Leichtathletik-WM: 100m:Herausforderer vom Dienst

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Weltmeister Tyson Gay schwärmt von Olympiasieger Usain Bolt und beklagt Leistenschmerzen - bei der WM soll er den Kampf um die Sprintkrone offenhalten.

Thomas Hahn

Tyson Gay sitzt nun wieder mitten drin in einer dieser Situationen, in denen sein ganzer Mut ins Leere läuft. Drei Weltmeistertitel hat er vorzuweisen, die Weltjahresbestzeiten über 100 (9,77 Sekunden) und 200 Meter (19,58) und das Potential, den Weltrekordler Usain Bolt zu bezwingen - deswegen hat der Leichtathletik-Weltverband IAAF ihn vor der WM in Berlin zu seinem Werbeträger gemacht. Tyson Gay darf sich geehrt fühlen, Teil der WM-Kampagne zu sein, zu der aber auch diese Telefonkonferenz mit internationalen Journalisten gehört. Und bei der kommt jetzt aus der Tiefe des gedämpften Klangraumes stärker als sonst zur Geltung, dass der US-Sprinter Gay zum Nuscheln neigt.

Weltmeister Tyson Gay prophezeit für Berlin "die besten Sprintwettbewerbe der Leichtathletikgeschichte" (Foto: Foto: dpa)

Welche Schlagzeile für das WM-Finale über 100 Meter er wählen würde, fragt jemand. "Gute Frage." Gay überlegt. "Ich würde sagen . . . Tyson Gay schcktdwlt." Wie bitte? "Könnten Sie das wiederholen?" - "Ich habe gesagt: Tyson Gay schocktdwlt." - "Schockt die Welt", wiederholt die IAAF-Moderatorin jetzt sehr deutlich. Und am Ende wirkt das, was Tyson Gay als scharfe Ansage gedacht hatte, nur noch sehr verwaschen.

Tyson Gay ist einer der wichtigsten Männer für die IAAF in dieser letzten Werbe-Phase vor dem WM-Start am 15. August. Jamaikas Usain Bolt ist seit seinen drei Weltrekord-Olympiasiegen von Peking zur globalen Lichtgestalt aufgestiegen. Wo auch immer er hinkommt, ist er die Hauptattraktion. Aber Dominanz frisst die Spannung auf, schon in Peking war der Wettbewerb so gut wie außer Kraft gesetzt, weil Bolt so weit vorauseilte. Gay steht nun für die Hoffnung auf einen echten Kampf um den Titel schnellster Mensch der Welt, nachdem Bolt mit seinen 9,79 und 19,59 in der Saisonbestenliste noch nicht vorbeigekommen ist an ihm. "Das Duell" ist Teil der Werbestrategie, mit welcher die IAAF dem Berliner Organisationskomitee BOC unter die Arme greift, nachdem sie lange nicht zufrieden war mit dem Kartenvorverkauf und immer noch Bedenken hat, da laut BOC 270 000 von 560 000 Tickets abgesetzt sind. Jedenfalls sagt IAAF-Sprecher Nick Davies: "Die Situation wird besser. Aber die Rezession gibt es weiterhin, und wir haben immer noch ein sehr, sehr großes Stadion zu füllen."

Berlin ist großflächig plakatiert mit den Zweikämpfern, die Telefonkonferenz mit Gay war eine weitere PR-Maßnahme. Und in der Tat ist die Idee, den Wettkampf der Ausnahmeathleten zu betonen, klüger und sportfreundlicher, als die Erwartung von viel zu sagenhaften Weltrekorden zu schüren. Die Frage ist nur: Ist dieses Duell auch wirklich eines?

Wer den Grand Prix am Wochenende in London erlebt hat, hat da so seine Zweifel. Da spurtete Usain Bolt nämlich bei Gegenwind locker zu 9,91 Sekunden über 100 Meter, ehe Tyson Gay die 200 Meter mühevoll in 20,00 Sekunden zurücklegte. Bolt hat einen fast ungestörten Formaufbau vollzogen, Gay hingegen haben im Frühjahr Knieprobleme gestört, nachdem eine Oberschenkelverletzung ihm schon im vergangenen Jahr die Olympia-Bilanz verhagelt hatte. Zuletzt behinderten ihn Leistenbeschwerden, die wohl auch der Grund dafür sind, dass er sich vor seinem 100-Meter-Start am Freitag in Stockholm in die Obhut des Münchner Edeldoktors Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt begeben hat. Alles halb so wild, sagt Tyson Gay. "So lange ich trainieren kann, bin ich in Ordnung." Und bei der WM? "Wird mich das überhaupt nicht beeinflussen."

Tyson Gay ist ein treuer Diener seines Sports. Deswegen prophezeit er für Berlin auch "die besten Sprintwettbewerbe der Leichtathletikgeschichte". Deswegen betrachtet er nur oberflächlich die seltsamen fünf Dopingfälle in Jamaikas WM-Team; der 19-jährige Bolt-Klub-Gefährte Yohan Blake, die Sprinter Marvin Anderson, Allodin Fothergill, Lansford Spence sowie die 100-Meter-Gewinnerin bei den Commonwealth-Games 2006, Sheri-Ann Brooks, sind laut Medienberichten positiv auf das Stimulans Methylxanthin getestet worden - Gay hat nur gehört, dass Jamaikas Helden, Bolt und der frühere Weltrekordler Asafa Powell, nicht betroffen sind, und sich "keine Sorgen über irgendwas" gemacht.

Und als treuer Diener seines Sports stimmt Gay auch ein in die allgemeine Schwärmerei über das Showtalent Bolt. "Wenn du jemanden wie ihn hast, der tanzen kann, unterhalten und schnell rennen, dann ist das sehr, sehr gut für den Sport." Neulich hat er Bolt "Monster" und "Biest" genannt, und man dachte schon, der Anfang zu einer Schlammschlacht sei gemacht. Aber Gay meinte es als Kompliment. "Es gibt Leute wie Kobe Bryant im Basketball, die sind so viel besser als alle anderen, dass die Leute sie Biest oder Monster nennen." So demütig klingt er, dass er am Ende sogar zurückrudern muss. "Ich glaube nicht, dass er viel besser ist als ich." Er glaube an seine Chance gegen Bolt, "weil ich alles geben werde und weil ich glaube, dass ich genauso talentiert bin wie er".

Er muss daran glauben, Tyson Gay ist schließlich auch die Hoffnung der Sprint-Nation USA, welche die Karibik-Läufer bei Olympia demütigten. Tyson Gay erinnert sich an die WM 2007 in Osaka. Damals war Powell Weltrekordler, er selbst beklagte Knieschmerzen. Es folgte ein Triumph. "Es ist eine sehr ähnliche Situation jetzt." Daran hält er sich fest. Und für einen Moment vergisst Tyson Gay, dass Usain Bolt ein ganz anderer Siegertyp ist als dessen sensibler Landsmann Asafa Powell.

© SZ vom 29.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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