Leichtathletik-WM:"Ich glaube fast, das ist Sabotage"

16th IAAF World Athletics Championships London 2017 - Day Two

Warum durfte Isaac Makwala über die 400 Meter nicht starten?

(Foto: Getty Images)
  • Warum durfte der 400-Meter-Läufer Isaac Makwala im Finale nicht starten?
  • Darüber, wie krank er bei der Leichtathletik-WM in London gewesen ist, gibt es unterschiedliche Versionen.

Von Saskia Aleythe, London

Die Leichtathletik pflegt eine besondere Liebe zu ihren Läufern, und wann immer ein Finale ansteht bei der WM in London, werden sie mit kleinen Feuerwerkfontänen begrüßt. Am Dienstagabend zum Beispiel, Finale über 400 Meter, Einlaufen der Sportler, Funkenflug der Pyrotechnik. "Wir begrüßen die Finalisten im Theater der Träume", sagte der Stadionsprecher. Nur einer durfte im Theater der Träume nicht antreten, obwohl er sich sportlich qualifiziert hatte: Isaac Makwala.

Makwala war im Halbfinale die viertbeste Zeit aller Athleten gelaufen, er steht in der Weltjahresbestenliste auf Rang drei. Ein klarer Medaillenkandidat also und auch ein starker Konkurrent für den Südafrikaner Wayde van Niekerk, der schon ausgeguckt ist, der neue Star der Leichtathletik zu werden nach Usain Bolts Abschied. Wenige Stunden vor dem Startschuss fuhr Makwala zum Olympiastadion, doch hinein kam er nicht.

Ordner am Eingang versperrten ihm den Weg. Zugang verboten hieß es da, denn, so sieht es der Leichtathletik-Weltverband IAAF: Makwala leide unter Magen-Darm-Grippe und müsse in Quarantäne, die Ansteckungsgefahr für andere Athleten sei zu hoch. Nur: Makwala fühlte sich gut, wollte rennen. Und: Einen Beweis aus dem Labor für seine Erkrankung gibt es nicht.

Makwala übergab sich - doch was passierte dann?

Es ist eine Geschichte, bei der die Versionen beider Parteien auseinandergehen. Makwala ist wie van Niekerk auch ein Spitzensprinter über 200 Meter, keiner lief in diesem Jahr schneller als er. Als er am Montagabend zu den Vorläufen ins Stadion kam, suchte er den medizinischen Bereich auf, es ging ihm nicht gut. Der Mann aus Botswana übergab sich. Darüber herrscht noch Einigkeit auf beiden Seiten, doch dann wird es kontrovers.

Dr. Pam Venning, die Leiterin des Medizinischen Abteilung der IAAF, setzte sich noch am Dienstagabend für die BBC auf die Interview-Couch und erzählte den Fortgang der Geschichte so: Makwala habe dem Arzt gesagt, er habe sich seit 22 Uhr am Vortag übergeben. Der notierte das in der Krankenakte, maß seinen Puls und überprüfte die Atemwege, die Krankengeschichte dieses "Gentleman" sei sehr ähnlich zu den bereits erkrankten anderen Athleten gewesen, also diagnostizierte er eine Magen-Darm-Grippe und sagte, Makwala könne bei den 200 Metern nicht antreten. Seit Freitag hatten sich vermehrt Athleten, die im 500-Betten-Hotel an der Tower Bridge wohnen, mit Magen-Darm-Grippe angesteckt (einige wurden auch auf den Erreger getestet). Die staatliche Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) gab eine Empfehlung heraus, wie damit umzugehen sei: In Quarantäne stecken, 48 Stunden.

"Wir haben positive Laborwerte von Leuten, die in dem selben Hotel sind wie er und die gleichen Symptome haben", sagte Venning nun. Der Leitfaden der PHE sehe vor, in diesem Fall die Athleten sofort in Quarantäne zu schicken. "Wir hatten den Hinweis, dass wir keinen weiteren Test brauchen dafür", sagte sie. Und überhaupt: Die Auswertung dauere mindestens 36 Stunden. Das Ergebnis wäre also erst nach seinen Rennen gekommen.

