WM in Doha:Usain Bolt - und jetzt?

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Gutes Gefühl für die Show: Usain Bolt. (Foto: AP)
  • Der Spaßsprinter Usain Bolt ist im Ruhestand, einer seiner potenziellen Nachfolger, der US-Amerikaner Christian Coleman, stand zuletzt unter Dopingverdacht.
  • Die erste WM ohne den Jamaikaner könnte zäh beginnen - aber im Neuanfang liegen Chancen für die Leichtathletik.
  • Hier geht's zum Zeitplan der Leichtathletik-WM.

Von Johannes Knuth, Doha

Von den vielen denkwürdigen Auftritten des Usain Bolt war jener vor den Olympischen Spielen 2016 in Rio vermutlich der eindrücklichste. Bolt hatte ins Cidade das Artes geladen, ins Kunstzentrum der Stadt, 200 Reporter und fast genauso viele Kameras drängten sich vor eine Bühne, auf der der Jamaikaner allerhand investigative Fragen entgegennahm. "Usain", fragte ein Reporter, "wenn wir Brasilianer sehen, wie du mit Druck umgehst, wollen wir dich noch ein wenig mehr heiraten. Hast du eine Botschaft an alle Kinder, die dich als Helden sehen?" Klar, immer an sich glauben, sagte Bolt, dann sei alles möglich. Später wackelte ein Dutzend Sambatänzerinnen mit gelb-grünem Federschmuck auf die Bühne und tanzte, natürlich mit Bolt in der Mitte.

Viel wurde damals geredet und wenig gesagt, zumindest Substanzielles. Doch das war wie immer bald vergessen, weil Bolt über 100 und 200 Meter Gold gewann und auch mit der Staffel. Das war meist seine Kernbotschaft auf der Bahn: dass man offenbar Heerscharen an Konkurrenten, viele vom Gift der Dopingsperre belastet, ganz leicht davonlaufen kann, man muss nur fest an sich glauben.

Und nun: Findet in Doha mal wieder eine interkontinentale Kraftmesse ohne den Spaßsprinter statt, zum ersten Mal seit 2003. Die größte Nachricht aus der jamaikanischen Delegation war diesmal, dass ihre Sprinthoffnung Briana Williams, 17, nicht in Doha startet, obwohl sie nach einem Positivtest auf ein Diuretikum bloß verwarnt worden war. Bei der Pressekonferenz der Amerikaner saß unter anderem der Kugelstoß-Olympiasieger Ryan Crouser, er trug zwar kein Samba-Dress, dafür einen Cowboyhut. Am meisten stach fast Sam Parsons heraus, der in Wilmington/USA aufwuchs, in Doha für Deutschland über 5000 Meter startet und erzählte, wie ihn seine deutsche Mutter im Trainingslager in St. Moritz zuletzt zwei Wochen bekocht hatte. "Jetzt habe ich eine gute Laune und gute Energie", rief Parsons mit herzhaftem US-Akzent in die Reporterrunde, "danke Mama!"

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Die Tage vor der Eröffnungsfeier in Doha wirkten da ungewohnt bodenständig. Die Athleten sagten, dass es ihnen gut gehe, einige äußerten sich kritisch über die WM-Vergabe an das Wüstenemirat oder über das schwülheiße Klima, das den Marathonläuferinnen und Gehern am Wochenende schwer aufs Gemüt drücken dürfte. Nur hatte das alles seine Kehrseite, nebenbei waberte immer auch die Gegenfrage mit: Wie kann die traditionsreiche Leichtathletik wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken, wenn die Lichtfigur fort ist und fast das ganze Licht mitgenommen hat? "Unser Kerngeschäft ist die Unterhaltung", hatte Sebastian Coe zuletzt mantrahaft betont, der Präsident des Weltverbandes, der sich am Donnerstag von "International Association of Athletics Federations" (IAAF) in "World Athletics" umbenannte - als wolle er so den Aufbruch in eine neue Ära dokumentieren.

