Leichtathletik-WM in Berlin:Alles sutsche, wa?

Wie geht man mit der Doping-Problematik um? Wie stehen die Medaillenchancen des DLV? Wie kommt die Berliner S-Bahn mit dem Trubel klar? Die WM-Problemfelder im Überblick.

Thomas Hahn

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Doping

Doping ist eine tückische Plage. Man kann es von den Zuschauerrängen aus schlecht sehen. Und wenn man es doch sieht, weil eine Athletin zum Beispiel gar nicht mehr wie eine Athletin aussieht, sondern wie ein schwedischer Möbelpacker, oder weil frühere Durchschnittsläufer plötzlich meilenweit vorauslaufen, darf man nie vergessen, seine Anklage im Konjunktiv vorzubringen - es ist ja nichts bewiesen.

Mit den Doping-Beweisen wiederum ist das so eine Sache. Experten sprechen von 80 nicht nachweisbaren Varianten allein für das Blutdopingmittel Epo. Von möglichen Designersteroiden oder Medikamenten, die schon als Dopingmittel missbraucht werden, bevor sie überhaupt in die Apotheken kommen, weiß die Wissenschaft vielleicht noch gar nichts. Andere Starkmacher wären zwar nachweisbar, aber die Weltantidopingagentur Wada verweigert dem Test die Anerkennung wie im Fall des Ausdauerverstärkers S107, für welchen das Kölner Antidopinglabor vergeblich eine Kontrollmethode vorgelegt hat.

Für andere Dopingmittel gibt es zwar einen beglaubigten Test, aber noch nicht die Erkenntnis, dass er etwas bewirkt: Auf das Wachstumshormon HGH, eigentlich ein Muss in gut sortierten Doping-Hausapotheken, ist noch nie jemand positiv getestet worden. Ist der Klassiker nicht mehr in? Oder ist der Test zu schwach?

Es gibt immer mal leise Hinweise darauf, was in den Athletenunterkünften läuft: Bei der WM 2005 in Helsinki zeigte der schwedische Mittelstreckler Rizak Dirshe an, dass ihm ein Mann im Athletendorf Dopingmittel angeboten habe. Nach der EM in Göteborg wurden verdächtige Medikamentenschachteln in Mülleimern vor einem Athletenhotel gefunden. Tatsache ist, dass sehr viele Dopingskandale erst durch Polizeieinsätze oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ans Licht kamen, weshalb der deutsche Leichtathletik-Verband weiterhin beharrlich auf ein scharfes Antidopinggesetz für Deutschland drängt.

Weltverbände hingegen tendieren grundsätzlich dazu, sich als vorbildliche Saubermacher darzustellen. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF natürlich auch, obwohl er nicht einmal Schutzsperren bei erhöhten Blutwerten verhängt, wie das im Skilanglauf oder Radsport gängig ist. Gerade bei Olympia in Peking hat sich wieder gezeigt, dass die IAAF-Fahnder verwundbar sind. Da durfte nämlich der marokkanisch-stämmige Bahraini Rashid Ramzi souveräner 1500-Meter-Olympiasieger werden, nachdem er in der ganzen Saison zuvor kaum zu sehen gewesen war. Erst bei Nachtests flog Ramzi als Konsument des Mode-Blutdopingmittels Cera auf. Was das für die Berliner WM heißt? Die Sauberen sind von den Dopenden kaum zu unterscheiden. Es wird nicht zu vermeiden sein, dass auch Betrüger Applaus bekommen.

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Medaillen

Medaillen sind toll. Sofern man welche hat. Wenn man keine hat, sind sie plötzlich nicht mehr so toll. Keine Medaillen kein Erfolg, kein Erfolg keine Anerkennung, schlechtere öffentliche Förderung, weniger Fernsehinteresse, weniger Sponsoren, weniger Geld - so einfach ist das, gerade im Mediensportdeutschland, wo das Publikum auch deswegen Sport schaut, damit es das Gefühl des Sieges erspüren kann.

