky nennen, weil er schon als Student einen weißen Philosophenbart trug. "Und dann habe ich ihm eine rechte Gerade verpasst...", hatte Sánchez gesagt, Chomsky widersprach energisch: "Unsinn! Du bist immer Rechtsausleger gewesen!" Was sich beweisen lässt, wenn man sich die Bilder bei Youtube anschaut.

Die Szene, um die es ging, war Teil der "Schlacht von Santiago", der Vorrundenpartie zwischen Chile und Italien bei der Fußball-WM 1962, in der sich Italiener und Chilenen auf beispiellose Weise malträtierten, Chile siegte 2:0. Die Linke verpasste Sánchez seinem Bewacher Mario David, weil der zuvor wie von Sinnen auf ihn eingetreten hatte. Für David ging das nicht so gut aus. Sánchez war Sohn eines Preisboxers, und dass der Apfel nicht so weit vom Stamm gefallen war, verifizierte Chiles Kapitän Navarro: "Ich bin noch hin, um zu schauen, ob er simulierte. Aber der war wirklich k.-o."

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Zuvor war es Humberto Maschio kaum besser ergangen. Maschio hatte Sánchez bei einer Ecke eine gewischt; Sánchez nahm hinterm Rücken des Referees Revanche; ein Nasenbein brach. "Wenn Aston es nicht gesehen hat, hätte er es zumindest hören müssen", sollte Maschio später sagen. In der chilenischen Kabine wurde gefeixt, Sánchez sei nun unsterblich. Er sei der erste Fußballer der Geschichte, der sich vor Spielen nicht die Knöchel, sondern die Hände bandagieren müsse.

Schiedsrichter Ken Aston stand vor einer Ampel - und erfand so die gelbe und die rote Karte

Sánchez ging mittelbar tatsächlich in die Geschichte ein. Ken Aston bekam die Schlacht von Santiago nie aus dem Kopf. Wie auch? Allein in der ersten Halbzeit hatte die Polizei drei Mal eingreifen müssen, zeitweise waren mehr Carabineros auf dem Platz als Spieler. Ein Grund: Aston bekam die Akteure, die er ausschloss, nicht vom Platz. 1966 kam es beim WM-Duell Englands mit Argentinien wieder zu einem gewalttätigen Spiel. Danach stand Aston vor einer Verkehrsampel, und es ging ihm ein endgültig Licht auf: Er ersann die gelbe und die rote Karte, die Symbole für "Verwarnung" und "Platzverweis", die seit der WM 1970 zum Einsatz kommen.

1970 war auch das Jahr, in dem Sánchez, ein begnadeter Linksfuß, seinen Stammklub Universidad de Chile (1953-1969) verließ und sich Colo Colo anschloss, was ihm kaum einer krumm nahm. Da war er längst Legende. Er war Tänzer des "Blauen Balletts", wie die "U" wegen ihrer Trikots und ihrem schönen Spiel genannt wurde, und reihte Titel an Titel. Im blauen Dress schoss Sánchez 167 Tore in 412 Spielen, obwohl er nie ein "Neuner" war.

Die Erinnerungen an ihn kreisten aber immer um die WM 1962. Weil Chile WM-Dritter wurde, und weil Sánchez in Arica gegen den legendären Sowjet-Keeper Lew Yaschin mit einem Freistoß die Führung erzielt hatte. Aus Sicht der Chilenen hätte es Elfmeter geben müssen; "Justicia divina, justicia divina", schluchzte der Radiokommentator Julio Martínez, als Sánchez' Freistoß bei Yashin eingeschlagen hatte. Am Samstag verstarb Sánchez, wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag, nach langer Krankheit in Santiago.

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