Leipzig:Bestellt und geliefert

Leipzig: Eine von gefühlt zwanzig Großchancen: Timo Werner nutzt die Gelegenheit zum dritten Leipziger Tor in Köln.

Eine von gefühlt zwanzig Großchancen: Timo Werner nutzt die Gelegenheit zum dritten Leipziger Tor in Köln.

(Foto: Ina Fassbender/AP)

Unterhalb des FC Bayern hat sich ein spannendes Rennen um die Champions-League-Plätze entwickelt - die RB-Profis bleiben nach dem 4:2 in Köln an Borussia Dortmund dran.

Von Philipp Selldorf, Köln

Der Brillenjubel von Anthony Modeste hat nicht nur auf Kölner Bolzplätzen und Pausenhöfen, sondern auch im Weltfußball jenseits der rheinischen Grenzen Verbreitung gefunden. Selbst Sergio Ramos hat schon davon Gebrauch gemacht. Am Montagabend hat Modeste seiner Gefolgschaft aber ein Rätsel aufgegeben, als er seinen zwischenzeitlichen Anschlusstreffer beim 2:4 des 1. FC Köln gegen RB Leipzig mit einer Geste feierte, die schwer zu durchschauen war. Via Instagram klärte Modeste später auf, dass seine Handzeichen ein Statement gegen Rassismus ausdrücken sollten, der Klub begrüßte das aus aktuellem Anlass in Szene gesetzte Engagement als "klares Signal" und, wie Manager Horst Heldt sagte, "gute Sache".

Die Selbstverständlichkeit, mit der Leipzig den Rückstand drehte, trug Spuren von Deklassierung

Sehr gern hätten es die Kölner gesehen, wenn Modeste noch mindestens ein weiteres politisches Signal gesendet hätte, doch als es darauf ankam, versagte der Angreifer den Torjägerdienst. Bei seinem Solo in der 85. Minute hatte Modeste das Tor im Großformat vor sich und das 3:4 auf dem Fuß, es hätte noch mal spannend werden können in dieser Partie, und vermutlich hätten dann auch die Flüche von Julian Nagelsmann ein klares Signal ergeben. Leipzigs Trainer hatte sich bis dahin schon einige Male aufgeregt, sowohl über seine nachlässigen Spieler als auch über den Schiedsrichter, dessen Spielleitung der Coach vom Seitenrand wie aus einer Kritikerloge bewertete ("Das ist sooo schlecht!"). Später fällte Nagelsmann ein strenges Urteil über den Abend: "Das war kein Sahnestück."

Diese ungnädige Ansicht zeugt nicht nur von seinen hohen Ansprüchen, sondern auch von einem reellen Selbstverständnis, das aus den sportlichen Gegensätzen in der Liga resultiert: Trotz ihrer Nonchalance waren die Leipziger den eifrig bemühten Kölnern je nach Einsatz und Notwendigkeit immer ein Stück voraus. Der Unterschied zwischen den Teams war etwa so essenziell wie der im Flugzeug zwischen Economy und Business Class. Das ist keine Neuigkeit, machte sich aber in Abwesenheit des stolzen Geißbocks Hennes und des passionierten kölschen Publikums noch deutlicher bemerkbar.

An den ersten Geisterspieltagen hat sich die Bundesliga daran erfreut, dass auf einmal Glamour-Größen wie Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimovic oder Kylian Mbappé dem vormals vernachlässigten deutschen Fußball ihre Aufmerksamkeit schenkten, inzwischen sind teilhabende Kommentare aus diesem Kreis nicht mehr zu vernehmen. Sollte der eine oder andere Superstar am Montagabend zugesehen haben, dürfte er sich auf die demnächst in der eigenen Liga anstehenden Geisterspiele gefreut haben: Diese Form des puren Fußballs macht es offenbar noch ein wenig angenehmer, einem Spitzenteam anzugehören. Die ersten Fünf der Bundesliga haben an diesem 29. Spieltag fünf Siege mit insgesamt 20 Treffern erzielt, Bayer Leverkusen fiel beim 1:0 in Freiburg quasi aus der Rolle. RB hatte in Köln, wie Nagelsmann feststellte, "Chancen in Hülle und Fülle" auf weitere Tore vergeben.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Leipzig auf spielerische Art den frühen Rückstand nach Jhon Cordobas 1:0 drehte und durch die beiden Tore nach der Pause ausbaute, trug Spuren von Deklassierung. RB erzielte die Tore scheinbar nach Belieben. Seinen Kopfball zum 1:1 erklärte Mittelstürmer Patrick Schick damit, dass er die Flanke am Vormittag beim Linksverteidiger Angelino in Auftrag gegeben hatte, und so hatte es tatsächlich auch ausgesehen: wie bestellt und geliefert.

Dortmund, Leipzig, Gladbach, Leverkusen: Für einen Kandidaten bleibt nur die Europa League

Auch das 3:1 durch Timo Werner entsprang einem Schema. Torwart Péter Gulacsi schnappte sich die Freistoßflanke und startete den Gegenangriff: "In dem Moment, in dem ich den Ball hatte, habe ich aus dem Augenwinkel gesehen, dass Timo schon unterwegs ist und relativ viel Raum vor ihm ist." Beinahe ebenso viel Raum trennte ihn von seinem nächsten Verfolger. Es war ein Tor, das üblicherweise beim Kinder- und Juniorenfußball fällt, "das darf uns im ganzen Leben nicht passieren!", sagte FC-Verteidiger Rafael Czichos. Zugleich bezeugte es die Leichtigkeit, mit der sich die Leipziger immer wieder von ihrem gewiss nicht kapitulierenden Gegner abzusetzen wussten. "Schlussendlich haben wir einfach richtig Qualität in der Offensivreihe", sagte der RB-Profi Konrad Laimer, vergaß aber zu erwähnen, dass dies auch für Mittelfeld und Abwehr gilt.

Zuletzt haben Kritiker oft mal beklagt, dass es außer Bayern München kein echtes Spitzenteam in der Liga gäbe, nun gibt es zwar weiterhin keine ernsthafte Konkurrenz für die Bayern, aber eine Handvoll Teams, die dem Rest souverän enteilt sind. Den fünften und den sechsten Platz trennen 14 Punkte. "Alle fünf Teams sind sehr konsistent und haben es verdient, in die Champions League zu kommen", befand der Torwart Gulasci in Köln. Einer dieser fünf Klubs aber wird mit dem Trostpreis Europa League vorliebnehmen müssen, auf diesem Reise-nach-Jerusalem-Prinzip baut eines der verbliebenen Spannungselemente für die restliche Saison auf.

Julian Nagelsmann gab nach dem Auftritt in Köln zu erkennen, dass er an den künstlerischen Mitteln seiner Spieler weniger zweifelt als an ihrer gemeinschaftlichen Wirkung. Sein Team sei "zu lieb", findet er, zumal im sterilen Geisterspielbetrieb: Die Spieler müssten "lauter und frecher werden" in den stillen Stadien und "innerhalb der Gruppe mehr coachen. Andere Teams kriegen es hin, dann müssen wir es auch hinkriegen".

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