Die deutschen Leichtathleten hatten in den vergangenen Jahren ein Medaillen-Problem. Nicht immer, aber immer öfter. Bei den Olympischen Spielen in Peking zum Beispiel errangen sie mit ein Mal Bronze die schlechteste Medaillenbilanz seit 1896, also seit Bestehen der neuzeitlichen olympischen Spiele (und damit seit Menschengedenken, denn an den olympischen Spielen der Antike nahmen keine Sportler des DLV teil). So etwas kommt schlecht an im deutschen Sport, der gerne so viele Medaillen bei Olympia gewinnt, dass er vor der Rückreise aussieht wie ein schwer behängter Pfingstochse.

Grundsätzlich ist gegen Medaillen nichts zu sagen. Sie sehen gut aus, sie sind ein schöner Lohn für geleistete Arbeit. Aber sie werden auch ein bisschen überschätzt. Medaillen sind nicht der einzige Nachweis, dass jemand gute Arbeit geleistet hat. Medaillen sind manchmal sogar eher der Nachweis, dass jemand zweifelhafte Arbeit geleistet hat. Die amerikanische Leichtathletin Marion Jones (Foto) zum Beispiel hat bei Olympia in Sydney 2000 gleich drei Gold- und zwei Bronzemedaillen gewonnen. Nachher stellte sich heraus, dass sie das wohl nicht getan hätte, wenn sie nicht gedopt gewesen wäre.

Medaillen-Sucht ist eine Krankheit, gegen die sich Sportler verbotene Mittel einschmeißen, was ihnen dann zwar vielleicht ein paar Medaillen bringt, aber sie letztlich noch kränker macht. Die Medaillen mit ihrem eitlen Edelmetallschein sollte deswegen niemand zu ernst nehmen, sie lenken zu sehr ab, von dem, was eigentlich wichtig ist beim Sport.

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Kartenvorverkauf

Es liegt in der Natur des Kartenvorverkaufs, dass er während einer WM kein Thema ist. Während einer WM ist der Kartenvorverkauf nämlich vorbei. In den Monaten der WM war er allerdings ein Thema, ein kontroverses sogar, bei denen die Ansichten des WM-Organisationskomitees BOC und des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF aufeinanderprallten. Das BOC fand ihren Kartenvorverkauf immer irgendwie okay, sah sich im Plan, erklärte, man dürfe eine Leichtathletik-WM 2009 in Deutschland nicht mit der Fußball-WM 2006 in Deutschland vergleichen, bei der die Tickets bei manchen Spielen schon ausverkauft waren, bevor sie überhaupt auf dem Markt waren.

Die IAAF wiederum fand - wie viele andere Beobachter auch - die WM-Werbung des BOC schwach und fing an, sich selbst zu engagieren mit PR-Interviews und Posterkampagnen. Noch Ende Juli sagte IAAF-Sprecher Nick Davies: "Jawohl wir sind immer noch besorgt, was den Kartenverkauf angeht."

Inwiefern der Konflikt auch Teil der PR-Kampagne war, ist schwer zu sagen, jedenfalls hat das BOC Ende Juli zwei Wochen später als erhofft den zweiten WM-Samstag als ersten ausverkauften Tag vermelden können. Und wenig später triumphierend: 300.000 der 560.000 Karten seien abgesetzt. Da durfte sich das Publikum dann aussuchen, ob das Stadion halb voll oder halb leer war.

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Vergangenheit

Sportler lieben die Vergangenheit. Sie kramen alte Fotos hervor, erinnern sich an Geschichten von früher und schwärmen. "Weißt du noch, wie der soundso auf olympischer Aschenbahn den soundso im Zielsprint gepackt hat?" - "Ach ja, das war was." - "Selige Zeiten." Sportler hassen die Vergangenheit. Wenn sie nämlich Geschichten bringt, die dem Sport etwas von seiner Kraft nehmen. Dopinggeschichten zum Beispiel.

