Leichtathletik-WM in Berlin:Gold mit Beigeschmack

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Der umstrittene Diskuswerfer Robert Harting lässt seinen Kraftsprüchen den Weltmeistertitel folgen - dank eines furiosen letzten Versuchs.

Thomas Hahn, Berlin

Über die blaue Bahn lief ein schwerer Junge, so flink und schnell und freudig, wie ihm das die wenigsten zugetraut hatten. Robert Harting, 24, vom SCC Berlin hatte im WM-Finale der Diskuswerfer soeben seinen letzten Versuch ins Feld gesetzt.

Robert Harting sichert dem deutschen Team das zweite Gold. (Foto: Foto: dpa)

Auf eine Weite von 69,34 Metern, was die Führung bedeutete vor dem letzten Wurf des gefährlichen Piotr Malachowski. Mit gesetzten Schritten näherte sich Malachowski dem Ring. Harting wartete und sah, wie der Wurf des Polen zu knapp hinter der 65-Meter-Marke liegen blieb.

Kurz darauf stand auf der Anzeigetafel, dass Malachowskis Wurf nur 67,33 Meter wert war, und der nächste Sturm der Begeisterung fegte durchs Berliner Olympiastadion: Robert Harting war in seiner Stadt Weltmeister geworden. "Ich habe mein Stadion verteidigt", sagte er.

Es war schon die fünfte Medaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bei dieser WM, die zweite goldene - aber die erste, die für den Sieg einer fragwürdigen Einstellung stand.

Es blieben wieder viele Plätze leer im Olympiastadion am fünften Tag der WM, vor allem in der Kurve hinter dem Diskusring. Ob das an Hartings bedrückendem Ausbruch gegen die staatlich anerkannten Dopingopfer des DDR-Sports lag? An seiner aggressiven Art, deren Brillenaktion im Sinne eines geschärften Antidopingbewusstseins zu verurteilen?

Dieser gruselige Satz, den er tags zuvor nach dem Vorkampf fallen gelassen hatte, hallte jedenfalls nach an diesem lauen Sommerabend. "Wenn der Diskus aufkommt, soll er gleich Richtung Brillen springen, damit die wirklich nichts mehr sehen."

Das war ein Affront gegen den Frieden im Sport gewesen und der schlimmste aller Kraftsprüche, die sich Harting in den vergangenen Wochen geleistet hatte.

Auch die weitesten Würfe rechtfertigen solche martialischen Worte nicht, aber genau das scheint Harting zu denken. Vor dem Finale sprach er davon, dass es ihn ansporne, wenn die Leute sich gegen ihn stellten. Ob er wirklich zu dem Entschuldigungsschreiben des DLV vom Dienstagnachmittag stand, in dem Harting sein Benehmen vom Vormittag mit der "Anspannung des Qualifikations-Wettkampfes" erklärte, wusste vorerst keiner. Und irgendwie konnte sich Harting im Olympiastadion sogar bestätigt fühlen, denn der Applaus für ihn war herzlich, und als sich gleich sein erster Wurf auf stattliche 68,25 Meter senkte, ging ein lauter Jubel durchs weite Rund.

So machtlos ist der Sport, wenn einer seiner Besten einen gefährlich falschen Ton anschlägt - zumindest unter dem Druck einer Heim-WM. Eine Suspendierung des Unbezähmbaren vor dem Finale wäre nämlich durchaus eine Option gewesen, wenn man die Nominierungsrichtlinien des DLV richtig las. Demnach kommt für einen Platz im Nationalteam nur infrage, wer "bislang nicht dem Geist des Fairplay (...) in grober Weise zuwidergehandelt hat insbesondere durch (...) Anwendung von Gewalt oder andere missbilligenswerte Verstöße (u.a. Rassismus), so dass die Eignung des Athleten, der Jugend Vorbild zu sein, in Frage gestellt ist".

Aber dem DLV fehlte der Mut zu einer unpopulären Entscheidung. Harting stand doch für eine Medaillenchance und startete zudem in seiner Heimatstadt. Immerhin, in den ersten Interviews nach dem Sieg erklärte zu seinem kruden Satz: "Es tut mir von Herzen leid. Ich weiß gar nicht, was da los war." Aber half das wirklich etwas? Der Satz war doch längst in der Welt und hatte seine Wirkung entfaltet. Es konnte der Eindruck entstehen, dass der sportwidrige Geist sich durchsetzt. Denn Harting war in bestechender Form: Sein zweiter Wurf landete bei 67,04 Metern, sein dritter bei 67,80. Das Publikum jubelte.

Kein sehr gutes Licht

Auch Hartings Trainer Werner Goldmann war zufrieden. Ein früherer DDR-Trainer, von dessen Athleten heute einige als Dopingopfer anerkannt sind, und der fast die gesamte Nachwendezeit lang seine Anstellung im Sport mit Leugnen und Schweigen bewahrte. Es fiel wirklich kein sehr gutes Licht auf den deutschen Sport an diesem Abend. Aber Robert Harting war gut drauf. Auch sein vierter Wurf übertraf die 65-Meter-Marke, was Hartings Ansprüchen allerdings nicht genügte. Er machte den Wurf ungültig und konterte im fünften Durchgang. 67,80. Applaus. Begeisterung auf den Tribünen. Nur Harting schüttelte den Kopf.

Malachowski baute seine Führung aus dem ersten Durchgang mit einem fünften Wurf auf polnischen Rekord von 69,15 Metern aus. Es war eine erstaunliche Leistung des Olympia-Zweiten, denn er erzielte seine Weiten mit einem gebrochenen Zeigefinger am Wurfarm. Der Weltmeister und Olympiasieger Gerd Kanter versuchte noch vergeblich, seinen dritten Platz zu verbessern. Dann warf Harting die 69,43 Meter.

© SZ vom 20.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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