Leichtathletik-WM in Berlin:Gold und Chromosomen

Ist Caster Semenya wirklich eine Frau? Oder doch ein Mann, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Die Frage hätte geklärt werden müssen, bevor sie bei der WM antrat.

Joachim Mölter

Man weiß wenig über die neue 800- Meter-Weltmeisterin Caster Semenya: dass sie 18 Jahre jung ist, aus Polokwane stammt, einer Stadt in der Provinz Limpopo, im Norden Südafrikas. Was man nicht weiß: Ist sie wirklich eine Frau? Oder doch ein Mann, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Die Frage hätte geklärt werden müssen, bevor sie bei der WM antrat. Diese Zeit hat sich Südafrikas Verband nicht genommen. Die Athletin hat sich erst vor drei Wochen mit einer sensationellen Steigerung auf 1:56,72 als WM-Kandidatin empfohlen.

Leichtathletik-WM: Caster Semenya

Caster Semenya nach ihrem Sieg über 800 Meter.

(Foto: Foto: ddp)

Semenya ist die zweite 18-Jährige in zwei Jahren, die auf der 800-Meter-Strecke für Furore sorgt. 2008 kam die Kenianerin Pamela Jelimo aus dem Nichts, gewann alle ihre Rennen, Olympiagold und am Ende den mit einer Million Dollar gefüllten Golden-League-Jackpot. Danach wurde sie bei Feiern herumgereicht und hatte etliche neue Freunde, die ihr helfen wollten, das viele Geld auszugeben. In diesem Jahr läuft Jelimo Form und Gegnerinnen hinterher. Im Berliner Halbfinale gab sie resigniert auf. Ein Beispiel dafür, wie Erfolg einen jungen Menschen auch zermürben kann.

Bei Caster Semenya scheint ihr nationaler Verband seine Fürsorgepflicht ebenfalls vernachlässigt zu haben. Für den Preis einer Goldmedaille hat er die Athletin auf der Weltbühne vorgeführt. Dort irritierte sie das Publikum mit ihrer Statur, die noch männlicher wirkt als bei der stets vom Dopingverdacht begleiteten Weltrekordlerin Jarmila Kratochvilova aus Tschechien.

Angesichts von Semanyas Alter wäre genug Zeit gewesen, die absehbaren Zweifel an ihrem Geschlecht über entsprechende Atteste zu beseitigen und die Athletin auch psychologisch auf das vorzubereiten, was an Fragen auf sie zukommen würde. Oder aber, sie angemessen zu betreuen, falls sich herausstellen sollte, dass sie ein Mann ist. Fälle von Zwitterwesen, an denen sich die Südafrikaner hätten orientieren können, gibt es: In Deutschland ließ die Stabhochspringerin Yvonne Buschbaum eine Geschlechtsumwandlung vornehmen; sie fühlte sich im falschen Körper.

Wie groß die psychische Belastung für solche Menschen ist, zeigt das Beispiel der indischen 800-Meter-Läuferin Santhi Soundarajan, die nach den Asienspielen 2006 ihre Silbermedaille abgeben musste, weil ein Geschlechtstest ergeben hatte, dass sie ein männliches Chromosom besitzt. Danach versuchte Soundarajan, sich das Leben zu nehmen. Und ein Menschenleben ist ein viel zu hoher Preis für eine Goldmedaille.

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