Coes Entertainment-Postulat war jedenfalls auch mit der Forderung an die Athleten verbunden, nicht nur tolle Athleten zu sein, sondern ihre Geschichten offensiv zu vermarkten. Selbstverständlich ist längst nichts mehr für Olympias Kernsportart. Wie sehr die Leichtathletik auch in Doha darunter leidet, liegt freilich auch an ihr selbst. Beziehungsweise am Fall des Amerikaners Christian Coleman, der Bolt auf den 100 Metern nachfolgen soll. Der 23-Jährige war im WM-Finale 2017 bereits Zweiter - vor Bolt, aber hinter Justin Gatlin, der schon zweimal in die Dopingnetze ging und in Doha auch mit 37 Jahren zu den Titelanwärtern zählt. Coleman ist Inhaber des Hallenweltrekords über 60 Meter, er ist schnell und macht kein großes Aufheben um sich, er ist so ziemlich alles, was Bolt nicht ist. Die bislang größte Aufmerksamkeit zog er an, als im Ende August bekannt wurde, dass er drei Dopingtests binnen zwölf Monaten verpasst hatte. Das zieht eine einjährige Sperre nach sich, normalerweise.

Blöd nur, dass sich die US-Anti-Doping-Agentur damals in ihren eigenen Regeln verhedderte. Sie hatte den ersten Test nicht rückdatiert, wie vorgeschrieben. Schon lagen die drei Kontrollen nicht mehr innerhalb des Zwölf-Monat-Fensters. Coleman polterte deshalb in einer Videobotschaft zuletzt gegen die Dopingfahnder und die Medien. Andererseits: Dreimal die Tester innerhalb so kurzer Zeit zu verpassen, Rückdatierung hin oder her, bleibt ein gravierender Vorgang. Mindestens zwei der verpassten Tests seien "sein Fehler" gewesen, gab Coleman zu, aber das passiere halt. Seine US-Kollegen widersprachen prompt. Jenny Simpson, 2011 Weltmeisterin über 1500 Meter, sagte dem Portal Letsrun.com, sie habe seit 2007 einen Test versäumt, mehr nicht. "Wenn du drei Tests in so kurzer Zeit verpasst", fand sie, "bist du entweder ein Betrüger oder ein Idiot. In beiden Fällen solltest du nicht starten dürfen."

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Coleman lief am Freitagabend in der ersten Runde der 100 Meter übrigens die beste Zeit (9,98). Später rauschte er wortlos an den Reportern vorbei. Der Aufbruch in die neue Ära wird am Samstagabend, beim Finale also vermutlich eher: zäh. Aber da sind ja noch ein paar andere Protagonisten. Noah Lyles etwa, der nicht nur von Bolts Fabelrekorden - 9,58 Sekunden über 100 Meter, 19,19 über 200 - gar nicht so weit entfernt ist, zumindest über 200 Meter (19,50), auf die er sich in Doha konzentriert. Der Amerikaner rappt auch gerne und redet offen darüber, wie er als Kind Depressionen überwand. Klar, irgendwann wolle er schon Bolts Rekorde brechen, sagte er zuletzt der Daily Mail, aber ihn nerve es zunehmend, stets an der Vergangenheit seines Sports gemessen zu werden: "Warum soll ich immer der nächste Bolt sein? Die Menschen müssen sich langsam mal mehr einfallen lassen. Ich bin der derzeitige Noah Lyles."

Das ist vermutlich das Kernproblem: dass nicht nur Reporter, sondern auch die Leichtathletik nach alten, neuen Entertainern sucht, statt sich mit ganzem Herzen auf das Bühnenprogramm einzulassen, das die neue Generation aufführt. Von rappenden Sprintern bis hin zu Athletinnen wie der deutschen Weitspringerin Malaika Mihambo, die meditiert, durch Indien reist, mehr Mitsprache bei WM-Vorgaben fordert und nach ihrem Wettkampf in Berlin zuletzt geduldig an der Grube Autogramme schrieb. Und so viel eher das herbeiführt, was Sebastian Coe auch einfordert: dass die Leichtathletik ein Dienstleister für die Gesellschaft sein müsse, etwa zu mehr Bewegung anstiften solle.

Vielleicht finden sich dabei ja sogar noch ein paar weitere, neue Entertainer.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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