Leichtathletik-WM:Wohlfühlen im Vogelnest

Molitor of Germany competes in the women's javelin throw final during the 15th IAAF World Championships at the National Stadium in Beijing

Ein Riesenwurf zum Titel: Kathrina Molitor gewann Gold im Speerwurf.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Speerwerferin Katharina Molitor krönt mit ihrem Titelgewinn das WM-Resümee der deutschen Leichtathleten in Peking.
  • Hoffnung auf eine positive Zukunft ist angebracht.

Von Johannes Knuth, Peking

Die Zuschauer im Vogelnest raunten jetzt, es war kein anerkennendes Raunen, eher eins mit besorgtem Unterton. Diese deutsche Speerwerferin, die gerade ihren letzten Wurf in den grauen Pekinger Abendhimmel geschickt hatte, die würde doch nicht etwa . . .

Katharina Molitor tat es dann doch. Ihr Speer kam bei 67,69 Meter runter, so weit hatte in diesem Wettbewerb niemand geworfen, auch nicht die Chinesin Huihui Lyu (66,13), die Molitor gerade vom Goldplatz geschoben hatte. Kurz darauf machte sich Molitor dann auf die Ehrenrunde, die 31-Jährige war seit wenigen Minuten tatsächlich amtlich geprüfte Weltmeisterin. Ihr war der letzte Versuch des Wettbewerbs vorbehalten gewesen. Das letzte WM-Wochenende in Peking meinte es noch einmal gut mit den Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Da war Rico Freimuth, Sohn des ehemaligen Zehnkämpfers Uwe Freimuth, der seit 2011 keine große Leistungsmesse verpasst hatte, dabei aber ständig von seinem Temperament niedergerungen worden war.

Am Samstag gewann er mit 8561 Punkten Bronze. "Ich habe so oft auf mich gehört und es dann verkackt", sagte er; seit rund einem Jahr höre er deshalb vor allem auf seinen Trainer. Manchmal ist es ja auch ein Zeichen von Reife, wenn man weiß, dass man gar nicht allzu viel weiß. Und dann war da Katharina Molitor aus Leverkusen, 31, die sich am Sonntag für ihre erste internationale Medaille bei den Erwachsenen die goldene aussuchte. "Es war in der Saison oft schon so, dass ich im letzten Versuch am weitesten geworfen habe", sagte sie: "Der Wurf scheint technisch schon ganz gut gewesen zu sein." Das hatte sie schon ganz richtig erfasst.

Molitors Geschichte war auch deshalb bemerkenswert, weil ihre Karriere einst mit einer Absage begann. Sie wollte nach dem Abitur nach Hamburg umsiedeln, eine Volleyball-Mannschaft hatte ein Angebot übermittelt, Molitor benötigte nur noch die Zusage für einen Studienplatz. Die bekam sie nicht. Sie blieb also in Leverkusen, studierte, wurde nebenbei Speerwerferin. Sie gewann Silber bei der U23-EM, 2010 wurde sie deutsche Meisterin, ansonsten waren meist andere besser.

Beste europäische Nation

Linda Stahl zum Beispiel, Molitors Trainingspartnerin, die 2010 EM-Gold gewann, und, klar, Christina Obergföll, die 2013 ihr Talent nach vielen Versuchen in einen WM-Titel überführte. Molitor kam, nachdem sie sich bis auf 64 Meter vorgetastet hatte, nicht mehr recht voran. Trainer Helge Zöllkau verlängerte ihren Anlauf, "sie hat das dann alles etwas zu überstürzt gemacht", erinnerte er sich am Sonntag. Also? "Rückwärtsgang", sagt Zöllkau, weniger Geschwindigkeit, mehr Wurfkraft.

Obergföll? Wurde nach ihrer Babypause diesmal Vierte (64,61), U23-Europameisterin Christine Hussong wurde Sechste (62,98), und Stahl musste feststellen, dass sich eine Stelle als Ärztin im Klinikum Leverkusen doch nicht so einfach mit Hochleistungssport vereinbaren lässt. Sie blieb im Vorkampf stecken (59,98), wie Olympiasiegerin Barbora Spotakova (60,08). Molitor hat nebenbei auch so ihre Projekte, sie spielt noch immer Volleyball, für Leverkusen in der zweiten Bundesliga, das wird sie auch in der kommenden Hallensaison tun. Dann als Weltmeisterin im Mittelblock.

Molitors goldener Abschluss brachte den DLV am Sonntag an die siebte Stelle im Medaillenspiegel. In der Punktewertung, der Sammlung der Top-Acht-Platzierungen, ist der DLV sogar Vierter, als bester europäischer Verband. Viele Medaillengewinner wie Raphael Holzdeppe oder David Storl (beide 25) haben noch einige Jahre vor sich, andere wie Gesa Krause, 23, fast eine ganze Karriere. Hinter dem Podium warten Hochbegabte wie Hochspringerin Marie Laurence-Jungfleisch (am Samstag Sechste mit Bestleistung von 1,99 Meter), Diskuswerfer Christoph Harting (Achter mit 63,94) oder Zehnkämpfer Kai Kazmirek (Sechster mit 8448 Punkten). Der Verband lässt seine Talente in den Vereinen reifen, dann verfeinern sie ihre Technik, jeder auf seine Weise. Sven Lang gibt seinen Kugelstoßern Storl und Schwanitz Einzelunterricht, Siebenkampf-Bundestrainer Wolfgang Kühne hält in Halle lieber Gruppenseminare, seine Lehre besteht auch darin, dass die Schüler sich gegenseitig anlernen und motivieren. "Die wollen alle Leistung", sagt er. Sie haben es im DLV in manchen Abteilungen geschafft, den oft rivalisierenden Heimtrainern das Konkurrenzdenken auszutreiben, durch Workshops und Vorträge. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass es ausgerechnet dort noch immer nicht so recht vorangeht, wo jede Trainingszelle autonom vor sich hinarbeitet: im Laufsektor des umstrittenen Bundestrainers Wolfgang Heinig. So gut es um die Techniker und Mehrkämpfer steht, so brach liegen noch immer manche andere Disziplinen. Andere Probleme sind ungelöst, die duale Karriere zum Beispiel, viele Leichtathleten brechen ihr Studium ab oder pausieren, weil die Olympiavorbereitung nicht kompatibel ist mit starren, überfrachteten Studienplänen. Gleichzeitig wird in der Politik das betrieben, was der ehemalige DLV-Präsident Eike Emrich vor kurzem in der Rheinpfalz als "Medaillenfetischismus" bezeichnete. "Die Gesellschaft strebt nach Medaillen, aber das ist unfair dem Sportler gegenüber, der so viel Fleiß reinsteckt", sagt Freimuth. Umso beachtlicher ist es, mit welcher Lust auf Leistung und Professionalität sich die derzeitige Generation ans Werk macht. Und dass sich aus den Erfolgen von heute auch ein paar gute Prognosen für morgen ableiten lassen.

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