Leichtathletik:Wetterleuchten am Horizont

Leichtathletik: Muss sich strecken: Dreispringerin Mara Häusler aus Rostock versucht sich an einem weiten Satz.

Muss sich strecken: Dreispringerin Mara Häusler aus Rostock versucht sich an einem weiten Satz.

(Foto: Flatemersch/Beautiful Sports/Imago)

Vereinzelte Glanzlichter, unangefochtene Meister, viele verletzte oder angeschlagene Sorgenkinder: Die deutschen Leichtathleten präsentieren sich bei ihren nationalen Meisterschaften widersprüchlich - wenige Wochen vor den Welt- und Europameisterschaften.

Von Johannes Knuth, Berlin

So leer das Berliner Olympiastadion das Wochenende über weite Strecken war, die Lärmkulisse präsentierte sich oft meisterlich; ein paar Fans hatten sogar Konfettikanonen ins Stadion geschmuggelt. Am Samstagnachmittag donnerte und wummerte es dann noch ein wenig mehr, das war allerdings ein Gewitter, das auf das Stadion zurollte, mit der Empfehlung einer "amtlichen Unwetterwarnung" vonseiten der Behörden. Die Organisatoren räumten den Innenraum, die Zuschauer wurden zum Sitzenbleiben verpflichtet, allein: Das Unwetter zog vorbei. Zuschauer und Athleten verbrachten die etwas mehr als halbstündige Pause bei Sonnenschein, Regenduft und Wind. Natürlich hatten die Veranstalter vorsorglich und vorbildlich reagiert, aber das war schon ulkig: wie alle vergeblich auf den ganz großen Knall warteten.

Damit waren diese 122. deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Berlin dann auch gar nicht so schlecht umrissen. Berlin, hatte Idriss Gonschinska, der Generaldirektor des Leichtathletik-Verbands zuvor gesagt, sei eine "fantastische Stadt für die Leichtathletik", die "Leichtathletik das absolute Zugpferd für diese Veranstaltung", er meinte: die Finals, bei denen sie 14 Sportarten mit ihren nationalen Entscheidungen am Wochenende zusammengespannt hatten. Das war dann wohl doch ein wenig zu dick aufgetragen bei vielleicht 10 000 Zuschauern, die es letztlich jeweils in beide Abendsessions verschlug. Und sportlich? Berlin sei eine "wichtige Standortbestimmung", hatte DLV-Cheftrainerin Annett Stein zu Beginn des Wochenendes gesagt, die wichtigsten Trainingsblöcke lägen nun hinter den Athleten - wie vor einer Schularbeit, bei der es nicht mehr viel bringt, sich noch hastig Lernstoff hineinzuprügeln. Erst in Berlin, das hatten die DLV-Verantwortlichen zuletzt betont, werde sich die wahre Stärke der Leichtathleten in diesem Sommer erstmals zeigen. Und nun?

Doch, die Anwesenden stellten schon ein paar Leistungen mit Gütesiegel bereit; Auftritte, die im interkontinentalen Vergleich etwas hermachen. Die Diskuswerferinnen führten bis zum Sonntagnachmittag den wohl besten Wettkampf der Meisterschaften auf, Kristin Pudenz gewann sogar mit Bestleistung, 67,10 Meter, Shanice Craft (64,64), Julia Harting (mit WM-Norm von 64,34), Claudine Vita (63,36) und Marike Steinacker (61,98) gaben den Trainern auch eine (seltene) Knobelaufgabe mit, aus einem Überangebot an WM- und EM-Bewerberinnen wählen zu müssen. Auch sonst flackerten manche Glanzlichter auf, wie Wetterleuchten am Horizont, die 5,90 Meter von Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre; die 10,99 Sekunden von Sprinterin Gina Lückenkemper; auch Corinna Schwab, die im Vorlauf über 400 Meter unter die 51-Sekunden-Marke tauchte (50,91), als erste Deutsche seit 2002, ehe sie das Finale in 51,61 gewann. Und die zuletzt so erfrischenden Sprint-Männer boten erneut Vorzeigbares an, Owen Ansah gewann die 100 Meter in 10,09 Sekunden, Tobias Potye und Mateusz Przybylko trieben sich im Hochsprung, mit sonnenverbrannten Köpfen, zu 2,30 Metern und dem geteilten Titel.

