Leichtathletik-WM in Japan:Sie ist so anders

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Die Dopingsportart Leichtathletik bewirbt ihre WM mit nostalgischer Verklärung und Weltrekord-Erwartungen.

Thomas Hahn

Carolina Klüft hat keine Wahl. Sie muss gut finden, was passiert. Die Siebenkampf-Weltmeisterin aus Schweden sitzt in einem japanischen Restaurant auf einer hell ausgeleuchteten Bühne irgendwo in Osaka und blickt auf die überlebensgroßen Abbilder ihrer selbst. Ihr Sponsor hat die Zeichnungen bei einem Stockholmer Manga-Studio in Auftrag gegeben, das Künstlerpaar Kajfa und Yosh ist auch da, und die echte Carolina Klüft schaut jetzt einer ziemlich verkitschten Comic-Carolina-Klüft in die Augen, die vor einem dramatischen Himmel ihre Übungen macht. Carolina Klüft sieht auf den Bildern aus wie eine entrückte Gladiatorin, unantastbar, makellos, auf unnatürliche Weise schön, also wie das, was die echte Carolina Klüft eigentlich nicht sein will, wenn es stimmt, was sie seit Beginn ihrer Siegesserie vor fünf Jahren predigt.

Unmöglich darf nichts sein

Immerhin lächelt die Gladiatorin, und Yosh sagt: "Wir wollten Carolinas Natur als Wettkämpferin einfangen und ihre freundliche Seite zeigen.'" Damit kann Klüft leben. Es hilft ja nichts. Sie applaudiert der Oberflächlichkeit. Sie sagt: "Sie sind so cool! Ich bin so anders!"

So eine Leichtathletik-WM, wie sie am Samstag in Osaka beginnt, ist ein mächtiges PR-Spektakel, und das fällt besonders in den Tagen vor dem Start auf, an denen Vermarkter und nahe Sportfreunde auf Pressekonferenzen und Präsentationen ihre eigentlichen Interessen nach außen kehren: Eine idealisierte Welt wollen sie erschaffen mit Helden, Spektakel, sagenhaften Geschichten - und ohne Probleme.

"Alle reden über die Hitze", sagt zum Beispiel Lamine Diack, der Präsident des Weltverbandes IAAF. Er nicht, zumindest nicht so, wie es Athleten und Ärzte tun, die das positive Image der WM gefährden mit ihren Bedenken wegen der schweren schwülen Luft der Millionenstadt. Zuletzt ächzte Japans Hauptinsel Honshu unter Rekordtemperaturen von 40 Grad und mehr, aber das hat der Chef in seinem klimatisierten WM-Domizil kaum bemerkt. Er sagt: "Für die Sprinter ist die Hitze sogar ein Vorteil."

Werbung ist alles in diesen Tagen, und so schraubt die Szene die Erwartungen auf höchste Höhen, avisiert Weltrekorde, schicksalhafte Duelle, und blickt in nostalgischer Verklärung zurück auf die letzte WM in Japan. War das nicht großartig 1991 in Tokio? Als Mike Powell Carl Lewis' windbegünstigte 8,91 Meter mit bis heute unerreichten 8,95 Metern konterte? Als die schöne Deutsche Kathrin Krabbe beide Sprinttitel gewann?

Die Botschaft ist klar: Nur das Außerordentliche zählt. Dass Kathrin Krabbe heute als klarer Fall von deutschem Nachwende-Doping zu gelten hat - egal. Dass in den neunziger Jahre Doping fast zügellos möglich war - passt nicht hierher. Sogar Carolina Klüft wird nach dem Weltrekord gefragt. Obwohl die 7291 Punkte der Amerikanerin Jackie Joyner-Kersee von den dopingverseuchten Seoul-Spielen 1988 auch für sie unerreichbar erscheinen, wie Carolina Klüft selbst mit mildem Lächeln andeutet.

Als Athlet muss man schon einen sehr festen Charakter haben, um in diesem Klima nicht der Versuchung zum Sportbetrug zu erliegen. Und nicht alle lehnen den übernatürlichen Anspruch so deutlich ab wie Carolina Klüft. Was ist mit dem 100-Meter-Weltrekord von 9,77 Sekunden, gehalten von Asafa Powell aus Jamaika? ,,Es ist möglich, dass er geschlagen wird'', sagt der Amerikaner Tyson Gay, dessen Sprintduell mit Powell am Sonntag einen der größten Hingucker der Meisterschaften verspricht. Und ist es möglich, dreimal Gold zu gewinnen? Über 100 Meter, über 200 und in der Staffel? "Es ist möglich", sagt Gay.

Vorteil Schweden

Selbst die medizinische Kommission der IAAF scheint sich um die Außenwirkung zu sorgen, denn ihr Vorsitzender Juan Manuel Alonso aus Spanien sagt: "Wir wollen unsere medizinischen Aktivitäten ausweiten und weniger über Antidoping reden." Dabei gehört der Antidoping-Kampf bei einer ordentlichen WM zur Werbung dazu, wenn auch nicht so, wie der Antidoping-Experte Werner Franke aus Heidelberg ihn interpretiert. Der hatte sich über Diacks gewagte These erregt, dass die Mehrheit der Leichtathleten sauber sei, und mit der Prognose geantwortet, Osaka werde "die schmutzigste WM seit Anfang der Neunziger" erleben. Unerhört, schimpfte Diack: "Ständig kommt irgendein Wichtigtuer damit in der Presse an." Und Alonso findet Franke "absolut falsch informiert".

Werbewirksamer Antidopingkampf bedeutet für die IAAF strenges Vertrauen in ihr Testsystem mit einem Rekord von 1000 WM-Kontrollen und in den beim Kongress beschlossenen Antrag an die Weltantidoping-Agentur Wada, Dopingsünder künftig mit vier statt nur mit zwei Jahren zu bestrafen. Alonso berichtet auch von einer ausgeweiteten Blutdatenbank, wie sie der schwedische Antidoping-Experte Bengt Saltin schon vor Jahren beim Internationalen Skiverband erfolgreich eingeführt hat, und von ersten positiven Zielkontrollen. Saltin wiederum blickt mit Skepsis auf die Bluttest-Praxis der IAAF: "Sie haben Fortschritte gemacht, aber nichts Nennenswertes ist getan worden, um in den kommenden Meisterschaften die große Zahl von Langstreckenläufern zu reduzieren, die hohe Hämoglobin/Hämatokrit-Werte haben." Hohe Hämoglobin- und Hämatokrit-Werte können auf Blutdoping hindeuten.

Auch Carolina Klüft befasst sich öffentlich ungern mit solchen Themen. Sie hat den Vorteil, Schwedin zu sein. In Schweden soll das Antidopingsystem sehr streng sein, das schützt sie etwas vor dem Verdacht. Aber ein bisschen müde hat sie gewirkt unter den starren Blicken ihrer Manga-Pendants. Jemand fragte, ob diese WM ihre letzte sein könnte, und sie antwortete nicht so, als wäre das eine absurde Überlegung. Der Zirkus kostet Kraft. Vor allem, wenn man anfängt, über ihn nachzudenken.

© SZ vom 24.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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