Die Kontroverse um RB Leipzig, die die deutsche Fußballgemeinde in zwei erbittert gegensätzliche Lager spaltet, beschäftigt nun auch den internationalen Diskurs: Auf der einen Seite die Befürworter eines innovativen, konsequent verwirklichten Projekts, auf der anderen Seite die Vertreter der althergebrachten Konvention, die den Leipziger Stil grundsätzlich ablehnen. Allerdings hat sich die Debatte vom ideologischen Schwerpunkt auf den ästhetischen Aspekt verlagert: Während in Deutschland viele fragen, ob ein PR-Produkt wie RB der Bundesliga angehören darf, fragt man sich im Ausland, ob Julian Nagelsmann in einem Champions-League-Halbfinale so einen Anzug tragen darf.
Das Aufsehen, das der Trainer mit seinem extravaganten Auftritt erregt hat, stand im Kontrast zur Wahrnehmung der sportlichen Leistung. Nagelsmann fiel auf, sein chancenlos unterlegenes Team nicht. So bestimmten Bemerkungen über seinen Kleiderschrank die Nachbetrachtungen. Dieses gemusterte Textil stelle eine ganz neue Form von psychologischer Kriegsführung dar, hieß es. Der englische TV-Experte Steve McManaman erklärte Leipzigs 0:3 zur gerechten Strafe für diesen Anzug. Die Sun fand, dass Nagelsmanns Anzug greller geleuchtet habe als das Flutlicht. Und Bernd Schuster mutmaßte im spanischen Radio, in Nagelsmanns Spind sei das Licht ausgefallen, daher habe der Coach danebengegriffen.

Aus von RB in der Champions League:Kein Scham, kein Gram
Leipzig bekommt gegen Paris in fast allen Facetten seine Grenzen aufgezeigt. Julian Nagelsmann ist aber trotzdem stolz und betont, seine Mannschaft befinde sich noch in der Entwicklung.
Die sportliche Philosophie ist diffus geworden
Tröstlich an all der Häme ist, dass Nagelsmann sich durch den Spott garantiert nicht verunsichern lässt. Er zieht ja nicht deshalb den extrovertierten Auftritt vor, um Gleichgültigkeit zu erzeugen, sondern weil er den Mittelpunkt genießt. Es gibt bereits Kommentatoren, die ihn für seine Eitelkeit geißeln, als ob er wegen seiner wechselnden, stets sorgfältig geplanten Garderoben die Trainerpflichten verletzen würde - eine blödsinnige These. RB ist nicht am Styling des Trainers, sondern an der teuren Klasse des Gegners gescheitert; und daran, dass es in der eigenen Elf an Klassespielern für dieses Niveau mangelt. Wertvollster Leipziger ist Dayot Upamecano - ein Verteidiger.
Während PSG damit zu kämpfen hatte, dass es durch die Pandemie-Pause in einen ungewissen Vorsaison-Zustand versetzt wurde, hatte Leipzig zuletzt ganz andere Zweifel am Leistungsvermögen erfahren. Ein 2:2 gegen Düsseldorf ist noch gar nicht lang her, damals war man drauf und dran, die vermeintlich sichere Champions-League-Teilnahme einzubüßen. Platz drei, der es am Ende wurde, ist das angemessene Abbild der Saisonleistung, dennoch hat sich der Ausblick nun eingetrübt. RB, bisher als neureich und privilegiert beargwöhnt, muss wegen der Corona-Krise sparen. Für den teuer verkauften Timo Werner soll Milot Rashica aus Bremen kommen, das sagt einiges.
Mit dem Erreichen des Halbfinals hat das Unternehmen RB zwar einen ersehnten Karrierepunkt erreicht, doch es fehlen die klaren Anzeichen, dass der Aufstieg kontinuierlich weitergeht. Generalarchitekt Ralf Rangnick hat sich aus Leipzig verabschiedet, am Transfermarkt bleibt man bislang eher passiv, die sportliche Philosophie ist diffus geworden. Möglich also, dass die deutsche Debatte um RB wegen nachlassenden Erfolgs etwas zur Ruhe kommt. Im Ausland ist man hingegen gespannt, was Julian Nagelsmann im Europacup-Herbst tragen wird.