Aber für jede gute Leistung fanden sich rasch ein, zwei wenig erbauliche Gegenargumente.

Hinter Malaika Mihambo (6,85 Meter) versammelten sich die Verfolgerinnen noch recht geballt um die sechseinhalb Meter. Julian Weber festigte seine Stellung als nationale Nummer eins, mit 86,61 Metern, die sonst so starke nationale Speerwurf-Elite präsentierte sich aber ziemlich zersaust: Andreas Hofmann schaffte 76,33 Meter, Thomas Röhler gar nur 71,81. Johannes Vetter, der große Branchenfavorit für dieses Jahr, kämpft seit Wochen mit einer entzündeten Schulter - WM-Start, EM-Start, das sei alles offen, sagte er zuletzt. Dass Mohamed Mohumed nach den 5000 Metern am Samstag fast auch die 1500 Meter am Sonntag gewann, spricht für sein großes Talent, zugleich nicht unbedingt für die pralle Leistungsdichte dahinter. Auch hinter Lückenkemper prangten im Sprint viele Fragezeichen, Lisa Mayer, Tatjana Pinto und Alexandra Burghardt (Magen-Darm-Virus) schafften es nicht in die Finals oder gar nicht erst an den Start.

"Natürlich ist das ein Handicap", sagt die Cheftrainerin zum Fernbleiben vieler Spitzenkräfte

Oft reichten schon passable oder überschaubare Leistungen: David Storls 20,32 Meter im Kugelstoßen, 14,14 Meter im Dreisprung von Neele Eckhardt-Noah (in diesem Jahr schon 14,48), Fabian Heinles 7,81 Meter im Weitsprung, 1,87 Meter im Hochsprung der Frauen für Bianca Stichling; 4,55 im Stabhochsprung der Frauen, wobei man das der Titelträgerin Anjuli Knäsche schwer anlasten konnte - sie war zuletzt aus ihrer dreijährigen Stabhochsprungrente zurückgekehrt und egalisierte nun ihre persönliche Bestleistung.

Wie sagte es Dreispringer Max Heß, nach seinem sechsten nationalen Freiluft-Titel, mit 16,20 Metern? "Ich würde mir schon wünschen, dass die anderen noch eine Schippe drauflegen, sich entwickeln." Der Wettstreit mit sich selbst, die Normen und Ranglistenpunkte zu jagen, "das reicht nicht, um das letzte bisschen rauszukitzeln". Das konnte man getrost kopieren und auf viele andere Wettbewerbe übertragen.

Die vorläufige Bilanz wurde auch nicht schicker, wenn man den Blick auf die Krankmeldungen richtete: Gesa Krause (Infekt) hat über 3000 Meter Hindernis noch kein Rennen in diesem Jahr bestritten; Konstanze Klosterhalfen infizierte sich zuletzt mit Corona, auch Speerwerferin Christin Hussong passte kurzfristig wegen einer starken Erkältung; die gesamte Spitze der 400-Meter-Hürdenläufer fehlte, wie die Langzeitpatienten Ricarda Lobe (Hürdensprint) und Daniel Jasinski (Diskus), unter anderem. "Das sind alles erfahrene Trainer- und Athletenteams", sagte Cheftrainerin Stein, viele hätten sich vorsorglich entschuldigt, um Infekte oder Verletzungen nicht zu verschlimmern. Immerhin so viel räumte Stein ein: "Natürlich ist das ein Handicap, die Athleten gehen von einem anderen Ausgangszustand in die Saison."

Bis zur EM in München sind es noch 50 Tage, der "Zielwettkampf" aber, wie ihn Teammanager Danny Scheuerpflug am Wochenende nannte, sind die Weltmeisterschaften in knapp drei Wochen in Eugene (das deutsche Aufgebot soll Ende nächster Woche stehen). In Eugene entscheidet sich maßgeblich, wer welche Fördergelder erhält, in welchen Kader kommt. Das alles auf einem Niveau, das mit dem von Berlin nur sehr entfernt verwandt sein wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: