"Hallo", sagt Leon Goretzka, er betritt den Raum als Letzter. Freundliches Gebrummel mit erkennbarem bayerischem Einschlag empfängt ihn. Leon Goretzka schaut sich um, dann korrigiert er sich, er sagt: "Servus."
Der Umgang mit der Sprache ist ein wichtiges Thema an diesem Donnerstagmittag. In seinem fensterlosen Pressestüberl präsentiert der FC Bayern den bisher einzigen echten Zugang der Mannschaft in diesem Sommer (Serge Gnabry war an Hoffenheim ausgeliehen, startet aber auch erst jetzt in München), und weil ein einziger Zugang für eine dem eigenen Anspruch nach große Mannschaft relativ wenig ist, dazu noch in Zeiten des anstehenden personellen Umbruchs, präsentieren sie diesen Leon Goretzka nun erst recht als Vertreter einer neuaufgelegten Transferstrategie. Sie präsentieren ihn als, Trommelwirbel: deutschen Spieler.
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Goretzka steigt die wenigen Stufen auf die Empore hoch, er setzt sich zwischen Pressesprecher Dieter Nickles und Sportdirektor Hasan Salihamidzic, dann sagt Goretzka noch einmal: "Servus."
Ein Wort nur, das aber reicht, um zu signalisieren, dass Leon Christoph Goretzka, geboren im Februar 1995 in Bochum, zuletzt fünf Jahre lang Profifußballer beim FC Schalke o4, bis zum Frühjahr umworben von vielen europäischen Spitzenvereinen, bereits angekommen ist in München, nach einer knappen Woche. Es folgt das übliche Frage-Antwort-Spiel einer Spielerpräsentation, es geht darum, auf welcher Position sich Goretzka sieht, welche Rolle er in der Mannschaft übernehmen will, und Goretzka macht das alles brav mit.
Er spiele "am liebsten auf der Achterposition", also auf der nicht ganz defensiven Stelle im Zentrum - aber er sei auch "relativ flexibel" einsetzbar und daher "bereit, mehrere Positionen in Angriff zu nehmen". Außerdem sieht sich der 23 Jahre alte Nationalspieler "in der Lage", einmal eine Führungsrolle zu übernehmen; "zuallererst" wolle er aber auf dem Platz seine Leistung zeigen, "sonst braucht man nicht groß das Wort zu erheben". Goretzka, das zeigen seine Antworten schnell, ist ein höflicher Mensch, und er ist ein Mensch, der ganz genau weiß, was er von sich selbst erwartet.
Was sie beim FC Bayern von Goretzka erwarten, das ist bislang nicht ganz klar geworden; als er im Winter verpflichtet worden war, hatte Klubboss Karl-Heinz Rummenigge gesagt, dass dieser Transfer die Bundesliga stärke, weil der Spieler sonst ins Ausland gewechselt wäre, und das, so schrieb Rummenigge im Januar im Stadionheft, "kann, ganz grundsätzlich, nicht im Interesse des deutschen Fußballs sein". Rummenigge ist damals kritisiert worden für diese Weiße-Ritter-Attitüde, das lag auch daran, dass der FC Bayern auf Goretzkas Position im zentralen Mittelfeld, ganz grundsätzlich, kein personelles Problem hat - im Kader stehen neun Spieler, die sich dort wohlfühlen.
Am Donnerstag nun lobt Salihamidzic die spielerischen Fähigkeiten seines Zugangs, Goretzka sei "dynamisch, schnell, er hat eine richtig gute Technik - er passt in unsere Mannschaft". Wohin genau, das lässt der Sportdirektor wohl nicht ganz unbewusst offen, sie wissen ja selbst nicht, wie ihr Mittelfeld Anfang September aussehen wird, nach dem Ende der Transferperiode. Wechselt Arturo Vidal, wie spekuliert, zu Inter Mailand - oder, wie neuerdings ebenfalls spekuliert, gar zum FC Barcelona? Gibt es Angebote für Thiago Alcántara, zum Beispiel aus Barcelona? Wechselt Jérôme Boateng nach Paris, und muss Javier Martínez deshalb zurück in die Innenverteidigung? Salihamidzic lächelt die Fragen nach der Personalplanung weg. Er verrät: nix. Erst danach steht ja auch so richtig fest, wo genau Goretzka spielen könnte, ob eher offensiv orientiert oder als defensiver Mittelfeldmann.
Ausführlich referiert der Sportdirektor dafür über die, wie er sagt, "deutsche Kabine". Salihamidzic denkt dabei nicht an das Interesse des deutschen Fußballs, er denkt an das Interesse des FC Bayern. Zehn aktuelle oder frühere deutsche Nationalspieler gehören zum Kader, und diese zehn würden wohl alleine den siebten Meistertitel in Serie gewinnen. Im Tor Manuel Neuer, in der Abwehr Boateng, Mats Hummels, Niklas Süle und Joshua Kimmich, im zentralen Mittelfeld Goretzka und Sebastian Rudy, weiter vorne Thomas Müller sowie Serge Gnabry, im Sturm Sandro Wagner. Der FC Bayern, sagt Salihamidzic, wolle weiterhin "deutsche Tugenden" pflegen, weil "wir den deutschen Fußball in der Welt repräsentieren wollen".
All die Kollegen aus der Nationalmannschaft, sagt Goretzka, würden ihm in diesen ersten Wochen in München helfen, vor allem die anderen aus dem Jahrgang 1995, Kimmich, Süle und Gnabry. Nicht geholfen haben sie ihm dagegen in den Wochen nach dem deutschen Vorrunden-Aus bei der WM. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich am besten fahre, wenn ich das mit mir selbst ausmache", sagt er. So reif klingt kein Mann, der sich Sorgen machen könnte, wo er seinen Platz findet.