Es soll schon deutsche Nationalspieler gegeben haben, die ihre Tore mit einem Salto zelebrierten. Aber gut, für so einen Premierentreffer gegen Nordirland wäre das auch ein bisschen übertrieben gewesen. Marcel Halstenberg jedenfalls, am Montagabend erst zum vierten Mal im Trikot der deutschen Nationalmannschaft, hob nur schüchtern die Fäuste zur Brust und ließ sich dann diskret abklatschen im Kreis seiner Kollegen - als hätte er gerade nicht per artistischer Volley-Abnahme das 1:0 nach zuvor viel glücklosem Gemurkse der deutschen Mannschaft geschossen, sondern den Ball in einem Trainingsspiel aus Versehen ins leere Tor befördert.
"Ja, gut getroffen", kommentierte der 27-Jährige sein Kunststück später in ähnlicher Nüchternheit, "was soll ich großartig sagen?" Und so ist das ja manchmal auch: Wer ansehnlich trifft, braucht tatsächlich nicht mehr viel zu erklären. Schöner wird es dann ohnehin nicht mehr.
"Ich habe meine Torpause ja jetzt schon gehabt", sagt Werner
Aus Vereinsfußball-Perspektive bot dieser Montagabend in Belfast eine Neuheit: Zum ersten Mal standen drei Spieler von RB Leipzig in der Startelf von Joachim Löw, hinter vier Bayern bildeten sie die stärkste Fraktion - und dann leitete auch noch ein Leipziger mit dem 1:0 den Sieg ein. Dafür war eigentlich eher Stürmer Timo Werner vorgesehen, nicht der linke Außenverteidiger Halstenberg, der für den verletzten Dortmunder Nico Schulz ins Team gerückt war. Aber für das Endergebnis war das egal. "Ich habe mich innerlich extrem gefreut", sagte Halstenberg dann doch. Sein Klubkollege Lukas Klostermann hatte die Flanke in den Strafraum gegeben, die Julian Brandt per gescheitertem Kopfball zu Halstenberg verlängerte. Es war ein erlösendes Tor nach mehreren brenzligen Situationen für die DFB-Elf. Werner lief als einer der ersten auf den Torschützen Halstenberg zur Umarmung zu - und die tat ihm vermutlich selbst auch ganz gut.
Denn der Mittelstürmer Werner leidet in der Nationalmannschaft derzeit an einer merkwürdigen Abschlussschwäche. Obwohl er nach seiner Vertragsverlängerung bei RB und zähen Monaten des vergeblichen Wartens auf ein konkretes Angebot des FC Bayern in der Bundesliga zuletzt groß aufgespielt hatte, mutierte Werner, 23, gegen die Niederlande und in Nordirland zum sog . Chancentod . "Dass das nicht Glanz und Gloria war, ist klar", sagte er in Belfast kurz in die Mikrofone, er wollte aber einen Schritt in die richtige Richtung erkannt haben. Dann wurde er verbal sogar ein bisschen angriffslustig. Am Samstagabend trifft in der Liga ja Leipzig als Tabellenführer auf den FC Bayern. "Ich habe meine Torpause in den zwei Länderspielen gehabt, jetzt kann man gegen Bayern wieder treffen", sagte Werner etwas sperrig - und lachte sogar ein wenig.
Dass die deutsche Nationalmannschaft nicht mehr nur mehrheitlich aus Münchnern und Dortmundern besteht, ist ein Abbild der Bundesliga: Mit drei Siegen sind die Leipziger dort gestartet, schon beim 4:0 gegen Union Berlin war Halstenberg unter den Torschützen. In der Jugend durfte er noch als Stürmer seine Kreise ziehen, er rutschte dann auf Stationen bei Hannover 96 II, Borussia Dortmund II und dem FC St. Pauli immer weiter nach hinten ab. 2015 holten ihn die Leipziger, 2017 berief ihn Löw ins Nationalteam - da war der gebürtige Niedersachse schon 26. Ein dreifacher Handbruch (nach Crash mit dem Pfosten) sowie ein Kreuzbandriss (nach Zusammenprall im Training mit einem Kollegen) setzten Halstenberg längere Zeit außer Gefecht, er verpasste die WM 2018. Doch wenn es für späte Talente eine Chance in der DFB-Elf gibt, dann wohl genau jetzt.
"Am Samstag haue ich auch euch einen rein", kündigt Gnabry an
Von den Kollegen im deutschen Team, die in der Liga ihre Konkurrenten sind, werden die Leipziger mit einer gebotenen Mischung aus Rivalität und Neckerei bedacht. "Der Serge kam nach seinem Tor zu mir und meinte: 'Am Samstag haue ich euch auch einen rein'", berichtete Halstenberg vom Münchner Serge Gnabry, der das 2:0 erzielt hatte. Halstenbergs Antwort: "Das verhindere ich auf jeden Fall." Fürs Toreschießen ist am Samstag wieder Timo Werner eingeplant.