Leichtathletik:X-Man gegen das Rekordmonster

Der amerikanische Leichtathlet Xavier Carter sorgt mit der zweitbesten Zeit aller Zeiten über 200 m für Aufsehen.

Michael Gernandt

Der Sprint der Leichtathletik ist schon eine verrückte Nummer, die verrückteste womöglich, die spektakulärste allemal. In den vergangenen Wochen nervten die Herren Gatlin und Powell, beide gleichauf Weltrekordler im 100-m-Lauf, mit ihrem Gewese über die Frage, wie man sich am auffälligsten aus dem Wege gehen kann. Der Schaden für die Branche ist beträchtlich - und das Interesse an den Primadonnen der schnellen Fortbewegung plötzlich eingeschränkt.

Xavier Carter

Der X-Man: Xavier Carter

(Foto: Foto: dpa)

Denn Justin Gatlin und Asafa Powell rennen nicht mehr allein im Grenzbereich der Speeddisziplinen. Xavier Carter, 20, aus Baton Rouge (Louisiana) ist seit Dienstag die aufregendste Erscheinung in der Szene, seine Verbesserung beim Lausanner Grandprix um unglaubliche 39 Hundertstelsekunden auf 19,63 Sekunden über 200 Meter, auf die zweitbeste je auf dieser Strecke gelaufenen Zeit, das Mirakel schlechthin in der Leichtathletik dieser Tage. Alle Versuche, der Höchstleistung von Michael Johnson (19,32) aus dem Jahr 1996 zu Leibe zu rücken, waren seitdem bei 19,77 Sekunden (Artur Bolden, Trinidad & Tobago) hängen geblieben. Jetzt vermittelte ein 20-Jähriger zumindest eine Ahnung von der Vergänglichkeit selbst dieses Rekordmonsters.

Der Aufstieg des aus Florida stammenden Carter nach zwei Jahren Training an der Louisiana State Universität (LSU) vom Football spielenden Teilzeitleichtathleten zum Phänomen des Sprints gehört, wenn denn alles mit rechten Dingen vonstatten ging (was heutzutage immer wieder hinterfragt werden muss), in die Kategorie Tellerwäscher wird Millionär. Dergestalt könnte der Weg enden, den Carter jüngst eingeschlagen hat. Zur Verdeutlichung des Vorgangs muss an die Causa des Olympiasiegers über 400 m, Jeremy Wariner, erinnert werden. Als der 2004 gleichfalls 20-jährig ähnlich überfallartig in die Weltelite einbrach, rauften sich anschließend eine deutsche und eine amerikanische Sportartikelfirma um die Gunst des Wunderknaben. Die Deutschen obsiegten, worauf die US-Konkurrenz ihre Marketingstrategen beauftragten, einen Landsmann zu finden, den man gegen Wariner in Stellung bringen kann.

So wie die Dinge sich nun darstellen heißt der Gegenentwurf Xavier Carter, Spitzname X-Man. Nur zehn Tage nach seinem nur von der Legende Jesse Owens (1935/36) erreichten und daher als historische Großtat gewürdigten Vierfachsieg (100 m, 400 m, 4x100 m, 4x400 m) bei den Studentenmeisterschaften in Sacramento im Juni dieses Jahres kündigte der Student sein noch zwei Jahre gültiges LSU-Stipendium und verkündete seinen sofortigen Übertritt ins Lager der Leichtathletikprofis.

Sein Plan, nach dem Stress von Sacramento (neun Rennen in fünf Tagen, nur 32 Minuten zwischen 100-m- und 400-m-Finale in 10,09 und 44,53) erst mal die Beine hoch zu legen und sich danach auf die Footballsaison der Tigers, des Teams der LSU, vorzubereiten, war schnell Makulatur. Dazu muss man wissen, dass der 1,90 m große Carter als einer der begabtesten Wide Receiver im College-Football der Southeastern Conference gilt. Reporter wähnten ihn bereits in den Spuren von 100-m-Olympiasieger Bob Hayes (1964) und Staffelweltrekordler Willie Gault (1983), die einzigen Leichtathleten der Weltklasse, die den Siegerring der Super Bowl tragen.

Die abrupte Richtungsänderung der Karriere Carters hat auch zu tun mit der TV-Station CBS. Die übertrug das Championat des Studentenverbands NCAA erstmals landesweit live. Danach stand das Telefon bei den Eltern des "Four-X-Man" (San Francisco Chronicle) in Palm Bay (Florida) nicht mehr still: Die Carter Family sah sich von Angeboten der Agenturen und Manager zugeschüttet, überdachte die Optionen und wählte nach einer Woche Bedenkzeit den Weg nach Olympia 2008 und (vorerst) nicht den, der in die National Football League führen kann. "Es war eine harte Entscheidung", berichtete Vater Ken den Medien, "weil er beides liebt, Laufen und Football. Wir wussten jedoch, dass der Tag kommt, an dem er sich entscheiden muss."

Über das Geld reden, das Xavier verdienen kann, wollte Ken Carter noch nicht. Man habe jedoch die Hausaufgaben gemacht und lasse die Dinge von dem Agenten Mark Block aus Miami regeln. Ob die Carters wissen, dass Mister Block, Ehemann der früheren ukrainischen 100-m-Weltmeisterin Shanna Pintusewitsch, beste Beziehungen zum Dopingring der kalifornischen Firma Balco nachgesagt wurden?

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