Leichtathletik-WM:"War bei der Entwicklung dieser Blöcke eine Frau beteiligt?"

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Voll verkabelt: Die Startblöcke bei der Leichtathletik-WM. (Foto: Christian Petersen/Getty)
  • Kameras an den Startblöcken sollen bei der Leichtathletik-WM "besondere Bilder" an die Zuschauer liefern.
  • Sie filmen die Sportler von unten durch die Beine.
  • Gina Lückenkemper und Tatjana Pinto sind wenig begeistert.
  • Zu den Ergebnissen der Leichtathletik-WM geht es hier.
  • Den Zeitplan zur Leichtathletik-WM gibt es hier.

Von Saskia Aleythe, Doha

Sie hielten das tatsächlich für eine große Idee beim Leichtathletik-Weltverband: Sportler von unten durch die Beine hindurch ins Gesicht zu filmen. Anfang September verkündete man, dass rechtzeitig zur WM in Doha die neue Technik ("bahnbrechend!") zum Einsatz kommt: Kameras in den Startblöcken. So versprach man Bilder, "die das Publikum noch nie zuvor gesehen hat". Die Verantwortlichen hätten ein Jahr daran gearbeitet, dass die Übertragung der WM "fresh and dynamic" werde. Das Ergebnis ist, wenig überraschend, nicht viel besser als die Idee eben klingt.

Wie viele Sportler in die Sache mit einbezogen wurden, ist nicht überliefert, aber die Vermutung liegt nahe: eher nicht so viele. "Ich finde diese Kameras nicht ganz so geil", sagte Gina Lückenkemper, nachdem sie im Khalifa Stadion von Doha ihren Vorlauf über 100 Meter gerannt war, "ich weiß nicht, ob ihr unbedingt von unten von einer Kamera gefilmt werden wollt." Sie selber war von der Neuerung überrascht, hatte zudem Probleme mit der Länge der deswegen veränderten Startblocks. Mit 11,29 Sekunden lief sie gerade so als 20. ins Halbfinale am Sonntag, ebenso wie Tatjana Pinto in 11,19 Sekunden (10.).

Manchen hängen die Haare oder Ketten ins Gesicht

Die Bilder, die die Zuschauer am Ende zu sehen bekommen, sind ziemlich verzichtbar: Sie zeigen konzentrierte Gesichter, die eben auf den Startschuss warten. Manchen Sportlerinnen hängen die Haare oder Ketten ins Gesicht, manchmal ist noch ein Stück Bein zu sehen. "Du weißt, dass die Kamera da ist. Das ist das Unangenehme daran", sagte Lückenkemper. Beim Einstieg in den Startblock wird zwar noch nichts für den Zuschauer übertragen, trotzdem kann irgendwo ein Kameramann die Bilder sehen. Für die weiblichen Athletinnen eine unfreiwillig freizügige Aktion. "War bei der Entwicklung dieser Blöcke eine Frau beteiligt? Ich glaube nicht", sagte Lückenkemper, "in den knappen Sachen über die Kamera drüber zu steigen, um in den Block zu gehen, finde ich sehr unangenehm." Auch Kollegin Pinto findet es "sehr fragwürdig, die Kamera da zu platzieren".

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Mit der neuen Situation müssen sie sich nun erstmal abfinden, so ist das in der Sportwelt. Am Sonntagabend (20.20 Uhr MESZ) kämpfen Lückenkemper und Pinto ums Finale, das am gleichen Abend stattfindet. Es wird ein schwieriges Unterfangen, 22 Jahre ist es schon her, dass eine Deutsche ein WM-Finale erreicht hat, 1997 gelang das Melanie Paschke in Athen. Und Lückenkemper muss vor allem eines in den Griff bekommen: ihren Start, den sie am Samstag selber als "grauenhaft" bezeichnete.

Durch die Kameras sind die Startblöcke länger, für Lückenkemper war das ungewohnt, durch eine späte Anreise in Doha hatte sie am Samstag zum ersten Mal Kontakt mit ihnen. Eine schlechtere Reaktionszeit als die Deutsche (0,235 Sekunden) hatte von allen 47 Starterinnen im Vorlauf nur Gorete Semedo vom afrikanischen Inselstaat São Tomé und Príncipe. Sie landete fast eine Sekunde langsamer als Lückenkemper auf Rang 44.

"Ich bin sehr zuversichtlich", sagt Pinto

"Das musst du auch erst mal schaffen, vorne die ersten 20 Meter so in den Sand zu setzen und hinten wieder reinzufinden. Das hätte ich vor zweieinhalb Wochen nicht hingekriegt", sagte Lückenkemper. Die Vize-Europameisterin vom Vorjahr hatte sich kurz vor der WM noch eine Auszeit genommen, war mental ausgelaugt nach einem anstrengenden Jahr. Der Druck hat zugenommen, seit sie mit Silber aus Berlin wiedergekehrt war. "Überall wird erwartet, dass du funktionierst. Wenn ich nicht unter elf Sekunden laufe, ist es sofort schlecht", hatte sie im SZ-Interview gesagt. Ihre Bestzeit liegt bei 10,95 Sekunden, gelaufen bei der WM 2017 in London.

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Während Lückenkemper in der Regel alleine trainiert und mit dem Startblock durchs Land reist, geht ihre wiedererstarkte Teamkollegin Tatjana Pinto einen anderen Weg: Nach einem Wechsel der Trainingsgruppe ist die 27-Jährige so schnell wie lange nicht mehr. "Wenn man ganz oben mitmischen möchte, ist das der richtige Weg, denke ich, im Training auch einfach gefordert zu werden", sagte Pinto nun in Doha.

Im August wurde sie vor Lückenkemper deutsche Meisterin, 2016 ist sie mit 11,00 Sekunden ihre Bestzeit gelaufen. Für den Einzug ins WM-Finale hoffte Pinto auf "ein bisschen Glück auf meiner Seite. Ich bin sehr zuversichtlich." Startblock hin oder her.

© SZ vom 29.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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