"Das ist nicht fair", sagte Makwala noch am Dienstagabend dem TV-Sender ITV News, "ich glaube fast, das ist Sabotage." Er fühle sich gut, sei bereit zu rennen, die Entscheidung der IAAF "zerreißt mir das Herz". Er bestreitet, den Satz gesagt zu haben, den der Arzt dann in seine Krankenakte schrieb. Dass er sich schon am Vortag übergeben habe, wird aus der botswanischen Delegation bestätigt. Aber zwischen zwei Mal in 16 Stunden Übergeben und seit 16 Stunden Übergeben liegt dann doch ein gewisser Unterschied. "Jeder Athlet kann sich übergeben", sagte der Sprinter, "ich wurde nicht getestet." Laut BBC hat das botswanische Ärzteteam angegeben, Makwala auf andere Symptome untersucht zu haben. Er hatte weder Fieber noch eine auffällige Herzfrequenz, was der Krankenakte des IAAF-Arztes widerspricht.

Auch vier deutsche Athleten hat es erwischt

30 Athleten und Teammitglieder aus verschiedenen Ländern haben laut PHE über Krankheitssymptome einer Magen-Darm-Grippe berichtet, bei zweien wurde der Norovirus als Erreger nachgewiesen. Die Viren gelten als besonders hartnäckig, sie überleben auch außerhalb des Körpers noch lange. Die Betroffenen in London sind vor allem Kanadier, Iren, Puerto Ricaner und eben Sportler aus Botswana, alle im Tower Bridge Hotel untergebracht, welches nach Konsultation mit der PHE und der IAAF verkündete, nicht die Quelle des Virus zu sein. Auch vier deutsche Athleten und fünf Betreuer hat es erwischt, vorsorglich wird eine neu anreisende Gruppe um Speerwerfer Thomas Röhler in einem anderen Hotel untergebracht. Die Erkrankten sollen sich in Quarantäne befinden, ob und wie streng das bei jedem Einzelnen eingehalten wird, ist schwer zu beurteilen. Der irische Hürdenläufer Thomas Barr wurde bereits am Sonntag nicht zum Start seiner Vorläufe zugelassen, berichtete aber auch von schweren Symptomen.

"Wir tragen Verantwortung für alle Athleten", sagte Dr. Venning von der IAAF noch, deshalb müsse man die Gesunden schützen. Obwohl Makwala schon am Montagnachmittag eine Magen-Darm-Grippe attestiert und ein Start über 200 Meter versagt wurde, konnte er am Dienstagabend per Athletenshuttle zum Stadion fahren. Mit anderen Sportlern. Laut IAAF war sein Betreuerstab schon Montag über die nötige Quarantäne informiert worden. Warum gab die IAAF dann erst am Dienstagabend, wenige Stunden vor seinem Finalstart seine verweigerte Starterlaubnis bekannt?

Die Bahn neben van Niekerk blieb frei

Bemerkenswert an dem Fall ist auch die Erklärungskette der IAAF. Die Gesundheitsbehörde gibt schließlich nur Empfehlungen heraus, sie hat keine juristische Handhabe. Der walisische Hürdensprinter Dai Greene, Weltmeister 2011 über 400 Meter, schrieb über Twitter, er sei 2010 bei den Commomwelth Games in Delhi mit vielen anderen sehr krank gewesen, doch am Starten gehindert wurde niemand. Was prompt auch zwei ehemalige Spitzenschwimmerinnen bestätigten. Die Entscheidungsgewalt im Fall Makwala lag bei der IAAF, die schon recht gute Beweise haben muss, um einen Sportler um das Ziel zu bringen, auf dass er Jahre lang hingearbeitet hat. "Wenn ich getestet worden wäre, könnte ich sagen: Ich bin krank", sagte Makwala.

Das Finale am Dienstag entschied dann natürlich Wayde van Niekerk für sich, mit weitem Vorsprung, die Bahn rechts neben ihm blieb frei. "Ich wünschte, er wäre mit mir gelaufen", sagte er und man kann ihm glauben, wenn er sagt: "Ich würde ihm am liebsten meine Medaille geben, um ehrlich zu sein." Weil krank sein ja hart ist bei so einer WM, so meinte er das, "so ist der Sport. Wir alle müssen uns immer wieder zurückkämpfen." Seine Meinung über die Vorfälle schien schon festzustehen. Es wird noch einiges aufzuklären sein.

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