Leon Goretzka beim Confed Cup:Ein Spieler wie Lothar Matthäus

Australia v Germany: Group B - FIFA Confederations Cup Russia 2017

Leon Goretzka rackert im Auftaktmatch gegen Australien.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die gehobenen Erwartungen, die ohnehin in ihn gesetzt wurden, hat Goretzka im Auftaktspiel beim Confed Cup noch ein Stück übertroffen.
  • Eine Vertragsverlängerung bei Schalke ist inzwischen so realistisch wie die Erfindung der Zeitmaschine.

Von Philipp Selldorf, Kasan

Peter Peters nahm den Aeroflot-Linienflug, der um halb vier in der Nacht in Sotschi startete und drei Stunden später in Moskau landete. Von dort ging es weiter Richtung Heimat, wo die Arbeit auf ihn wartete. Fünf Tage hatte Peters als Vize-Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL) die Nationalmannschaft beim Start in den Confed Cup begleitet, jetzt muss er sich wieder seiner Aufgabe als Finanzvorstand des FC Schalke 04 zuwenden. Am Sonntag findet dort die Mitgliederversammlung statt, das ist oft ein Tag der frohen Botschaften. Im Vorjahr trug die Kunde vom Kauf des schweizerischen Nationalstürmers Breel Embolo dazu bei, dass Klubchef Clemens Tönnies gegen eine bedrohlich rumorende Opposition wieder in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Aber welcher Coup wird diesmal bekanntgemacht? Die von allen Schalkern ersehnte Vertragsverlängerung mit Leon Goretzka? "Das wäre schön", sagt Peters - allerdings in einem Ton, als sei die Verwirklichung dieses Wunsches so realistisch wie die Erfindung der Zeitmaschine.

Am Montag hatte Peters im halb vollen Fisht-Stadion in Sotschi gesessen, als Deutschland zum Turnierstart gegen Australien 3:2 gewann, und er wird dabei nicht umhin gekommen sein, über Goretzka und dessen Vertragslage nachzudenken, die aus Schalker Sicht vertrackt ist. Der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler beeindruckte mit effektvollen Einflussnahmen aufs Spielgeschehen die Zuschauer, den Bundestrainer und die Mitspieler. Joshua Kimmich sah sich sogar zu einer Klarstellung aufgefordert: Die Fifa hatte den deutschen Kapitän Julian Draxler zum Mann des Abends bestimmt, "doch für mich war Leon der beste Spieler, er hat ein Super-Spiel gemacht", sagte Kimmich, und er sagte das ganz sicher nicht, um Draxler zu ärgern.

Die gehobenen Erwartungen, die ohnehin in ihn gesetzt wurden, hat Goretzka bei seiner Turnierpremiere als Torschütze, Vorbereiter, Antreiber, Ball-Verteiler und -Eroberer noch ein Stück übertroffen. Joachim Löw schwärmte von "überragend guten Läufen in die Tiefe" und bescheinigte Goretzka eine "sehr starke Leistung". Mancher Beobachter fühlte sich wegen der explosiven Dynamik gar an Lothar Matthäus erinnert, und manchem Schalker wird es längst mulmig bei all dem Lob.

Dabei waren die Nachrichten aus Schalke zuletzt eher von Liebe und Harmonie geprägt. Die Profis Guido Burgstaller und Daniel Caligiuri gingen am Wochenende die Eheschließung ein (jeweils, nicht miteinander), und bei der Hochzeit des unveränderlichen Schalkers Manuel Neuer in Süditalien wurde zum Finale, berichtete Bunte, gemeinsam die Hymne "Blau und Weiß, wie lieb' ich dich" gesungen. Mit Beginn der beiden großen Länderturniere - Confed Cup und U-21-EM - schließt sich nun das Sommerloch wieder, und das gemeine Geschäft tritt wieder in den Vordergrund.

