Leichtathletik-WM:Karbonfedern gegen Füße

Südafrikas Verband nominiert Oscar Pistorius für die Leichtathletik-WM in Daegu. Er ist der erste Mensch mit Beinprothesen, der bei einer WM gegen Menschen ohne Behinderung antritt. Seine Leistungen sind bemerkenswert, aber Experten streiten, ob beide Laufarten miteinander vergleichbar sind.

Thomas Hahn

Wenn Mbulaeni Mulaudzi die Nachrichten betrachtet, die der Nominierung des südafrikanischen Leichtathletik-Verbandes für die WM in knapp drei Wochen in Daegu/Südkorea folgen, kann er schon den Eindruck bekommen, dass ihm irgendetwas fehlt für die ganz große Aufmerksamkeit.

Leichtathletik-WM: Ohne Wadenbeinknochen geboren: Oscar Pistorius

Ohne Wadenbeinknochen geboren: Oscar Pistorius

(Foto: AFP)

Eine paralympische Karriere zum Beispiel, eine Diskussion um den Wert von Prothesen-Läufen, oder zumindest eine Biographie mit Geschlechterdebatte. Aber der 800-Meter-Läufer Mbulaeni Mulaudzi, 30, hat eben nichts als zwei schnelle Beine und einen stattlichen Trophäenschatz, zu dem auch die Goldmedaille von der WM 2009 in Berlin gehört.

Und so geht Mulaudzi etwas unter in Südfrikas 26-köpfigem Kader für Daegu. Die Schlagzeilen machen Caster Semenya und vor allem Oscar Pistorius, der erste amputierte Mensch, der bei einer Leichtathletik-WM gegen Menschen ohne Behinderung antritt.

Caster Semenya und Oscar Pistorius haben in den vergangenen Jahren die gesamte Leichtathletik auf Trab gehalten und den Weltverband IAAF an die Grenzen seiner Macht geführt. Semenya, 20, haben die Zweifel an ihrem Geschlecht weltberühmt gemacht, nachdem sie in Berlin mit kraftvollen Schritten 800-Meter-Weltmeisterin geworden war.

Fast ein Jahr war sie gesperrt, ehe die IAAF nach diversen Tests und Verhandlungen geklärt hatte, dass sie bei den Frauen starten darf. Pistorius, Paralympics-Sieger auf allen Sprintstrecken, der vor 24 Jahren ohne Wadenbeinknochen geboren wurde, deshalb als Kleinkind beide Beine amputiert bekam und diesen Nachteil auf der Kunststoffbahn mit zwei Hochleistungsprothesen aus Karbon ausgleicht, erregte internationale Anteilnahme, nachdem die IAAF ihm zunächst das Startrecht für offizielle Meisterschaften für Menschen ohne Behinderung abgesprochen hatte. Und nun sind er und Semenya in Daegu also dabei - als wandelnde Erinnerung an zwei Streitfälle, die nur scheinbar entschieden sind.

Caster Semenya wird dabei wenig Interesse an zu großer Öffentlichkeit haben. Die Debatten um ihr Geschlecht ragten weit in ihre Privatsphäre hinein, das braucht sie bestimmt nicht jährlich; außerdem läuft sie nicht mehr so schnell wie früher, warum auch immer.

Eine besondere Figur

Pistorius hingegen ist längst ein bestens ausgestatteter Sponsoren-Vertreter, der sehr professionell seinen Versuch vermarktet, 400-Meter-Läufer mit intakten Beinen das Fürchten zu lehren. Gegen Öffentlichkeit hat er gar nichts, im Gegenteil. Zur Nominierung versandte seine PR-Agentur flugs ein Statement in die ganze Welt, in dem Pistorius seine Berufung "einen sehr stolzen Moment in meinem Leben" nennt.

Und mit seiner Leistung will er ohnehin aufmerken lassen. Gerade in dieser Saison hat er einen beträchtlichen Sprung gemacht, von 46,02 Sekunden, seiner Bestzeit 2010, auf jene 45,07, mit denen er sich im Juli in Lignano für den Einzelstart in Daegu qualifizierte.

Pistorius ist eine besondere Figur des Weltsports, und wenn man seinen Fall kritisch diskutiert, muss man immer ein bisschen aufpassen, dass dabei seine Verdienste nicht zu kurz kommen.

Für viele Menschen mit Behinderung ist er eine echte Identifikationsfigur, er zeigt ihnen, was trotz Handicap möglich ist. Pistorius selbst hat seine paralympischen Wurzeln nie verraten, und die Leistung, zwei steife Karbonfedern so unter Kontrolle zu halten, dass man damit auf einer Runde so schnell wird wie er, ist unter jedem sportlichen Aspekt bemerkenswert.

Die Frage ist nur: Ist die Leistung, die Pistorius auf seinen Össur Flex-Foot Cheetahs bringt, mit der eines olympischen 400-Meter-Läufers vergleichbar? Das Gutachten, welches die IAAF 2007 bei dem Kölner Biomechanik-Professor Gert-Peter Brüggemann in Auftrag gab, kam zu dem Ergebnis: Nein, der Prothesenlauf sei eine andere Übung als der Lauf auf zwei menschlichen Füßen, der körperliche Energieaufwand zu unterschiedlich.

"Die Feder wird nicht müde", erläuterte Brüggemann damals. Pistorius fand das Urteil "unfair", klagte vor dem Sportgerichtshof Cas, brachte ein Gutachten von Wissenschaftlern aus Amerika, wonach die Laufarten durchaus vergleichbar seien, und bekam recht.

Pistorius neigt in der Debatte um sein Startrecht ein bisschen zur Vereinfachung. Ob zusammenpasst, was in Südkorea zusammenkommt, ist nicht sein Thema. Oder doch? Oscar Pistorius verstärkt in Daegu auch Südafrikas 4x400-Meter-Staffel, und die muss beim WM-Einsatz sehr wohl berücksichtigen, dass ein Prothesenläufer am Start viel langsamer ist im Vergleich zu einem Fußläufer, und am Schluss viel schneller.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: