Kawhi Leonard in der NBA:Ein Basketball-Beben mit der Stärke 10,0

Kawhi Leonard in der NBA: Kawhi Leonard mit der MVP-Trophäe.

Kawhi Leonard mit der MVP-Trophäe.

(Foto: AP)
  • Die NBA-Franchises haben bislang Verträge im Wert von knapp 3,5 Milliarden Dollar vergeben.
  • Die Clippers waren in der Lage, die Wünsche des wertvollsten Akteurs der Liga zu erfüllen: Kawhi Leonard. Er kommt von Meister Toronto.
  • Der Wechsel ist deshalb so bedeutsam, weil sich die Kräfteverhältnisse in der NBA verschieben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es hat in Südkalifornien drei Erdbeben gegeben in der vergangenen Woche, und selbst Seismologen finden, dass die am Donnerstag (Stärke 6,4) und Freitagmorgen (7,1) eher kleine Rüttler gewesen sind im Vergleich zu jenem, das sich in der Nacht zum Samstag ereignet hat: Da hat der Basketballprofi Kawhi Leonard verkündet, dass er von den Toronto Raptors zu den Los Angeles Clippers wechseln und über ein Tauschgeschäft seinen Freund Paul George aus Oklahoma City mitbringen wird. Für die nordamerikanische Liga NBA ist das ein Beben der Stärke 10,0, durch das all die anderen Wechsel zu kleinen Rüttlern werden.

Die NBA-Franchises haben bislang Verträge im Wert von knapp 3,5 Milliarden Dollar vergeben: Kevin Durant (164 Millionen Dollar für vier Jahre) und Kyrie Irving (141 Millionen, ebenfalls vier Jahre) kommen zu den Brooklyn Nets, die Golden State Warriors verlängern mit Klay Thompson (190 Millionen für fünf Jahre) und holen D'Angelo Russell (117 Millionen, vier Jahre) aus Brooklyn. Die Los Angeles Lakers wiederum schicken den Großteil ihrer Talente fort, um Anthony Davis an die Seite von LeBron James zu stellen, und die Philadelphia 76ers behalten Tobias Harris (180 Millionen, fünf Jahre), holten Al Horford (109 Millionen, vier Jahre) und schickten Jimmy Butler (142 Millionen, vier Jahre) nach Miami.

Kawhi Leonard - kürzlich zum wertvollsten Akteur der Finalserie gewählt, die Toronto gegen die Golden State Warriors gewann - wurde aufgrund seiner Leistungen in der vergangenen Saison und dem Zögern zum im Wortsinn wertvollsten Akteur einer Liga, die aufgrund der Regeln im Tarifvertrag und gestiegenen Einnahmen völlig außer Kontrolle zu sein scheint. Die Gehaltsobergrenze in der kommenden Saison liegt bei 109,14 Millionen Dollar pro Team - Stand jetzt werden wegen zahlreicher Ausnahmen nur zwei Klubs darunter liegen, Indiana Pacers und Atlanta Hawks.

Etwas überspitzt formuliert: Die Ereignisse in dieser Sommerpause sind spannender als die 1230 Partien der Hauptrunde, weil nun über Erfolg und Elend verhandelt wird. Die Fans der New York Knicks zum Beispiel wissen schon jetzt, dass die kommende Saison wieder schrecklich werden dürfte, Dallas-Mavericks-Besitzer Mark Cuban streitet nach dem Karriereende von Dirk Nowitzki auf dem sozialen Netzwerk Twitter mit Fans über die Ausrichtung des Klubs, und selbst jugendliche Sympathisanten der Phoenix Suns haben mittlerweile jede Hoffnung aufgegeben, einen Titel ihres Teams erleben zu dürfen.

Die Clippers sind nun im Vergleich zu den Lakers das Team, das mehr Erfolg verspricht

Die Entscheidung von Leonard wurde in Nordamerika hochgejazzt, wie zuvor vielleicht nur noch die Scheidung der Schauspieler Angelina Jolie und Brad Pitt: Ein kanadischer TV-Sender verfolgte ihn rund um die Uhr mit einem Helikopter und wertete jede Bewegung als möglichen Hinweis, ob er bei den Raptors bleiben oder nach Los Angeles wechseln würde. Noch am Freitagnachmittag galten die Lakers als Favorit - doch dann wackelte die Erde.

Leonard, 28, wollte nach Südkalifornien wechseln, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er wollte einen Vertrag mit Maximalgehalt bei einem Team mit Titelchancen, und er wollte gemeinsam mit George spielen, der nur ein Jahr älter und in der Nähe groß geworden ist. Die Clippers waren in der Lage, all diese Wünsche zu erfüllen, auch wenn sie für die Gegenwart ihre Zukunft opfern mussten: Oklahoma City Thunder bekommt nicht nur Shai Gilgeous-Alexander und Danilo Gallinari, sondern fünf Erstrunden-Picks bei der jährlichen Auswahl der Nachwuchsspieler - so viele sind in der NBA-Geschichte noch nie bei einem Tauschgeschäft abgegeben worden.

Der Wechsel ist deshalb so bedeutsam, weil sich die Kräfteverhältnisse in der NBA verschieben wie zwei Kontinentalplatten. Die Lakers bekommen nun kein Superteam mit dem Trio James/Davis/Leonard, sie engagierten am Samstag deshalb schnell noch die Ergänzungsspieler Rajon Rondo, JaVale McGee und DeMarcus Cousins. Schlimmer noch: Die Clippers sind nun mit Leonard und George, talentierten Helfern wie Patrick Beverley oder Landry Shamet und einem noch zu verpflichtenden Center (im Gespräch sind derzeit Routiniers wie Tyson Chandler, Zaza Pachulia und Joakim Noah) das Team, das mehr Erfolg verspricht. Die Western Conference dürfte zwischen den beiden Teams aus Los Angeles und den Golden State entschieden werden, im Osten sind nun die Milwaukee Bucks und die 76ers favorisiert.

Es gibt ein Sprichwort in den USA, demzufolge der Lauteste in einem Zimmer der Schwächste ist. Das funktioniert auch andersrum: Der Leiseste gilt als der Mächtigste von allen. Die NBA hat ein heftiges Erdbeben erlebt, und nach allem, was aus dem Umfeld der Liga zu hören ist, hat es Kawhi Leonard hinter den Kulissen höchstselbst eingefädelt. Er hat sich die Avancen der Lakers-Promis LeBron James und Magic Johnson angehört sowie die Lockrufe von Rapper und Raptors-Fan Drake, der ihm Anteile an seinem Medienimperium angeboten hat - dann hat er die Erde wackeln lassen. Es ist alles so passiert, wie er sich das gewünscht hat, und öffentlich gesagt dazu hat er: nichts.

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