So ein Fifa-Turnier, auch wenn es nur die Mini-Mini-Mini-WM ist, bietet den Einkäufern der Groß- und Geldklubs nützliches Anschauungsmaterial, und der Transfermarkt ist irrational genug, um nach einer einzelnen Spitzenleistung hektische Sprünge zu machen. Dass Goretzka in gewisser Weise auf dem Markt ist, ergibt sich aus seinem 2018 auslaufenden Arbeitsvertrag - nicht anders verhält es sichmit seinem 21 Jahre jungen Kollegen Max Meyer, der beim 2:0-Sieg der U 21 gegen Tschechien als Torschütze und Spielmacher hervortrat und neulich lautstark kundgetan hatte, dass er das neue Vertragsangebot seines Vereins ausgeschlagen habe.

Das Allerletzte, was Schalke in diesem Sommer gebrauchen kann

Dem Finanzmann Peter Peters beschert das einen Zwiespalt: Einerseits müsste er interessiert daran sein, von den gestiegenen Kurswerten zu profitieren und Geld zu verdienen, solange es noch was zu verdienen gibt; andererseits ist gerade Goretzkas Verkauf das Allerletzte, was Schalke in diesem Sommer unternehmen möchte. Nicht nur aus sportlichen, sondern auch aus moralischen Gründen. Zu lang ist inzwischen die Liste der Ausgewanderten, die woanders große Karrieren gemacht haben: Mesut Özil, Ivan Rakitic, Manuel Neuer, Julian Draxler, Joel Matip, Leroy Sané, neuerdings Sead Kolasinac. Die Gelsenkirchener Knappenschmiede bildet quasi für die Klassenfeinde aus.

Goretzka, der auch von den Bayern observiert wird, denkt aber erst mal nicht ans Auswandern. Er hat den Confed Cup im Blick, und er will zur WM im nächsten Sommer, bei der er dann auch nicht nur als Einwechselspieler dabei sein möchte. Gegen Australien profilierte er sich mit seiner integrativen Arbeit in Defensive und Offensive, die ihm nun allenthalben als Führungsspieler-Arbeit ausgelegt wird. Wogegen er sich auch gar nicht wehrt, wie er nach dem Spiel mitteilte: "Der erste Schritt für einen Führungsspieler ist, dass er auf dem Platz seine Leistung bringt und ein Stück weit unantastbar ist. Wenn du dein Spiel durchbringst, dann kannst du auch anfangen, dich um andere zu kümmern und andere mitzureißen", sagte er.

Löw - ein loyaler Khedira-Anhänger

Den Anspruch, für die anderen zu sorgen, hat bisher bei der DFB-Elf am deutlichsten und stets in Chefmanier Sami Khedira vertreten. Dessen Zukunft im Mittelfeldzentrum der ersten Elf ist nicht direkt bedroht, aber auch nicht mit Garantie versehen. Der Bundestrainer ist ein loyaler Khedira-Anhänger, doch er hat bei der EM 2016 im Fall des nicht mehr ganz frischen Bastian Schweinsteiger zweideutige Erfahrungen gemacht. Goretzka glaubt, in den drei Länderspielen einen guten Anfang für die höhere Karriere gemacht zu haben: "Vielleicht kann man es so formulieren, dass ich gerade dabei bin, mir den Grundstein aufzubauen." Andere, wie Julian Brandt oder der 1:0-Schütze Lars Stindl, dürfen Ähnliches von sich behaupten.

Löw ist immer noch ein wenig überrascht, wie sich seine handgeschnitzte Turniermannschaft diese in der Heimat als nebensächlich eingestufte Veranstaltung mit Lust und Hingabe zu eigen macht. Goretzka ist auch in einem stillen Stadion gegen Australien gerannt wie bei einem ausgewachsenen Derby, auf Animation von außen können die deutschen Spieler einstweilen gut verzichten. Sie wissen das Turnier auch so als Schaufenster zu schätzen - Leon Goretzka steht bereits mittendrin.

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