Süddeutsche Zeitung

Leipzig im Glück:Der Poet ist der Torwart

Beim 1:1 in Wolfsburg rettet Leipzigs Keeper Peter Gulacsi seinem Team in der Endphase einen Punkt.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es ist immer noch so, dass sie in Wolfsburg versuchen, neue Wege zu gehen. Am Dienstagabend vor dem Bundesligaspiel des örtlichen Vereins für Leibesübungen gegen RB Leipzig stellten sie zum Beispiel die Poetry-Slammerin Jessy James LaFleur an die Mittellinie der Arena am Mittellandkanal, auf dass sie vor einem Mikrofon ihr Werk "Einmal Wolfsburg, immer Wolfsburg" deklamiere.

Es hat in letzter Zeit so einige als fußballfern empfundene Auftritte in Stadien gegeben; in Wolfsburg lauschte das Publikum aber nicht nur respektvoll, es quittierte den Vortrag sogar mit Applaus. Wer weiß, ob das dem Umstand geschuldet war, dass es mit fußballerischer Poesie in Wolfsburg zuletzt nicht so weit her war. Dass man also dankbar war darüber, endlich mal wieder ein wenig Kunst auf dem Rasen geboten zu bekommen, und sei es durchs gesprochene Wort. Den Akteuren diente das zwar nicht als Inspiration, das Spiel war lange Zeit bar jeder Lyrik. Und am Ende stand trotz versöhnlicher Schlussphase nur ein 1:1 (1:0) auf der Anzeigetafel: das zehnte VfL-Remis der laufenden Saison - oder das vierte sieglose Auswärtsspiel Leipzigs in Serie. Der Hinrundenerste, der FC Bayern München, kann damit am Mittwoch seinen Vorsprung auf Verfolger Leipzig auf zehn Zähler anwachsen lassen.

Der weitgehend prosaische Charakter der Begegnung in Wolfsburg fand seinen Ausdruck vor allem im Tempo, das keine Rücksicht auf Versmaße zu nehmen schien und viel zu oft in Hektik abglitt. Beide Mannschaften standen kompakt, ohne irgendeiner Form subtiler Kunst einen Spalt breit offen zu lassen. Es passte daher auch zum Stil der Partie, dass das Spiel seine erste Wendung dadurch nahm, dass Leipzigs Innenverteidiger Ibrahima Konate den Wolfsburger Stürmer Mario Gomez am Fünfmeterraum in die Knöchel trat. Den fälligen und berechtigten Strafstoß verwandelte Verteidiger Paul Verhaegh auf schmuck- und humorlose Art (15.).

Auch nach dem Tor trieb das Spiel richtungslos umher. Die beiden Spieler, die Kraft ihrer Veranlagung noch am ehesten dazu angetan gewesen wären, für Inspiration zu sorgen, Yunus Malli vom VfL Wolfsburg oder Naby Keita von RB Leipzig, rangen im Schweiße ihres Angesichts nach einer Idee wie ein Dichter nach Worten. Leipzig stürmte und drängte, wie 7:1 Ecken in der ersten Hälfte belegten, doch zwingende Chancen erspielte sich das Team nicht. Wolfsburg zeigte kaum mehr als blanke Arbeit, außer bei einem wohl als Flanke konzipierten Ball von Wolfsburgs Mittelfeldspieler Daniel Didavi, der sich in den Winkel gesenkt hätte und gleichsam als Kunstobjekt hätte verklärt werden können, wenn Leipzigs Torwart Peter Gulacsi den Ball nicht über die Querlatte gelenkt hätte.

Auch nach der Pause blieb die Partie von der augenscheinlichen Überlegenheit der Leipziger geprägt - mit dem Unterschied, dass diese nun ihre Früchte trug. Nationalspieler Marcel Halstenberg rutschte links im Strafraum in einen Querpass von Yussuf Poulsen - und bugsierte den Ball an den rechte Außenpfosten, unerreichbar für VfL-Torwart Koen Casteels (53.). "Im Endeffekt habe ich bei meinem Tor nicht gejubelt, ich dachte, dass wir das Spiel noch drehen können. Hintenraus hatten wir dann aber sogar Glück, dass wir den Punkt mitnehmen konnten", sagte Halstenberg nach seinem ersten Bundesliga-Tor. Denn Wolfsburg drehte auf.

Erst durfte Nationalstürmer Mario Gomez zeigen, dass seine Mission nicht nur darin bestand, in der eigenen Hälfte Löcher zu stopfen. Sein Schuss aus 17 Metern landete allerdings knapp über dem Tor (56.). Obgleich er damit für die im Prinzip erste VfL-Chance der Partie gesorgt hatte, wurde er nach 66 Minuten ausgewechselt. Für ihn kam Divock Origi, der in der 78. Minute den Zorn des Publikums auf sich zog, als er einen Pass von Linksverteidiger William aus drei Metern nicht ins leere Tor schob, sondern über die Querlatte lupfte. Vergeben wurde ihm aber, dass er nur kurz danach an Leipzigs Keeper scheiterte, als ihn der plötzlich erwachte Malli im Strafraum freigespielt hatte. Er war es, der Wolfsburgs Spiel Struktur verlieh, weil er spürte, dass die Leipziger die Kräfte verließen. Mal bediente er Didavi auf der rechten Seite, dann wieder liebkoste er den Ball, dass es dem Auge eine Freude war und dem Vortrag seiner ganzen Elf Sinn verlieh. Kurz nachdem Leipzig noch durch einen Fernschuss von Halstenberg aufgemerkt hatte, hätte Malli fast selbst noch getroffen. Doch Gulacsi sorgte dafür, dass Mallis Werk unvollendet blieb.

Gulacsi blieb es auch überlassen, die Schlusspointe zu setzen. Denn kurz vor dem Ende, nachdem Innenverteidiger Upamecano noch die gelb-rote Karte gesehen hatte, vereitelte er eine Doppelchance von Gerhardt und Guilavogui, schwang sich damit zum einzig legitimen Poeten der Partie auf und rettete seinem Team einen Punkt, den Coach Ralph Hasenhüttl bejubelte wie einen Sieg.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2017
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