Leichtathletik:Wutwölkchen bei der Revanche

Athletics - Men's Javelin Throw - Final

Hat noch immer an seiner Schlappe aus Tokio zu knabbern: Speerwerfer Johannes Vetter.

(Foto: Aleksandra Szmigiel/Reuters)

Speerwerfer Johannes Vetter tröstet sich nach seinem schmerzhaften Olympia-Auftritt mit 86,17 Metern und einem Sieg beim Heim-Meeting. Die Umstände seiner Niederlage in Tokio treiben den 28-Jährigen aber weiter um.

Von Johannes Knuth, Offenburg/München

Die Geschlagenen stellten sich jetzt noch einmal brav zum Spalier auf, Weltmeister Anderson Peters aus Grenada, der Lette Patriks Gailums, der Potsdamer Bernhard Seifert - sie alle beklatschten den Mann im dunkelblauen Dress am Ende der Anlaufbahn, der noch einmal etwas Besonderes im Sinn führte. Johannes Vetter von der LG Offenburg hatte das Speerwurfmeeting seines Vereins bereits auf seine Seite gezogen, ein letzter Versuch stand ihm nun noch zu. Und den wollte er schon noch ein wenig weiter segeln lassen als jene 86,12 Meter, die er bis dahin in die Wertung überführt hatte. Zumindest weiter als 87,58 Meter sollte es bestimmt gehen, jene Weite, mit der der Inder Neeraj Choprah zuletzt in Tokio Olympiasieger geworden war. Vielleicht waren ja sogar doch noch die 90 Meter drin, die Vetter allein in diesem Jahr sieben Mal übertroffen hat. Alle sollten ja wissen, "wer das Maß aller Dinge ist im Speerwerfen", hatte Vetter vor dem Wettkampf am Sonntag versprochen, seinem ersten seit dem schmerzbeladenen Auftritt von Tokio.

Das Unterfangen reifte dann nicht ganz zur Blüte, Vetters Speer landete bei 86,17 Metern. Das kittete zwar ein paar Schrammen, entschädigte aber bestimmt nicht dafür: dass der 28-Jährige, als großer Favorit nach Tokio angereist mit der Empfehlung von 96,29 Metern und 19 Siegen in Serie, just bei den Spielen mit 82,52 Metern und Platz neun aus dem Wettkampf geschlichen war, voller Wut über den seiner Meinung nach mangelhaften Belag. Vetter wollte nun nach seinem Sieg in Offenburg - auf seinem Lieblingsbelag übrigens - nicht von Genugtuung sprechen: "Ich muss mir und niemandem mehr etwas beweisen", beteuerte er, auch wenn das wohl ein wenig geflunkert war. Die paar Wutwölkchen, die auch am Sonntag noch über ihm kreisten, bestritt er nicht - diese Wut wolle er aber lieber nicht beim Speerwerfen einbringen, das ihn in dieser Saison noch zu fünf Wettkämpfen führen wird. "Die Wut", sagte Vetter, "hebe ich mir für andere Sachen auf." Und das könnte durchaus noch interessant werden.

Auch der Pole Marcin Krukowski hatte den Weltverband zuletzt scharf kritisiert

Vetters Entourage und der Deutsche Leichtathletik-Verband waren in Tokio laut eigener Aussage davon überrascht worden, dass die Ausrüsterfirma des Weltverbands im Nationalstadion einen neuartigen Gummibelag hatte ausrollen lassen, mit Luftkammern, die viele Athleten für die Schwemme an Bestzeiten und Rekorden verantwortlich machten. "Man spürt einen Federeffekt", sagte die Amerikanerin Sydney McLaughlin, die in Tokio in irrsinnigen 51,46 Sekunden zu einem Weltrekord über 400 Meter Hürden gerast war. Nur: Läufer und Springer mögen Federbeläge schätzen, nicht so sehr Speerwerfer wie Vetter, die ihr Stemmbein mit so viel Wucht auf den Belag donnern, so dass kurzfristig bis zu einer Tonne auf ihrem Bein lastet. Auf diese brachiale Weise hatte sich Vetter im Vorjahr zum zweitbesten Werfer der Historie aufgeschwungen, mit 97,76 Metern. Und jetzt? "Betrogen und beschissen" fühle er sich, hatte Boris Obergföll in Tokio gepoltert, der Bundestrainer und Vetters Heim-Coach.

Vetter hatte dort schon die Qualifikation nur mit Mühe überstanden, andere Favoriten waren sogar gescheitert: Keshorn Walcott, der Olympiasieger von London etwa, auch der Pole Marcin Krukowski, hinter Vetter in diesem Jahr die Nummer zwei der Welt. Krukowski kam Vetter zuletzt verbal zur Hilfe: Die Organisatoren hätten den Wettkampf in Tokio "komplett ruiniert". Er zitierte "ernsthafte Schäden" bei einigen Werfern, hervorgerufen von der weichen Bahn. Als Beweis lud er in den sozialen Medien ein Foto hoch, auf dem eine Anlaufbahn in Fetzen zu sehen war, wie auf einer kleinen, roten Kraterlandschaft. Wie könne man, fragte Krukowski rhetorisch, beim Jahreshöhepunkt ein derartiges Experiment wagen, ohne dem Ganzen einen adäquaten Testlauf vorzuspannen? Vetter hatte zuletzt assistiert, dass er sich "tierisch" ärgere, andererseits hatte er sich einem schwachen Trost zugeneigt: dass nicht er, sondern fremde Kräfte für sein Scheitern verantwortlich seien.

Als Konsequenz kündigte Vetters Team in Offenburg zwei Dinge an: "Wir werden künftig die Starts von Johannes nach den Belägen in den Stadien auswählen", sagte Bundestrainer Obergföll. Das "sportliche Desaster" von Tokio sei ja auch "ein finanzieller Schlag in die Magengrube." Ein Olympiasieger ist natürlich gefragter, bei Medien, Sponsoren und Meeting-Direktoren. Vetter, der Weltmeister von 2017, hatte in den vergangenen Jahren immer wieder über mangelhafte Anlaufpisten geklagt, und damit das nicht mehr passiere, solle der Belag künftig "standardisiert" werden, wie er jetzt dem Sport-Informationsdienst sagte: "Es reichen die letzten vier, bis acht Meter" beim Anlauf, der Aufwand sei "total gering. Das könnte ich am Tag vor dem Wettkampf fast selber machen", so Vetter. Sein Gesuch wolle er bald beim Weltverband vortragen. Sollte er dort abblitzen, werde er dem Dachverband vielleicht künftig seine Arztrechnungen zukommen lassen. "Da", versprach er, "kommt einiges zusammen."

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