Christopher Nkunku:Schön schwindelig vor Verzückung

Bundesliga - RB Leipzig v Borussia Dortmund

Aktuell Leipzigs auffälligster Spieler: Christopher Nkunku.

(Foto: Annegrit Hilse/Reuters)

Christopher Nkunku ist Leipzigs Hauptdarsteller dieser Saison. Gegen Dortmund dreht der Franzose Zirkel wie Zinedine Zidane - und hilft damit auch Trainer Jesse Marsch.

Von Cornelius Pollmer, Leipzig

Durch die Straßen um das Leipziger Stadion fuhr am Freitagabend ein Lautsprecherwagen, um möglichst viele der anwohnenden Bürgerinnen und Bürger für eine große Sache zu mobilisieren. Man müsse sich jetzt dringend mal zur Wehr setzen, sonst drohe der endgültige Untergang, alle würden gebraucht. Das klang martialisch und es klang irgendwie auch ziemlich orientierungslos.

Oft hilft ein Koordinatensystem, um sich neu zu orientieren. Für die zwei Großereignisse, die den Samstag in Leipzig prägten, sei Folgendes skizziert: Auf der Abszisse (das ist die Achse von links nach rechts) abzutragen sind die "Querdenker", die das Leipziger Zentrum dominierten, allerdings ohne dabei eine auch nur im Ansatz konstruktive Spielidee zu entwickeln. Auf der Ordinate (das ist die Achse von unten nach oben) einzutragen sind hingegen Idee und Umsetzung des vertikalen Fußballspiels durch den Trainer Jesse Marsch und dessen Leipziger Mannschaft.

Beim 2:1 von RB gegen Borussia Dortmund erlebten 43 429 Zuschauer - und damit so viele wie nie zuvor seit einem jüngsten Umbau bei einem Heimspiel - einen vor allem in der ersten Halbzeit erstaunlich desolaten BVB - und eine aggressive, energetische Leipziger Mannschaft, bei der neben dem Trainer Marsch derzeit vor allem ein Spieler regelmäßig einen grellen Kegel Bühnenlicht auf sich zieht.

Schon wenige Sekunden nach dem Anpfiff tauchte Christopher Nkunku das erste Mal vor dem Dortmunder Tor auf und trat dort Manuel Akanji auf den Fuß, was durchaus hätte Gelb geben dürfen, rückblickend aber auch ein erster kleiner Gruß war: Hallöchen, ihr bekommt es heute mit mir zu tun. Und wie es Dortmund mit Nkunku dann zu tun bekam!

Bundesliga - RB Leipzig v Borussia Dortmund

Nicht aufzuhalten: Christopher Nkunku, verfolgt von Dortmunds Marin Pongracic.

(Foto: Annegrit Hilse/Reuters)

Torhüter Kobel konnte gegen den Franzosen zunächst noch parieren (13.), schon in der 29. Minute aber setzte Leipzig die Idee des Vertikaldenkers Marsch ein erstes Mal beeindruckend um. Nach tastendem Aufbau durch Adams und Gvardiol spielte Letzterer einen herausragenden tiefen Pass. Nkunku nahm ihn entgegen, drehte erstaunlich gelassen eine Runde um Kobel, legte sich den Ball in Ruhe neu zurecht - und lochte mehr ein als dass er schoss.

Es war erneut Christopher Nkunku, der Leipzig in jenen leuchtenden Minuten anführte, die nach einer guten Stunde wieder begannen. Zunächst ließ er Thomas Meunier und Mats Hummels wie Pappkameraden stehen und drehte in zwei Zinedine-Zidane-Zirkeln an ihnen vorbei, dass einem noch auf der Tribüne kurz schwindelig wurde, aber eben schön schwindelig und vor Verzückung. Nkunku schoss danach ja vielleicht sogar mit Absicht an den linken Pfosten, um den Ball im Spiel zu halten und kurz darauf eine zweite Schönheit des Spiels zu produzieren.

Denn nur fünf Minuten später begann der Franzose schon wieder fast zu fliegen, diesmal auf der linken Außenbahn. Auf die Reise ging dann aber nur der butterweich segelnde Ball. Am langen Pfosten verwertete der einmal mehr durchweg fleißige Yussuf Poulsen zum 2:1. In Heldentateinheit mit nur zwei weiteren Leipzigern hatten Nkunku und Poulsen dieses Tor gegen acht Dortmunder erspielt, ein Quotient, den der Torschütze zum zwischenzeitlichen 1:1, Marco Reus, nach dem Spiel korrekt berechnete ("saudumm").

Fussball, Herren, Saison 2021/2022, 1. Bundesliga (11. Spieltag), RB Leipzig - Borussia Dortmund, v. l. Yussuf Poulsen

Tor zum Sieg: Yussuf Poulsen (weißes Trikot) trifft zum 2:1 für Leipzig.

(Foto: Sebastian Räppold/imago)

Sollte im Leipziger Besser-Stadtteil Gohlis am Sonntag das Knallen eines Korkens der Geht-so-Sektmarke Rotkäppchen zu hören gewesen sein, man wäre gern dabei gewesen, wie die tatsächlichen Nachbarn Jesse Marsch und Christopher Nkunku das Etikett erst in amerikanischem Englisch und dann in Französisch auszusprechen versuchten. Soweit er wisse, sagte Marsch nach dem Spiel, habe Nkunku einen Mietvertrag "über drei oder vier Jahre" für seine Wohnung abgeschlossen, ein besseres Argument für einen langfristigen Verbleib des 23-Jährigen in Leipzig fiel ihm nachvollziehbarer Weise nicht ein. In elf Ligaspielen kommt Nkunku auf jetzt je fünf Tore und Vorlagen, in der Champions League schaffte er in vier Partien fünf Treffer und ein Assist.

Jesse Marsch braucht noch deutlich mehr Siege, um richtig in Leipzig anzukommen

Er habe, sagte Marsch nach dem Spiel, dem technisch fein ausgesteuerten und körperlich kantigen Nkunku "nach drei Tagen der Vorbereitung" prophezeit, dass er wohl der Spieler sei, der von dem Trainer- und Systemwechsel zu mehr vertikalem Spiel am meisten profitieren könne. Es war ein geschicktes Lob, weil zum einen aufrichtig und hauptsächlich für Nkunku, zum anderen eben auch eines an die eigene Gohliser Meldeadresse.

Jesse Marsch wird noch deutlich mehr Siege wie den wichtigen gegen Dortmund brauchen, er ist in Leipzig lange nicht in endgültiger Weise angekommen. Seine am Samstag deutlich zu spürende Erleichterung war aber auch deswegen gut nachzuvollziehen, weil für Leipzig schon in Frankfurt (1:1) und gegen Paris Saint-Germain (2:2) mehr drin war, als am Ende auf den Spielberichtsbögen in der Ergebniszeile stand. "Die Belohnungen kommen nicht so einfach für uns", stellte Marsch fest. Das könnte auch nach der Länderspielpause so bleiben, die sich jetzt allerdings mit einer klaren Leistungstendenz und in dem Glauben gut aushalten lässt, dass "Mentalität und Gefühle in der Mannschaft jetzt sehr stark" seien.

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