Bei diesen Szenen kamen ungute Erinnerungen hoch. Sie glichen jenen Bildern, die erst vor wenigen Wochen beeinflusst hatten, mit welcher Stimmung ein Spiel des Frauen-Nationalteams zu Ende gegangen war: Die Freude über einen wichtigen Sieg unmittelbar getrübt von großer Sorge – damals wie heute.
Anfang Juni hatten sich die deutschen Fußballerinnen gegen Polen mit dem vierten Sieg im vierten Qualifikationsspiel ihr Ticket für die Europameisterschaft 2025 in der Schweiz gesichert, das nahm etwas Druck vor den Olympischen Spielen. Was hängen blieb, war jedoch das schmerzverzerrte Gesicht von Lena Oberdorf. In der ersten Halbzeit bei einem Zweikampf an der Wade verletzt, humpelte sie gestützt von Betreuern vom Platz, in die Kabine musste sie getragen werden. Eine der wichtigsten Spielerinnen, eine der weltweit Besten im Mittelfeld, drohte auszufallen.
Damals ging es noch mal gut. Doch als hätte sich jemand Pauspapier genommen, wiederholte sich das Ganze am Dienstagabend beim 4:0 (2:0) zum Abschluss der EM-Qualifikation gegen Österreich. Oberdorf blieb bei einem Zweikampf im Rasen hängen und griff sich sofort ans rechte Knie, während sie zu Boden ging und sich wand. Kaum waren Kathrin Hendrich und Giulia Gwinn bei der 22-Jährigen angekommen, riefen sie mit drängenden Gesten die Mediziner auf den Platz. Auch diesmal musste Oberdorf nach längerer Behandlung gestützt werden. Sie humpelte erst an die Seite, wo sie weiter behandelt wurde, und schließlich in der 71. Minute in die Kabine. „Sie hat vor Schmerzen geschrien“, erzählte Hendrich später und versuchte es mit Optimismus: „Sie meinte, es hat ‚knack‘ gemacht, aber das heißt natürlich nicht immer was.“
Am Mittwochabend meldet sich Oberdorf mit einem Foto von sich in Schwarz-Weiß, dazu ein gebrochenes Herz
Im Juni hatte Oberdorf bereits am nächsten Vormittag über ihre eigenen Kanäle eine Entwarnung verschickt. „Alles halb so wild“, schrieb sie. Diesmal lange: Stille. Oberdorf teilte zunächst lediglich Beiträge ihrer Mitspielerinnen Jule Brand und Giulia Gwinn, beide hatten ein Foto von sich mit der Verletzten aus der Partie gegen Österreich gepostet, dazu bandagierte Herzen. Am Mittwochabend dann meldete sich Oberdorf mit einem Foto von sich in Schwarz-Weiß, dazu ein gebrochenes Herz. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) teilte zeitgleich die Diagnose mit: Kreuz- und Innenbandverletzung im rechten Knie. Die Folge: Oberdorf wird Olympia verpassen.
„Diese Nachricht tut weh! Unsere schlimmste Befürchtung ist eingetreten“, wird Bundestrainer Horst Hrubesch zitiert. „Wir alle denken an Obi und fühlen mit ihr. Wir werden nun einmal mehr alle Kräfte für die Olympischen Spiele bündeln. Wir wollen und werden auch für Obi um die Medaille spielen.“
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Oberdorf war am Vormittag nach München gereist, in die Stadt ihres neuen Bundesliga-Klubs FC Bayern, eine Kernspintomografie brachte Klarheit. „Ich hoffe, und ich bin auch dazu bereit zu beten, dass es jetzt nichts Gravierendes ist und dass wir sie vielleicht doch mit zu Olympia kriegen“, hatte Hrubesch auf der Pressekonferenz noch gesagt. Kurz nach dem Spiel hatte er in der ARD deutlich gemacht, was ein Ausfall bedeuten würde: „Das würde uns natürlich verdammt wehtun. Sie ist ein wichtiger Faktor in unserem Spiel.“
Oberdorf hatte beim 0:3 gegen Island in Reykjavik vergangene Woche gelbgesperrt gefehlt. Der erste Auftritt nach dem Urlaub wäre vielleicht auch mit ihr wackliger als im Wettbewerbsrhythmus gelaufen. Dass sie – wie auch die angeschlagene Kapitänin Alexandra Popp (Fußreizung) und Abwehrchefin Marina Hegering – fehlte, trug aber sicher entscheidend dazu bei, dass es dem Team an Härte in den Duellen und Konsequenz in allen Bereichen mangelte. Die Partie war geprägt von Fehlpässen, Fehlentscheidungen und Missverständnissen, was zur höchsten Niederlage der DFB-Frauen seit sechs Jahren führte. Hrubeschs Fazit fiel schonungslos aus: „Was wir gespielt haben, war einfach schlecht!“
Aus dem Olympia-Kader käme die erfahrene Alexandra Popp für die Sechser-Position infrage
Nun, gegen Österreich, vor 43 953 Zuschauern in Hannover, brachte Oberdorf, abgesehen von wenigen Unsicherheiten, wieder Stabilität ins Spiel, eroberte Bälle, das Selbstvertrauen ihrer Zweikampfführung strahlte ab. Dass die Deutschen nun ohne Oberdorf geschwächt zu Olympia reisen, steht außer Frage. Sie ist mit ihren Eigenschaften quasi nicht zu ersetzen. Die Gruppengegner – Australien (25. Juli), Rekordweltmeister USA (28. Juli) und Sambia (31. Juli) – dürften weit robuster und abgezockter spielen als die Gegnerinnen in der EM-Qualifikation. „Wir sind schon in der Lage zu reagieren“, hatte Hrubesch in Hannover gesagt. „Zwar ist es nicht immer derselbe Standard, das gebe ich zu, aber ich bin da sehr zufrieden mit.“ Aus dem Olympia-Kader käme die erfahrene Popp für die Sechserposition infrage, wer für Oberdorf nachrückt, soll in den nächsten Tagen bekannt gegeben werden, hieß es vom DFB.
Dabei hatte der Abschluss der EM-Qualifikation so gut begonnen. Die Deutschen konnten sich vom diesjährigen Muster einer schwachen ersten Halbzeit samt Gegentor befreien. Stattdessen traf Klara Bühl in der elften Minute und Jule Brand legte nach (39.), bevor Lea Schüller (52.) die Partie entschied und Bühl noch eine späte Zugabe gab (90.+3). Alles schön herausgespielte Treffer als Ergebnis eines entschlossenen Auftritts – mit einer Besonderheit noch dazu.
Denn die Vorlagen für Brand und Bühls zweites Tor lieferte jeweils Torhüterin Ann-Katrin Berger mit weiten, präzisen Abstößen, von denen die Österreicherinnen überrumpelt wurden. Wer bei Olympia im Tor stehen wird, hatte Hrubesch bewusst offen gelassen. Er will zwischen Berger und der gegen Island ungewohnt unsicheren Stammkeeperin Merle Frohms erst in Frankreich entscheiden, am Sonntag reist das Nationalteam von Frankfurt aus ab. Berger hat bestmöglich für sich geworben. Die weit größeren Gedanken dürfte sich Hrubesch aber nun darum machen, wie er Lena Oberdorf ersetzen soll.