Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik-WM:Krause braucht keine Medaille, um ein Champion zu sein

  • Durch einen ärgerlichen Sturz läuft Gesa Felicitas Krause im Rennen um eine Medaille über 3000 Meter Hürden hinterher.
  • Am Ende wird sie Neunte - und zeigt sich als große Sportlerin.
  • Die Leichtathletik-WM in London im Liveticker.

Von Saskia Aleythe, London

Als sie gerade innerlich mit sich kämpfen musste, dachte Gesa Felicitas Krause an Kenia. An Südafrika und an die Schweiz, an all die Wochen, die sie pro Jahr in Höhentrainingslagern verbringt, um eine Spitzenläuferin zu sein. Wenn ihre Familie weit weg ist, wenn sie ein Leben führt ohne Freunde zu treffen oder ins Café zu gehen.

"Wenn man immer aus dem Koffer lebt, nimmt einem das die Kraft", sagte sie mal. Am Freitagabend im WM-Finale über 3000 Meter lag sie nach gut 700 Metern am Boden. Die Konkurrenz enteilte ihr, sie dachte kurz ans Aufgeben, aber dann kam ihr ein anderer, entscheidender Gedanke: "Ich trainiere nicht das ganze Jahr, um hier das Rennen nach so kurzer Zeit zu beenden."

Eine Arbeiterin, nicht nur auf der Laufstrecke

Schon seit Jugendjahren ist die 25-Jährige die beste Europäerin in ihrer Disziplin, bei diesem WM-Finale in London war sie sogar die einzige. Sie hatte den Wassergraben schon passiert und auch fast zwei komplette Runden, als vor ihr Beatrice Chepkoech aus Kenia an einem Hindernis zu Fall kam. Krause konnte nicht ausweichen und stürzte, bekam einen Schlag auf den Kopf, einen Tritt an den Knöchel, es war ein einziges Gerempel. "Es war schwer, dann wieder von Anfang an Vollgas zu geben", sagte sie anschließend mühsam mit den Tränen kämpfend, sie sei "dizzy" gewesen, benommen.

Krause hätte hadern können mit dem Stolpern ihrer Konkurrentin, die schon zuvor am Wassergraben vorbeigelaufen war und umdrehen musste, aber sie sagte: "Sie ist selbst hängengeblieben und war am Ende nur Vierte, als Weltjahresbeste. Sie ist damit sicher auch nicht so zufrieden." Es braucht nicht immer Medaillen, um ein großer Sportler zu sein.

2015 hatte Krause in Peking WM-Bronze geholt, die erste Laufmedaille für Deutschland in einem Einzel seit 2001. Bei der EM 2016 gewann sie Gold, Olympia in Rio absolvierte sie als Sechste mit neuem deutschen Rekord. In den vergangenen Jahren ist Krause immer mehr zu dem geworden, was heute einen Profisportler ausmacht. Sie plant nicht nur ihr Training, sondern auch die Vermarktung, sie weiß, dass Sponsoren nicht selber auf einen zukommen.

Das Studium der Wirtschaftspsychologie gab sie auf, es war am Ende unvereinbar mit ihren sportlichen Zielen. Ende des vergangenen Jahres wechselte sie auch den Verein, statt LG Eintracht Frankfurt heißt der nun Silvesterlauf Trier, "dort bin ich das Aushängeschild des Vereins, kann Leitbild für Publikum und Laufszene sein", hatte sie in einem Interview der Frankfurter Rundschau gesagt. Krause ist eine Arbeiterin, nicht nur auf der Laufstrecke.

Krauses Aufholjagd zeigt ihre Stärke

Umso härter traf sie diese WM-Erfahrung nun. "Es ist ein schwerer Schlag, wenn man so viel opfert und so viele Wochen im Jahr von zu Hause weg verbringt und dann nicht zeigen kann, was in einem steckt", sagte Krause und schluchzte. Sie war ganz ans Ende des Feldes zurückgefallen nach dem Sturz, musste zuschauen, wie andere den Medaillen entgegeneilten, um die sie gerne mitgekämpft hätte. 50 Meter lagen schon fast zwischen ihr und der vorletzten Läuferin, Krause lief Runde um Runde hinterher, kam aber auch wieder näher.

Ein Zeichen ihrer Stärke, die Krause in den Beinen und im Kopf trägt. "Ich denke, ich kann stolz darauf sein, dass ich doch einige Mädels wieder eingeholt habe", sagte sie später, im Moment der Trauer fand sie schon wieder etwas Aufbauendes. Als Neunte von 14 gestarteten Läuferinnen kam sie schließlich ins Ziel, mit einer Zeit von 9:23,87 Minuten.

Wie so viele Langstrecken ist auch der Hindernislauf geprägt von afrikanischer Dominanz, doch dieses Mal feierten die US-Amerikanerinnen Emma Coburn und Courtney Frerichs Gold und Silber, Bronze ging an die Olympia-Zweite Hyvin Kiyeng Jepkemoi aus Kenia. 9:02,58 Minuten betrug die Siegerzeit, Krauses Bestzeit liegt bei 9:15,70 Minuten. 9:10 Minuten hatte ihr Trainer ihr vorab zugetraut, wenn alles optimal läuft, doch auch damit wäre die Medaille bei normalem Rennverlauf am Ende unerreichbar gewesen.

"Das ist Hindernislauf, und ich bin nicht die Erste, der das passiert ist", sagte Krause noch und hatte schon die nächsten Pläne im Kopf, das Meeting in Zürich in zwei Wochen, "da hab ich die Chance, es besser zu machen. Ich reise übermorgen wieder ab, um mich darauf vorzubereiten." Wer sein Leben dem Hindernislauf verschrieben hat, der weiß eines ja vielleicht auch ganz gut: wie er mit Schwierigkeiten umzugehen hat.

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