Leichtathletik-WM:Mit der Kraft der Sterne

Leichtathletik-WM: Alles gegeben: Gesa Felicitas Krause nach ihrem Vorlauf, der sie in Eugene ins Hindernisfinale gebracht hat - um acht Hundertstelsekunden.

Alles gegeben: Gesa Felicitas Krause nach ihrem Vorlauf, der sie in Eugene ins Hindernisfinale gebracht hat - um acht Hundertstelsekunden.

(Foto: Patrick Smith/AFP)

Für viele deutsche Athleten sind die Vorkämpfe bei der WM schon wie ein Finale - auch für verdiente Spitzenkräfte wie Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause, die schwere Zeiten hinter sich hat.

Von Johannes Knuth, Eugene

Das Rennen nach dem Rennen dauerte länger, und es war auch um einiges schlimmer.

Gerade hatte Gesa Felicitas Krause auf ihr Glück noch einwirken können, nach 9:21,02 Minuten hatte sie ihren Vorlauf über 3000 Meter Hindernis beendet, mit letzter Kraft. Eine respektable Zeit, so holprig wie sie zuletzt durch die Vorbereitung gezogen war; für die direkte Versetzung ins Finale hatte das aber nicht gereicht, keine Chance.

So musste sich Krause nun jener Prozedur unterwerfen, die Leichtathleten in etwa so schätzen wie einen Zwölf-Stunden-Flug in der Holzklasse: Sie musste hoffen, dass im letzten Vorlauf genügend Läuferinnen langsamer sein würden als sie, um per Nachrückverfahren ins Finale vorzustoßen. Krause verfolgte das Rennen im Untergeschoss des Hayward Field, zwischen Sponsorentafeln und Beton, die Augen aufgerissen. Irgendwann lehnte sie sich an ein Geländer, den Kopf in den Händen vergraben.

Es dauerte kurz, bis klar war, dass ihre Tränen der Freude galten. Die Äthiopierin Sembo Almayew, die sie noch hätte verdrängen können, war acht Hundertstelsekunden zu langsam. Nicht mal ein Zucken lag zwischen Finale - Krauses sechstem bei ihrer sechsten WM übrigens - und der frühen Abreise. Sie habe die Hoffnung schon aufgegeben, sagte sie später, nun sei sie "unfassbar dankbar, dass die Sterne auf meiner Seite standen". Den Endlauf am Mittwoch erreicht zu haben, sei diesmal "ein Riesengewinn".

Das traf das deutsche Leitmotiv der ersten Tage bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften ganz gut, und es wird den Verband wohl über weite Strecken der Titelkämpfe begleiten. Die Vorkämpfe sind für die meisten schon ein Finale, es braucht Stärke - und günstige Sterne -, höhere Weihen sind einem exklusiven Kreis vorbehalten.

Ein paar erste Belegexemplare: Die 400-Meter-Mixed-Staffel blieb ratlos im Vorlauf hängen (3:16,89 Minuten), die Kugelstoßer und die zuletzt so starke Dreispringerin Neele Eckhardt-Noack (13,93 Meter) ebenfalls, Geher Christopher Linke, sonst beständig im Schatten des Podiums unterwegs, stieg über 20 Kilometer aus - er wolle Kräfte sparen für die 35 Kilometer in der zweiten Woche. Andere verdiente Spitzenkräfte hatten zuletzt kurzfristig abgesagt (Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong) oder ihr Programm zusammengekürzt, wie Konstanze Klosterhalfen (nur 5000 statt auch 10 000 Meter).

Stabhochspringerin Jacqueline Otchere zeigt, was Athleten aus unverhofften Chancen formen können

Positive Ausreißer waren zunächst rar: 1500-Meter-Läuferin Katharina Trost rückte mit Bestleistung (4:03,53 Minuten) ins Halbfinale vor, war dort aber ebenso chancenlos wie Hanna Klein. Auch Stabhochspringerin Jaqueline Otchere verdiente sich ein Fleißkärtchen, sie war trotz bescheidener Saisonbestleistung (4,40 Meter) nachträglich ins WM-Feld gerückt, weil andere gepasst hatten. Früher gliederte der Deutsche Leichtathletik-Verband derartige Kandidaten eher ungern in sein Aufgebot ein, es galt die erweiterte Finalchance als Zulassungsbedingung. Diesmal zeigte Otchere in der Qualifikation, was Athleten aus unverhofften Chancen formen können: Die 26-Jährige brachte in Eugene Schwung in eine Saison und auch eine Karriere, die zuletzt etwas ins Stocken geraten war, mit 4,50 Metern samt Finaleinzug (in der Nacht zum Montag).

Für Krause sind solche Vorkämpfe für gewöhnlich ein bürokratischer Akt, als zweimalige Europameisterin, Inhaberin von zwei WM-Bronzemedaillen. In diesem Jahr erinnert ihre Geschichte aber eher daran, wie fragil die deutsche Präsenz in der Weltspitze ist. Der vergangene Olympiasommer war eine Zäsur, nach Jahren, in denen Krause kaum Luft hatte zwischen Erfolgen und hartem Höhentraining. Sie zog mit Achillessehnenschmerzen aus dem Jahr, war oft erkältet, ließ sich im Dezember am Darm operieren.

Im Januar, als sie wieder in der Höhe trainierte, "war ich einfach schlecht, ich hab' ganz unten angefangen, und dann hat man natürlich diese Höhen und Tiefen", sagte sie nun. Sie stieg erst nach den deutschen Meisterschaften in Berlin in die Saison ein, wo Lea Meyer gewann, die in Eugene unfreiwillig ins Rampenlicht rückte: Am ersten Wassergraben blieb sie hängen, stürzte kopfüber ins Wasser - und rettete noch immer 9:30,81 Minuten ins Ziel.

Leichtathletik-WM: Unfreiwillige Bewerbung für die Schwimm-WM: Lea Meyer stürzt am Hindernis - und verpasst ihre Bestzeit trotzdem nur um rund fünf Sekunden.

Unfreiwillige Bewerbung für die Schwimm-WM: Lea Meyer stürzt am Hindernis - und verpasst ihre Bestzeit trotzdem nur um rund fünf Sekunden.

(Foto: Ben Stansall/AFP)

Kaum etwas ist so flüchtig wie sportliche Exzellenz, fast jeder Sommer der Stärke kommt mit einer Vorahnung des Niedergangs daher. Aber Krause moderierte ihr momentanes Tief so tapfer wie immer. Wenn man so sehr von Erfolgen umschmeichelt war wie sie, sinnierte sie nach ihrem Vorlauf, könne einem ja schon der Gedanke in den Kopf kriechen, ob man überhaupt ein Finale auf sich nehmen solle. "Aber wenn ich mich jetzt aufgeben würde, weil ich nicht auf dem Podium stehen werde - was ist dann noch die Motivation für junge Menschen, diesen Sport zu betreiben?", sagte sie. "Es gehört einfach dazu, dass man Höhen und Tiefen hat."

Praktischer Nebeneffekt: Das WM-Finale ist nun vor allem ein Fitmacher für die EM in München in knapp einem Monat, viele Rennen stehen bis dahin ja nicht mehr an. Und Wettkampfhärte erwerben auch Leichtathleten für gewöhnlich: im Wettkampf. München wird wohl Krauses letztes Großereignis in der Heimat werden; nach den Sommerspielen 2024 in Paris werde sich dann zeigen, "ob ich noch Hindernislauf mache", sagte die 29-Jährige. "Man gehört schon zum älteren Pflaster." Auch das ein Fingerzeig für die deutsche Leichtathletik.

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