Leistungsdaten von Bundesliga-Spielern:Der halbgläserne Profi

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Wer ist der Schnellste? Wer der Faulste? Seit dieser Saison werden detaillierte Leistungsdaten aller Bundesliga-Spieler veröffentlicht. Fans freuen sich über die neuen Einblicke, bei den Klubs jedoch regt sich Widerstand. Einige Manager sehen eine "gefährliche Entwicklung" - doch die DFL schweigt.

Boris Herrmann

Computer können heutzutage fast alles, aber ein Spiel können sie noch nicht lesen. Jedenfalls nicht alleine. Da müssen Mensch und Maschine schon zusammenhalten. Auf dem Rasen der Münchner Arena beginnt gerade das Bundesligaspiel des FC Bayern gegen den Hamburger SV, und weit oben unter dem Schlauchboot-Dach beginnt für drei junge Männer vor leuchtenden Bildschirmen der Stress. Der Erste folgt dem Ball mit der Computer-Maus, der Zweite ist für den HSV zuständig, der Dritte für die Bayern.

Fußballanalyse im Stadion, hier beim Spiel FC Bayern gegen den Hamburger SV. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Software des Bayern-Operators erkennt eigenständig zehn rote Männchen, die sie mit zehn roten Kästchen markiert und auf Schritt und Tritt verfolgt. Die menschliche Aufgabe besteht darin, ihr beizubringen, welches dieser Kästchen Robben, welches Müller und welches Badstuber heißt. Das geht so lange gut, bis die Bayern ihr erstes Tor erzielt haben und aus den zehn roten Männchen ein rotes Jubelhäufchen wird. Danach beginnt für den Bayern-Operator das Figuren-Puzzle von vorne.

Wenn alles gut geht, hat der Computer am Ende die X/Y-Koordinaten jedes Spielers 35 Mal pro Sekunde abgespeichert. Nach 90 Minuten summiert sich das insgesamt auf rund 4,2 Millionen Koordinaten, aus denen sich wiederum 22 Bewegungsprofile, Sprintanalysen und Heatmaps extrahieren lassen. So vielschichtig ist diese Sportart heute geworden, von der es immer hieß, sie sei so beliebt, weil sie so einfach sei.

Es gibt unterschiedliche Wege, der Komplexität des Spiels zu begegnen. Und der einfachste Weg ist natürlich immer noch der, auf diese Komplexität zu pfeifen. Mit seinem Satz "Geht's raus und spielt's Fußball" hat Franz Beckenbauer dieser Denkrichtung einen griffigen Slogan geschenkt. Von dem Libero Beckenbauer gab es niemals Bewegungsprofile. Jeder, der ihn spielen sah, hat auch so erkannt, dass er gut war. Im fortgeschrittenen Datenzeitalter scheinen die Leute jedoch lieber Zahlen und Statistiken als ihren Gefühlen zu vertrauen. Der Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge hat einmal - in einem ganz anderen Kontext - behauptet, Fußball sei keine Mathematik. Aber das stimmt so nicht. Nicht mehr.

Wenn man nun Beckenbauer ganz links auf einer fiktiven Bauchgefühl-Skala ansiedelt, und danach all die zaghaften Versuche aneinanderreiht, den Fußball mit wissenschaftlichen Methoden zu lesen, dann steht ganz rechts das sogenannte Tracking-System der Firma Impire aus München. Seit dieser Saison hat sie von der Deutschen Fußball Liga (DFL) den Auftrag erworben, alle Spiele der beiden Bundesligen in Zahlen, Koordinaten und schließlich in detaillierte Match-Analysen zu verwandeln.

Alles, was man mit dem Auge zählen kann (Ballkontakte, Torschüssen, Fouls, usw.) gab es schon lange. Neu sind qualitative, physische Daten, die beispielsweise darüber Auskunft geben, welche Spitzengeschwindigkeit ein Spieler erreicht, ob er sich auch in der Rückwärtsbewegung beeilt oder nur dann sprintet, wenn sein Team den Ball hat. Der Profi soll dabei zum gläsernen Objekt werden. Es ist der bislang weltweit einzigartige Versuch, das Gesamtkunstwerk eines Fußballspiels mit den Mitteln der modernen Datenverarbeitung zu sezieren. Dieser Versuch ist jedoch keineswegs unumstritten.

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Auf einer Tagung der Bundesliga-Manager Mitte August beschwerten sich einige Klubvertreter heftig darüber, dass Impire die detaillierten Arbeitsprofile der Profis nicht nur an die Vereine, sondern auch an die Medien und damit an das breite Publikum verkaufe. "Die Fans haben damit denselben Einblick wie die Trainer", schwärmt der geschäftsführende Datenhändler Mario Hanus. Aber genau das soll Bundesliga-Verantwortliche, darunter Horst Heldt vom FC Schalke 04 und Volker Finke vom 1. FC Köln, verärgert haben.

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Die interessierte Öffentlichkeit hatte sich nach dem ersten Spieltag beispielsweise genüsslich auf die Tatsache gestürzt, dass der Kölner Lukas Podolski lediglich 8,9 Kilometer zurückgelegt hatte. Die Story vom "lauffaulsten Spieler des Spieltages" machte die Runde. Dass solche Geschichten sich nicht unbedingt positiv auf den Marktwert auswirken und die Virtualität damit auf die Realität zurückfällt, versteht sich von selbst.

Andreas Rettig, der Manager des Erstliga-Aufsteigers FC Augsburg, spricht in diesem Zusammenhang von einer "gefährlichen Entwicklung". In der Öffentlichkeit entstehe der Eindruck, dass mittlerweile wissenschaftlich dokumentiert werden könne, welcher Spieler für welche Niederlage verantwortlich sei. Nach Rettigs Auffassung handelt es sich bei den neuartigen Daten jedoch allenfalls um "halbe Wahrheiten". Seine Einwände klingen plausibel.

Es macht für die Kilometerleistung eines Spielers ja in der Tat einen Unterschied, ob eine Partie häufig unterbrochen wird oder durchläuft, ob nachgespielt wird oder nicht. Ein Trainer kann das in seiner internen Analyse berücksichtigen, in der Öffentlichkeit werden indes meist die nackten Zahlen zu angeblich objektiven Leistungstabellen geknetet. Zumal manchmal ein einzelner Schritt genügt, um einen entscheidenden gegnerischen Passweg zu verstellen. "Der gläserne Profi ist nur pseudo-gläsern", sagt Rettig.

Die Liga-Manager haben die DFL deshalb gebeten, zu prüfen, ob bestimmte Daten künftig Verschlusssache der Klubs bleiben können. "Kein Manager sagt: So wie es jetzt ist, ist es super", berichtet Rettig. Die Datenexperten von Impire interessiert das allerdings reichlich wenig. Sie berufen sich auf einen geltenden Vertrag. "Wir haben das Vermarktungsrecht von der Liga eingekauft", sagt Vertriebsleiter Hanus.

Bei der DFL will sich dazu niemand öffentlich äußern. Die Sache sei ohnehin kaum der Rede wert, heißt es. Gleichzeitig lässt allerdings ein Manager eines großen Bundesligaklubs auf Anfrage mitteilen, er wolle zu diesem Thema auf keinen Fall zitiert werden. Die Sache sei gerade etwas heikel.

© SZ vom 27.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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