"Schnee von gestern", sagen die Sportler dann, "man muss nach vorne schauen." Und dann schauen sie mit solch stierem Blick nach vorne, dass sie gar nicht mehr erkennen, was man durch einen Blick nach hinten alles lernen kann. In der deutschen Leichtathletik gibt es dieses zwiespältge Verhältnis zur Vergangenheit auch. Viele finden es ziemlich romantisch, sich an die alten Zeiten zu erinnern, als die DDR Marktführer in der Leichtathletik-Medaillen-Produktion war und auch die Westleichtathletik das ein oder andere Idol aufwies.

Heute weiß man: In der DDR wurde nach staatlicher Anweisung gedopt, im Westen schluckten und spritzten viele Sportler privat, bestens versorgt von ihren gut verdienenden Ärzten. Der Widerspruch lebt auch bei der WM fort. Fünf Trainer des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) mit DDR-Hintergund haben zu Beginn des Jahres zugestanden, sie seien eingebunden gewesen ins Dopingsystem der DDR. Die meisten von ihnen hatten das nur immer verschwiegen, um ihren DLV-Posten im Nachwende-Deutschland nicht zu gefährden. Bei der WM in Berlin werden sie ihre Athleten betreuen, genauso wie der langjährige DDR-Doping-Leugner und -Mitwisser Werner Goldmann (Foto), der Ende 2008 deswegen sogar zwischenzeitlich seinen Job im DLV verlor.

Die Opfer der staatlich erzwungenen Muskelmast, krank gewordene frühere Kinder der DDR, die für sozialistische Medaillen schon als Minderjährige Dopingmittel von ihren Trainern bekommen hatten, waren empört. Für die WM haben sie sich jetzt Aktionen einfallen lassen. Damit das Publikum die dunklen Geschichten der Vergangenheit nicht vergisst. Man muss ihnen dafür dankbar sein.

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Weltrekorde

Die besten Weltrekorde sind die, die nicht mehr einzuholen sind. Zum Beispiel jene 10,49 Sekunden der früh verstorbenen Florence Griffith-Joyner, USA, von 1988 oder die 47,60 Sekunden über 400 Meter von Marita Koch, DDR, aufgestellt 1985. Diese Rekorde stehen wie Mahnmale an die anabole Phase der Leichtathletik, und die aktuelle Athletengeneration reckt sich vergeblich nach ihnen, was die Hoffnung leben lässt, dass sie etwas sauberer ist als die Damen und Herren damals.

Ansonsten allerdings werden Weltrekorde gar nicht gebraucht. Sie stehen für einen Maßstab, von dem ohnehin keiner weiß, ob er mit natürlichen oder unnatürlichen Mitteln zustande gekommen ist. Kann Jamaikas Usain Bolt, 100-Meter-Weltrekordler mit 9,69 Sekunden, 9,5 Sekunden laufen? Kann er.

Aber mit welcher Kraft? Keiner weiß es ganz genau, insofern wäre es auch nicht unbedingt nötig, dass Weltverband IAAF für Weltrekorde 100.000 Dollar zahlt. Eine Leichtathletik-WM ohne Weltrekorde ist eine normale Leichtathletik-WM. Und ganz bestimmt keine schlechtere.

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Zuschauer

Die Rolle des Zuschauers bei einer Leichtathletik-WM ist delikat. Durch seine bloße Anwesenheit leistet der Zuschauer einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen einer WM. Trotzdem soll der Zuschauer für seine Anwesenheit bezahlen - und zwar in manchen Sitzkategorien ganz schön gesalzene Preise. Wo gibt es das heutzutage noch in der freuen Wirtschaft? Dass sich einer in den Dienst der Sache stellt und dafür auch noch Geld gibt?

