Leipzig:Die Jungbullen laufen die Gegner müde

Leipzig: Leipziger Jungbullen unter sich: Timo Werner (links) und Tiim Burke feiern den Torschützen Marcel Sabitzer (Mitte).

Leipziger Jungbullen unter sich: Timo Werner (links) und Tiim Burke feiern den Torschützen Marcel Sabitzer (Mitte).

(Foto: AFP)

RB Leipzig ist der zweitbeste Aufsteiger in der Bundesliga-Historie - die Situation erinnert an 2008, als Ralf Rangnick mit Hoffenheims Hochgeschwindigkeitsfußball die Liga aufmischte.

Von Frank Hellmann, Darmstadt

Marcel Sabitzer sah wahrlich nicht so aus, als habe ihn sein Mitwirken in einem Bundesliga-Stadion, das wie kein zweites noch nach Schweiß und Arbeit riecht, wirklich angestrengt. Die Haare waren gut frisiert, die Arbeitsutensilien nicht dreckverschmiert, als der Österreicher ans Absperrband spazierte. Eigentlich spricht der Offensivmann von RB Leipzig nur zur Öffentlichkeit, wenn er unbedingt muss, aber wer als Einwechselspieler ein solches Geduldsspiel wie dieses 2:0 am ehrwürdigen Darmstädter Böllenfalltor mit einem Doppelpack (57., 81.) entscheidet, der will dann doch mal was zur eigenen Lage sagen: "Ich hatte mich unglücklich verletzt. Ich denke, ich habe das nun gut hinbekommen. Ich will ja wieder spielen."

Vor anderthalb Jahren schon war Sabitzer von Salzburg nach Leipzig gewechselt. Aus der einen in die andere RB-Filiale. Er gestaltete den Aufstieg mit, und nun, da sich die Sachsen auf Platz zwei gleich hinter dem FC Bayern festsetzen, will jeder dabei sein, wenn die Post abgeht. Der 22-Jährige drängt zurück in die Startelf, weshalb sich Sabitzer bereits zwei Wochen nach einem Außenbandriss im Sprunggelenk als spielfähig zurückmeldete. Eine Blitzgenesung, die dem "steirischen Heilfleisch" zu verdanken sei, wie RB-Sportdirektor Ralf Rangnick diagnostizierte. "Ein bisschen Tape, dann geht's", sagte Sabitzer.

Einen solchen Auftritt hatte Rangnick, der die meisten Übungseinheiten hinter verschlossenen Türen im klubeigenen Trainingszentrum verfolgt, fast erwartet: "Sabi war wie eine Pistole im Anschlag", sagte Rangnick und feuerte eine zweite Phrase hinterher: "Der war bei seiner Einwechslung heiß wie Frittenfett." Heiß wie offenbar alle Leipziger, die erst zuschauen müssen, bevor sie mitwirken dürfen. Den zweiten Treffer bereitete Oliver Burke, 19, vor, der begabte wie wuchtige Schotte, bei dem immer noch gerätselt wird, warum er die Premier League verlassen hat. Als Dritter kam Davie Selke, 21, der nicht mehr viel bewirkte, aber auch bekannt ist, weil er in Rio Olympia-Silber gewinnen half.

Leipzig läuft die meisten Kilometer in der Liga

Kurz vor Rekord

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Marcel Sabitzers Doppelpack beim 2:0-Erfolg von RB Leipzig in Darmstadt waren bereits die Jokertore Nummer 6 und 7 des Aufsteigers. Keine andere Bundesliga-Mannschaft ist derzeit annähernd so erfolgreich.

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RB Leipzig ist erst der zweite Aufsteiger der Liga-Historie, der nach neun Spielen noch ungeschlagen ist. Der MSV Duisburg schaffte es 1993/94 zehn Mal.

Passt alles in die Strategie: Der erste Angriff läuft den Gegner müde, der zweite hilft spät mit Toren. Sieben der 17 Treffer haben die Leipziger Joker erzielt. Timo Werner, der in Darmstadt zur ersten Angriffsreihe zählte, bestätigt die Rezeptur: "Wir laufen ohne Ende. Und wenn der Gegner müde gespielt ist, dürfen die anderen das Spiel entscheiden." Es ist überhaupt eine ganz schöne Dauerleister-Truppe, die da gerade unterwegs ist: Der jüngste Kader der Liga (23 Jahre) schrubbt die meisten Kilometer (116 im Schnitt pro Spiel). Nebenbei werden auch noch die wenigsten gegnerischen Chancen (21) zugelassen.

In der charmanten Böllenfalltor-Bruchbude, in der so viele schon weiche Knie bekamen, weil die Hausherren auf Klassenkampf gepolt sind, agierten die Jungbullen von RB strukturell und klar wie kaum ein Gast zuvor. Und dieser Aufsteiger, so viel steht nach neun Bundesliga-Runden fest, wird für noch viel mehr Aufsehen sorgen.

Drei Tage vor Heiligabend geht es gegen den FC Bayern

Kein Wunder, dass die griffigsten Komplimente vom Gegner kamen: Mittelfeldspieler Florian Jungwirth hatte ein "weltklasse Gegenpressing" bestaunt, Mittelstürmer Sven Schipplock sah um sich herum "junge, talentierte Spieler, die alle gierig sind und zu 100 Prozent machen, was deren Trainer sagt". Er fände es gut, wenn diese rasende Rasselbande "die Bayern ein bisschen ärgern" würde. Bis zum ersten echten Duell müssen alle aber noch ein bisschen waren. Die Spielplangestalter haben es für die 16. Runde angesetzt, in München. Am Mittwoch, den 21. Dezember, drei Tage vor Heiligabend.

Sollte Leipzig dranbleiben können, würde der Hinrunden-Champion dann allerdings noch nicht feststehen - die erste Runde wird in dieser Saison erst mit dem 17. Spieltag im Januar abgeschlossen. Trotzdem erinnert die Situation, die sich da gerade entwickeln könnte, an das Winter-Finale im Jahr 2008. Damals war der Dorfverein TSG Hoffenheim gerade in die erste Liga aufgestiegen, erstmals hatten sich die Bayern-Bosse mit einer Projektarbeit von Ralf Rangnick ernsthaft auseinandersetzen müssen. Es war ebenfalls ein 16. Spieltag im Dezember, es wurde ebenfalls in München gekickt, und es wurde ein packendes Hochgeschwindigkeits-Fußballspiel, an das man sich heute noch gerne erinnert. Erst in der Nachspielzeit gelang den Münchnern der 2:1-Siegtreffer, erzielt vom Italiener Luca Toni.

Bis es wieder so weit ist, haben die Leipziger noch sechs Spiele durchzupowern und dabei ihren Zwei-Punkte-Rückstand zu halten. Verständlicherweise will Rangnick die Konstellation nicht zum Thema werden lassen: "Es interessiert niemanden, was im Dezember passiert." Nur eines könne er schon sagen: "Für uns wird es in dieser Saison keine Niederlagen geben: Wenn wir verlieren, dann lernen wir daraus." Bis heute gab es einen solchen Lerneffekt noch nicht.

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