Leichtathletik-WM:Der Sport beschließt: Es ist Zeit für Neues

Lesezeit: 2 Min.

Usain Bolt strauchelt, humpelt, scheidet aus. (Foto: AFP)

Die Leichtathletik-WM in London war eine schöne Lektion für alle, die verzweifelt nach neuen Überfiguren suchten.

Kommentar von Johannes Knuth

Und dann war er tatsächlich gekommen: der Moment, in dem Usain Bolt das Lächeln verließ. Schmerzen eroberten sein Gesicht, sie verwandelten sich langsam in Entsetzen darüber, dass ein lumpiger Krampf ihn zu Boden gerissen hatte. In seinem letzten Rennen! Das war eines der intensivsten, weil unerwarteten Bilder dieser Leichtathletik-WM in London: Als der Spaßsprinter Usain Bolt, bei dem es jahrelang immer noch schneller und spaßiger zugegangen war, von der Gewissheit gepackt wurde: Es geht nicht mehr.

Ein bisschen wirkte es auch so, als habe der Sport in diesem Moment beschlossen, dass es Zeit für etwas Neues ist.

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Die WM belebte auch einen alten Gedanken: die Freude am Duell

Das Skript war ja mal ein anderes gewesen für diese WM. Sie sollte eine Abschiedsparty werden, für die Überfiguren des Sports. Nur ein paar Darsteller hatten das Drehbuch offenbar nicht erhalten. Die Äthiopier etwa, die Mo Farah so lange ärgerten, bis der Brite zu müde war für seinen berüchtigten Spurt. Auch Bolts verkrampfter Oberschenkel war offenbar nicht eingeweiht (auch wenn einige in London raunten, Bolt habe sich eine weitere Schlappe auf der Bahn ersparen wollen). Die verzerrten Gesichter der Bolts und Farahs standen am Ende jedenfalls nicht nur für den Abschied, sondern auch für das Neue. Selten waren die Unangreifbaren so verletzlich, selten wuchsen daraus derart viele Überraschungen.

Das war auch deshalb so erfrischend, weil die alte Leichtathletik-Führung das entgegengesetzte Geschäftsmodell gepflegt hatte. Supersportler und Rekorde, das war die Vorstellung, die der Senegalese Lamine Diack dem Publikum vorsetzte, und Bolt war seine größte Zirkusnummer. Das hatte seinen Reiz, weil Bolt es schaffte, das Schwere so leicht aussehen zu lassen. Aber wenn nur noch die Sensation zählt, verkümmert irgendwann die Vielfalt, das Schöne. Am Ende blieben von Bolt nicht nur Weltrekorde, sondern auch viele Zweifel. Der Jamaikaner hat neun der schnellsten 50 Zeiten über 100 Meter erschaffen, alle anderen Urheber kamen mit Doping in Berührung. Diack? Ließ all die Jahre überführte Doper starten, sie mussten offenbar nur zahlen.

Es passte irgendwie, dass in London beides zusammenfiel: der Abschied von Bolt und der Sensation, und die Wiederbelebung eines alten, verschütteten Gedankens: der Freude am Duell. Die 3000 Meter Hindernis zum Beispiel. Die Amerikanerinnen überrumpelten die Favoritinnen, auch Gesa Krause stürzte, die deutsche Hoffnung. Aber sie ertrug es mit einer Größe, die mancher Sieger nie erlangte. Siegerzeiten? Interessierten niemanden. Das fachkundige Londoner Publikum hatte freilich seinen Anteil daran. Wie das wohl in zwei Jahren sein wird, in der Hitze von Katar? London war jedenfalls eine schöne Lektion für alle, die verzweifelt nach neuen Sensationen und Überfiguren suchten, nach neuen Bolts. Die größte Stärke eines Sports liegt ja nicht unbedingt darin, dass einer den anderen entrückt. Sondern dass man nicht weiß, wie es ausgeht.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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