Der Zuschauer ist für die WM-Organisatoren jedenfalls ein echter Glücksfall, zumal der Zuschauer seine Tätigkeit auf den teuren Plätzen normalerweise nicht allein aufs stille Zuschauen beschränkt, sondern mit Applaus, lauten Anfeuerungsrufen, bei Bedarf auch Fahneschwenken die Atmosphäre im Stadion anfacht. Umso verständlicher wird, dass jeder Veranstalter gerne so viele Zuschauer wie möglich hätte.

Was die Berliner WM angeht, so bestanden zwischendurch leise Zweifel, ob sich genügend Menschen finden würden, um bei der WM als Zuschauer aufzutreten (siehe Kartenvorverkauf). Aber mittlerweile haben sich doch ein paar gefunden, so dass Aussicht auf einen Publikumserfolg besteht. Der übrigens heiß ersehnt wird, vor allem vom DLV, der in den vergangenen Jahren nämlich den Eindruck hatte, als schaue man seinen besten Sportlern ein bisschen zu wenig zu.

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Schweinegrippe

Dem gemeinen Leichtathletik-Betrachter liegt der Muskelfaserriss näher als die Schweinegrippe. Das liegt in der Natur der Sache. Athletenabsagen kurz vor Weltmeisterschaften haben sich in der Vergangenheit eben meistens wegen solchen Blessuren ergeben, wegen Faserrissen, Bänderrissen, Kapselrissen usw, selten aber wegen des Virus H1N1, den der Volksmund Schweinegrippe nennt.

Insofern fühlte man sich doch ein bisschen aus seiner Vor-WM-Seligkeit geworfen, als Jörg Hofmann, Leiter der Virusdiagnostik an der Berliner Charité (Foto), in der Deutschen Presseagentur daran erinnerte, dass mehrere hunderttausend WM-Besucher aus vielen der 202 Teilnehmer-Nationen sich möglicherweise auch auf die Berliner Schweinegrippen-Bilanz auswirken dürften. "Sicherlich wird der ein oder andere das Virus mitbringen, Menschenmassen begünstigen eine Verbreitung", sagte Hofmann.

Aber Berlin ist vorbereitet: hat größere Laborkapazitäten geschaffen, um Verdachtsfälle untersuchen zu können, zusätzliche Grippemittel-Depots angelegt und für Notfälle einen Stufenplan mit Gesundheitsverwaltung, Amtsärzten und den Medizinern des Leichtathletik-Verbandes abgestimmt. An der Schweinegrippe soll die WM nicht scheitern.

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S-Bahn

Berlin hätte bestimmt keine Leichtathletik-WM gebraucht, um festzustellen, dass es zu einem beträchtlichen Chaos führt, wenn das städtische S-Bahn-System ausfällt. Das städtische S-Bahn-System ist diesen Sommer nämlich zu großen Teilen ausgefallen, und der Berliner durfte ganz ohne WM erleben, was das bedeutet: Chaos eben. Der Grund dafür, dass ganze Streckenabschnitte unbefahren blieben und der übliche Zeitplan aus dem Takt geriet?

Sicherheitsbedenken des Eisenbahnbundesamtes nach einem Unfall wegen Radbruchs am 1. Mai in Berlin-Kaulsdorf. Die Wagen der Baureihe 481 mussten zur Überprüfung, und weil das eine ganze Menge sind, herrschte schnell Zugknappheit. Das war schlimm. Aber wie schlimm wäre es erst während der WM mit den vielen ausländischen Gästen?

Am Montag gab es nochmal ein Krisengespräch zwischen Senat und Bahn. Danach kündigte Berlins S-Bahn-Chef Peter Buchner für die WM zusätzliche Verbesserungen an. Mit Fünf-Minuten-Takt aus der Stadt zum Olympiastadion und längeren Dienstzeiten, solche Sachen. Möge es dabei bleiben. Das wäre nämlich nicht schön, wenn karibische oder kenianische WM-Touristen nach ihrer Heimkehr berichten müssten: Eine schöne WM hatten die Deutschen - nur hin kam man nicht.

Foto: dpa

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