Süddeutsche Zeitung

Lennart Johansson:Ein Koloss an Verlässlichkeit

Der langjährige Präsident der Uefa, der Schwede Lennart Johansson, ist im Alter von 89 Jahren verstorben.

Von Philipp Selldorf

Es ist aus zwei Gründen ein seltsamer Zufall, dass Lennart Johansson am Dienstag im Alter von 89 Jahren gestorben ist, "nach kurzer Krankheit", wie es hieß. Am Tag nach dem Ableben des früheren Präsidenten der Europäischen Fußball-Union (Uefa) wurde Gianni Infantino als Anführer des Weltverbandes Fifa im Amt bestätigt, und dies ausgerechnet in Paris, dem Ort der schwersten Niederlage, die Johansson im Laufe seiner Funktionärskarriere erlitten hat. 1998 war er in der französischen Hauptstadt bei der Wahl des nächsten Fifa-Präsidenten Sepp Blatter mit 80 gegen 111 Stimmen unterlegen. Die mehr als zwielichtigen Umstände dieser Abstimmung erschütterten die Szene, sie offenbarten Machenschaften, die nicht neu waren, aber nie so deutlich zu Tage getreten waren wie in diesem Fall. Bis heute hat die Wahl gravierende Auswirkungen auf die Institution Fifa und die beliebteste Sportart der Welt. Wie sähe wohl die Fußball-Welt 2019 aus, wenn damals der integre Schwede Johansson gewählt worden wäre? Anders, das ist sicher. Und besser. Das lässt sich nicht beweisen, aber durchaus vermuten.

Mit Johansson ist auch ein Ereignis verbunden, das die deutsche Fußballwelt verändert hat - zu ihrem Vorteil. Der Schwede war ein starker Alliierter der Bewerbung um die WM 2006 und ein wichtiger Partner des DFB, um die Kandidatur gegen inner- und außereuropäische Konkurrenz zu verteidigen. Diese enge Beziehung beruhte nicht zuletzt auf seiner Freundschaft zum damaligen DFB-Chef Egidius Braun, heute 94 Jahre alt. Johansson stand Pate, als der DFB und der englische Verband eine Übereinkunft trafen über die Anwartschaft auf die WM 2006: England versprach gegen deutsche Hilfszusagen in anderer Sache Verzicht, hielt sich aber nicht daran, nachdem der verantwortliche Präsident Bert Millichip sein Amt niedergelegt hatte. Johansson beruhigte die nervösen Deutschen, er werde ihnen helfen, die Stimmen der anderen Europäer beim Wahlgang im Jahr 2000 zu erhalten.

"Mit dem Wort Freundschaft wird in der Politik inflationär umgegangen, in diesem Fall aber ist der Begriff Freundschaft wirklich gerechtfertigt. Johansson hat wie eine Eins zu uns gestanden", sagt der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Beim Besuch in Stockholm 2006 auf der Welcome Tour zur WM revanchierten sich die Deutschen. Niersbach, damals Franz Beckenbauers rechte Hand im Organisationskomitee, lernte mit Hilfe des Dolmetschers der deutschen Botschaft eine Dankeshymne auf Schwedisch auswendig. Als er sie auf dem Podium vortrug, kamen Johansson Tränen der Rührung. Er war zwar ein vielmals erprobter und ausgezeichneter Funktionär und zudem ein Koloss von Mensch, aber auch ein wenig sentimental. "Er war in unserem Sport eine großartige Persönlichkeit, aber vor allem war er ein großartiger Mensch. Vielleicht zu ehrlich für dieses Metier", sagt Niersbach. "Johansson zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Persönlichkeiten des europäischen Fußballs der vergangenen Jahrzehnte", erklärten die Vizepräsidenten Koch und Rauball im Namen des DFB. Auch Blatter meldete sich via Twitter: "Wir waren Verbündete, Gegner - sogar Rivalen. Aber in allen Situationen gab es Respekt und Fairplay."

Johansson, der den Vorsitz der Uefa von 1990 bis Januar 2007 innehatte, galt als sehr verlässlich und gesellig. Seine Vorliebe für Scotch stellte manchmal eine ernste Herausforderung für Gastgeber dar. Als er sich 2007 in der Uefa erneut zur Wahl stellte, unterlag er knapp Michel Platini. So endete die Funktionärszeit. 2008 erlitt er einen Schlaganfall, dem Fußball blieb er treu. Noch vorige Woche erlebte er das Europa-League-Finale in Baku.

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SZ vom 06.06.2019
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