Leichtathletik-WM: DLV-Bilanz:Gegen die Medaillenzähler

Die DLV-Teamleiter Emrich und Mallow schafften das eigentlich Unmögliche, aus Einzelsportlern eine Mannschaft zu machen. Dennoch haben sie zurecht Grund zur Klage.

Thomas Hummel

Hochspringerin Ariane Friedrich hat erzählt, dass sie nicht begeistert war von der Idee, "in Kienbaum rumzuhängen". Im dortigen Bundesleistungszentrum hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine 92 WM-Sportler vor den Wettkämpfen zusammengeholt, vielen der Einzelsportler war der Gruppengedanke suspekt. Jetzt sagt Friedrich: "Es war eine unglaublich gute Idee, da ist was zusammengewachsen." Und berichtet, dass bei der ersten deutschen Medaille durch Kugelstoßer Ralf Bartels "das Haus getobt hat".

Leichtathletik-WM in Berlin

Der Sieg von Robert Harting ist für DLV-Sportdirektor Jürgen Mallow der Höhepunkt der WM.

(Foto: Foto: dpa)

Aus vielen Einzelsportlern, darunter bisweilen extreme Persönlichkeiten, eine Mannschaft zu formen, ist eigentlich eine unerfüllbare Aufgabe. Die obersten Teamleister, DLV-Vizepräsident Leistungssport Eike Emrich und Sportdirektor Jürgen Mallow, haben dies so gut es ging vollbracht. Und sie haben damit das Fundament gelegt für die Lockerheit, die positive Energie, mit der viele DLV-Athleten an den Start gingen - und damit erfolgreich waren.

Emrich und Mallow haben aber auch alles dafür getan, damit sich die Einzelsportler bei ihnen beschützt und aufgehoben fühlten. Sie haben den Athleten und ihren Heimtrainern in den vergangenen Jahren großen Freiraum gewährt, ihre individuellen Ansätze unterstützt. Sie haben sich nach dem Medaillen-Desaster von Peking mit breiten Schultern vor die Athleten gestellt und von der Öffentlichkeit Respekt vor den Leistungen eingefordert. Das hat viele der Sportler beeindruckt.

Selbst in der pikanten Affäre um den Diskuswerfer Robert Harting und dessen groben verbalen Fehltritt gegen die DDR-Dopingopfer halten Emrich und Mallow eisern zu ihrem Sportler. Zum persönlichen Höhepunkt der WM befragt, antwortete Mallow: "Dass Harting und sein Trainer Werner Goldmann trotz der heftigen und teils unfairen Kritik ihren Wettkampf unbeschadet überbestanden haben und erfolgreich das Stadion verlassen konnten."

Selbst innerhalb des DLV gibt es Menschen, die den Fall Harting völlig anders bewerten und den Weltmeister am liebsten hinauswerfen würden. Doch im Team kam das Zeichen an: Da sind zwei Türsteher, die (fast) bedingungslos alle Kritik vor dem Teamquartier abblocken. Bei schlechten Ergebnissen ohnehin. Emrich spricht bei jeder Gelegenheit von der vermittelten Geisteshaltung, "die Freude am Wettbewerb" als erstes Ziel zu haben und bezeichnet die Medaillen als "erwünschte Nebenfolgen".

Werden Emrich und Mallow indes auf die obersten Verwalter öffentlicher Gelder beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und in der Politik angesprochen, verdüstert sich ihr Ausdruck. Es scheint sie förmlich zu ekeln vor den verbissenen Goldzählern und Erfolgsbestellern, die ihre Zuschüsse vor allem aufgrund des Medaillenspiegels verteilen. Sie verweisen zurecht darauf, dass sich die Leichtathletik wie kaum eine andere Sportart im globalisierten Wettbewerb befindet, und sich zumindest der DLV auch in seinem Handeln eindeutig zum Anti-Dopingkampf bekennt - was von DOSB und Politik nicht immer behauptet werden kann.

Natürlich finden Emrich und Mallow groteskerweise mit ihren Einlassungen nur deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil ihre Athleten in Berlin viele Medaillen gewannen. Die Nächte danach waren lang, der öffentliche Umgang mit den Erfolgen blieb aber wohltuend unaufgeregt. Doch weil Mallow in Rente geht und Emrich wohl im Oktober abtritt, muss der DLV aufpassen, dass nicht wieder verbissene Goldzähler und Erfolgsbesteller übernehmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: